Diskussion historischer Ereignisse Adel und Bürgertum

Mitglied_81b4260
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Re: Ein Beispiel preußischer Tugenden
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf clara vom 08.03.2011, 21:22:37
Die Bewertungfrage zu Stauffenberg hat ja eine Vorgeschichte und ist gerade deshalb, weil dessen Geschichte ein Sujet für Filme ist, aktuell.

Hier geht es zu einem interessanten Interview mit dem Stauffenberg-Biografen Peter Hoffmann.

Clara, es handelt sich bei dieser faszierenden Frau nicht um die Stauffenberg-Mutter, sondern um die jüdische Schwägerin.

(In meiner Familie gab es auch einen echten Nazi. Dass dieser den Juden in der Familie nicht ans Messer lieferte, kann ich als Milderungsgrund anführen, allerdings nicht dafür, dass er nicht antisemitisch war.)

Aus wikipedia entnehme ich, dass das Zitat aus dem Brief Stauffenbergs an seine Frau noch länger ist:
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges, den der Berufssoldat Stauffenberg als „Erlösung“ empfand, wurde er in der 1. leichten Division (später 6. Panzer-Division) im Polenfeldzug 1939 eingesetzt. Von hier schrieb er an seine Frau:

„Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu gebrauchen, arbeitsam, willig und genügsam.“

Der Historiker Heinrich August Winkler führt das Briefzitat als Beleg dafür an, dass Stauffenberg zu dieser Zeit die Rassenpolitik der Nationalsozialisten grundsätzlich bejahte, wenn er sie auch für überspitzt hielt.[8] Auch der israelische Historiker Saul Friedländer nimmt an, dass sich Stauffenbergs Haltung gegenüber dem Judentum nur graduell, aber nicht prinzipiell vom Antisemitismus der Nationalsozialisten unterschieden habe.[9] Der Stauffenberg-Biograf Peter Hoffmann lehnt den Begriff „Antisemit“ für Stauffenberg dagegen ab. Die Interpretation des Feldpostbriefes als antisemitisch hält er methodisch für unzureichend.[10]
geschrieben von wikipedia


Ich persönlich denke, dass aus dem Zitat enorme Dünkel sprechen. Ansonsten muß natürlich das erste Maß an dem üblichen Ductus der Zeit genommen werden. Daran gemessen, ist es ja eh harmlos, sage ich einmal.

Ich finde allerdings auch, dass Stauffenberg für den riesigen Fragenkomplex "Adel", das heißt die Frage nach der Schichtung der Bevölkerung nicht besonders wichtig ist.


trux
trux
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Re: Adel und Bürgertum
geschrieben von trux
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 11.03.2011, 11:03:09
Wenn ich hier von Bewertungen oder Beurteilungen lese nehme ich an, dass die Vorgänge, die bewertet bzw. beurteilt werden auch genau bekannt sind. Ich bewundere daher die Diskutanten ob ihrer Kenntnisse. Ohne Geschichtskenntnisse kommt man auch in der Ahnenforschung nicht weit. Namen von Personen ändern sich. Luther schrieb sich vor der Reformation Luder, Geuther in der ehemaligen Pflege Coburg schrieb sich vor der Reformation Geuder, hier meine Skizze vom nördlichen Teil der ehem. Pflege Coburg:



Geuder sind als Nürnberger Patrizieren bekannt. Wegen Namensgleichheit schauen wir in der Ahnenforschung auch auf sie.

Bevor es zur Bildung Politischer Gemeinden kam, gab es Kirchengemeinden, davor nur Personengesellschaften. Die relativ großen Urpfarreien bestimmten im frühen Mittelalter das kirchliche Leben.

Wegen dichter werdender Besiedlung begann im 11. Jahrhundert eine Entwicklung, die zur Auflösung der großen Urpfarreien führte. Im 1. Deutschen Reich, "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation" (800-1806), wurde eine Siedlung erst dann eine selbständige Ortschaft mit eigener Verwaltung, wenn die Kirche errichtet war. Solange eine solche sakrale Anlage fehlte, war die Siedlung dem Ort angeschlossen, der am nächsten lag und eine solche besaß.

Zum Ausgang der Völkerwanderung im 6. Jh. n. Chr. hatten die Franken ein riesiges Reich geschaffen, das unter Karl dem Großen im 8. Jh. n. Chr. noch vergrößert wurde. Die Franken besetzten die vorhandenen Orte und gründeten viele neue Dörfer und Kolonien. Sie setzten fast in jedes Dorf einen fränkischen Reiter oder Ritter ein und verwalteten das Land mittels Feudalsystems, d.h. sie gaben den einheimischen Bauern gerodetes Land als Lehen und verpflichteten sie zu verschiedenen Abgaben und zu Fron- und Kriegsdiensten.

Einige kleinere Orte bestanden bereits im 6. Jh, die meisten wurden in der fränkischen Zeit bis zum 10. Jahrhundert erst gegründet. Solange ein Ort noch kein Ort war, konnte er in den Urkunden auch nicht benannt werden, Anhäufungen von Gehöften hatten keinen offiziellen Namen.

Die sächsisch-ernestinischen Territorien gehörten zu den ersten Gebieten, in denen die Reformation eingeführt wurde. Mit Einführung des neuen Glaubens ging eine kirchliche Neugliederung einher. Es entstanden selbständige Kirchengemeinden, denen auch Filalkirchen angegliedert sein konnten.

Ich will Euch aber nicht langweilen sondern nur ausdrücken, dass es mit Bewertungen und Beurteilungen so eine Sache ist. Auch die heutige plurale Gesellschaft ist im geschichtlichen Ablauf zu sehen, so mit dem Adel, den Religionsgemeinschaften und vielen anderen mehr.

Trux
Marija
Marija
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Re: Adel und Bürgertum
geschrieben von Marija
als Antwort auf trux vom 11.03.2011, 11:59:08
Zitat / Trux:
Ich will Euch aber nicht langweilen sondern nur ausdrücken, dass es mit Bewertungen und Beurteilungen so eine Sache ist. Auch die heutige plurale Gesellschaft ist im geschichtlichen Ablauf zu sehen, so mit dem Adel, den Religionsgemeinschaften und vielen anderen mehr. "

Liebe Trux,

du langweilst überhaupt nicht, im Gegenteil ! Danke für deine Ausführungen.
Auch ich betreibe Forschung und weiß um "gewundener Pfade und Verwebungen".

Vielen Dank für all eure Bereicherungen ! Ich genieße es, eure Quoten zu lesen ! Dankeschön !

Marija



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Re: Adel und Bürgertum
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf trux vom 11.03.2011, 11:59:08
Wenn ich hier von Bewertungen oder Beurteilungen lese nehme ich an, dass die Vorgänge, die bewertet bzw. beurteilt werden auch genau bekannt sind. Ich bewundere daher die Diskutanten ob ihrer Kenntnisse.
geschrieben von trux


Nehme an, das war an mich gerichtet und wiederholt wieder den Vorwurf, ich würde die Gerüche der Gasse in eine hehre Diskussion einfließen lassen.

Was ist den meinem Posting so kritisierbares:

- Ich stellte die Beurteilung von Stauffenberg durch Historiker ein, die durchaus in ihrer Beurteilung St. gespalten sind. Ich verlinke zu einem Interview mit Hoffmann, auf dem sich bisher viele Argumente (ich denke ohne Quellenangaben) stützen.

Persönlich erlaubte erlaube ich mir, St. Bemerkung über Polen, Juden und Mischvolk („Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu gebrauchen, arbeitsam, willig und genügsam.“ ) als dünkelhaft einzustufen auch ohne zu wissen, ob er gerade vorher die Verwüstung von kulturellen Gebäuden durch den Pöbel gesehen hat.

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Ich habe aus verständlichen Gründen keinen Zugang zur Ahnenforschung, sehr wohl allerdings zu soziologischen Forschungen und Forschungsergebnissen.

clara
clara
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Re: Adel und Bürgertum
geschrieben von clara
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 11.03.2011, 12:11:23
Mart, keine Sorge, ich sehe den "Fall Stauffenberg" genau so und habe mich auch damit befasst.
Was Peter Hoffmann, der Stauffenberg-Biograf in dem von Dir genannten Link sagt, halte ich für beschönigend, bzw. er spielt diese berühmt-berüchtigte Briefstelle herunter. Ich bin eben anderer Meinung, als Hoffmann, der am Stauffenberg-Film (mit Tom Cruise in der Titelrolle) beratend tätig war. Hoffmann meint im Interview:

Zitat:In dem Feldpostbrief hat er Beobachtungen wiedergegeben. Nun stürzt man sich auf die drei Worte aus Stauffenbergs gesamtem Leben: "sehr viele Juden", und zieht daraus den Schluss, er sei Antisemit gewesen. Jetzt frage ich Sie: Wenn ich durch New York gehe und schreibe danach meiner Frau, ich sah "sehr viele Schwarze" oder hörte "sehr viele Spanisch sprechen", bin ich dann Rassist oder Nazi?

Das ist an den Haaren herbei gezogen. Vor dem Hintergrund der Naziideologie kann man einen Spaziergang durch New York in Friedenszeiten nicht mit einem Feldzug in Polen vergleichen!

Zitat:Er schreibt aber im selben Satz, es gebe dort in Polen "unglaublichen Pöbel", und zählt dazu scheinbar die Juden.

Peter Hoffmann: Von 1918 bis 1921 wurden in Polen 150.000 Juden umgebracht - wer soll das getan haben, wenn nicht ein Pöbel? Stauffenberg war als Quartiermeister für die Versorgung der Truppe zuständig und musste sich mit Diebstählen sowohl von deutschen Soldaten als auch vom Pöbel herumschlagen. Was soll daran falsch sein, den Pöbel als Pöbel zu bezeichnen?


Ich glaube auch nicht, dass Stauffenberg an diesen Pöbel dachte!

Danke für die Aufklärung betr. Melitta Stauffenberg. Das war's jetzt von mir zu Stauffenberg.
Was den Adel allgemein betrifft, so fällt mir dazu immer der Spruch meines Großvaters, eines Imkers ein: Adelige sind die Drohnen der Gesellschaft. Obwohl eine Drohne auch ein Mal im Leben zu etwas nutze ist - wenn sie Glück hat!

Clara


trux
trux
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Re: Adel und Bürgertum
geschrieben von trux
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 11.03.2011, 12:11:23
Hallo mart,
nein, mart1, ich habe dich nicht gemeint. Mir gingen die allgemeinen geschichtlichen Bewertungen und Beurteilungen durch den Kopf, die ich mir nicht zutraue, abzugeben. Daher meine etwas ausführlicheren Betrachtungen zu einem speziellen Teil der Geschichte, die ich nicht bewerten will und kann.

Was dein Thema angeht, bin ich voll auf deiner Seite. Ich habe mich gerade beim Schreiben eines Romans -sozusagen für den Papierkorb- mit den Verhältnissen im ehem. Galizien um Lemberg und Przemysl herum beschäftigt und diese Gegend darin als blutgetränkter Erde beschrieben. Ich war im Jahre 2000 in Auschwitz und Lemberg, habe mit Leuten gesprochen, die in Auschwitz eingesessen haben, habe vieles aus eigener Erfahrung zu Papier gebracht. Du sprichst Tatsachen an, die so unglaublich und doch wahr sind. Ich verdamme die Nazis, sie haben mir meine Jugend genommen und meinen Geist in die Irre geführt. Entschuldige bitte, wenn du dich durch meinen Beitrag angesprochen fühlst. Ich muss das klarstellen.
Trux

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Mitglied_81b4260
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Re: Adel und Bürgertum
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf trux vom 11.03.2011, 13:23:48
Ich danke dir herzlich für deine Erklärungen!

sarahkatja
sarahkatja
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Re: Adel und Bürgertum
geschrieben von sarahkatja
als Antwort auf trux vom 11.03.2011, 11:59:08
Hallo Trux,
wenn ich mir Deine Karte der Pflege Coburg ansehe, kommen viele liebe Erinnerungen hoch.

In Rodach trafen sich zum ersten Mal heimlich die Fürsten zu Besprechungen, bevor sie den
Schmalkaldischen Bund gründeten.
Im Zweiten Weltkrieg wurde vieles im Ort zerstört.

1972 konnte man die warmen Quellen erstmals in einer Baracke genießen.
Heute hat es ein sehr schönes Bad mit Innen - und Außenbecken und einem kleinen aber schönen Park.
Im Frühling kann man vor dem Eingang zum Bad den
Nachtigallen lauschen, die sich durch den Betrieb nicht stören lassen.
Von hier aus, kann man herrliche Wanderungen in die nahe und weitere Umgebung machen.

Ganz nah an der Grenze zu der ehemaligen DDR gelegen, bekam man, wenn man wollte, die reale Wirklichkeit des willkürlich getrennten Landes hautnah zu spüren.

Die Heldburg ist nach einem Brand um die Wendezeit wieder renoviert und zu besichtigen.

Hildburghausen, mit seinem schönen alten Rathaus.
Geburts - und Sterbeort des
Joseph Meyer, 1828 – 1874. Herausgeber der Meyer Lexica.
Hier erschien auch zum ersten Mal Brehms Tierleben.
Der Begründer der deutschen Orientalistik, Übersetzer (beherrschte 44 Sprachen - für mich unvorstellbar) und Dichter Friedrich Rückert -
wer kennt noch das Lied:“ Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit....??

lebte in Hildburghausen. In Rodach hat er sein Gedicht „Idylle“ geschrieben.

Von ihm stammt auch der berühmt gewordene Ausspruch oder besser die Anrede in einem Brief an seinen Freund, der von Beruf Kupferstecher war:
“ Mein lieber Freund und Kupferstecher.“

Römhild, am Fuße der Gleichberge im Henneberger Land gelegen, mit seinem Spezialmuseum für Ur – und Frühgeschichte Südthüringens.

Von Bad Rodach gelangt man auf dem kürzesten Weg über Eisfeld auf den Rennsteig.

Lieblich, auf der Höhe, liegt Rauenstein. Etwa 10 km nordwestlich von Sonneberg.
Rauensteiner Porzellan ist heute noch bekannt.

Zwei Lauschaer Greiners, der unternehmungsfreudige Glas- und Porzellanmaler, Johann Nicolaus Greiner (1753-1826) und der vermögende Glas- und Hüttenmeister Johann Friedrich Greiner (1784-1820), beschäftigte sich vor 1783 in Gemeinschaft mit dem Glas- und Hüttenmeister Johann Georg Greiner aus dem benachbarten Glücksthal und dem Wildmeister Johann Andreas Friedrich Kämpfe (1753 bis 1803) aus Neubaus am Rennweg mit der Errichtung einer Porzellanfabrik in Lauscha( und auch Rauenstein,) der Hochburg der Thüringischen Glasmacherei.

Die vielen thüringischen, ehemaligen Porzellanmanufakturen – Z.B. Scheibe Asbach bei Katzhütte.

Sonneberg,
die Spielzeugstadt und auch die Stadt, wo früher die Kinder der armen Heimarbeiter schon früh mitarbeiten mussten.

Sehr sehenswert auch, das Spielzeugmuseum in Neustadt.„Oliver im Zwergenland. Preis bei der Pariser Welt - Ausstellung, ich glaube, sie bekamen sogar den ersten Preis.



Coburg, ist eine meiner Lieblingsstädte. Man muß sich, wie überall, die Mühe machen, und auch die Seitenwege, Gassen und Gässchen durchqueren.

Hier, in der Moritzkirche, hat Luther schon gepredigt und Königin Viktorias Ehemann Albert steht auf dem Marktplatz mit Blick zum Rathaus.

Die Ehrenburg in Coburg, die ihren Namen deswegen bekam, weil alle am Bau beteiligten Handwerker bezahlt worden waren., was damals nicht immer üblich war.
Unter anderem auch mit dem, wegen ihrer Körperfülle maßgerechter Anfertigung des ersten Wasserklosetts.

Nicht zu vergessen ist die Veste Coburg, die weit über das Land schaut und auch schon von weitem zu sehen ist, genau so wie die Heldburg.
Ebenso wenig der Palmengarten und das Rosenhaus.

In Coburg hat Johann Strauß jun. seine Geliebte heiraten dürfen, was in Wien unmöglich gewesen wäre. Er wurde Ehrenbürger der Stadt und hat sogar ein Denkmal bekommen. Was es nicht alles gibt!!

Das Schlösschen Rosenau, nahe bei Coburg, war Königin Viktorias Lieblingsschlösschen.

Ich glaube, es wird Zeit aufzuhören. Vieles gäbe es noch zu erzählen.

Die schönsten geschmückten Osterbrunnen findet man im Coburger Land.
Natürlich nicht nur in Oberfranken, sondern auch in Thüringen, aber die aus Coburg und Umgebung sind besonders schön.

Gruß von Sarahkatja


carlos1
carlos1
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Re: Adel und Bürger
geschrieben von carlos1
als Antwort auf Marija vom 11.03.2011, 08:44:37
"Hier findet sich auch die auf das Mittelalter zurückgehende Devotonsformel des Gottesgnadentums. Trotz dieser alten Formel ist E.II. keine Herrscherin von Gottes Gnaden. " darlos1



"....selbst dann, wenn formal der Spruch, den du eingestellt hast, gültig ist, was macht unser Unterbewusstes wirklich daraus? marija"



Marija, unser deutsches Unterbewusstsein spielt für die englische Monarchie keine wichtige Rolle. Das der Bewohner des Vereinigten Königreiches spielt dagegen sehr wohl eine Rolle. Es spricht aber anders als unser Unterbewusstsein. Blogs aus dem Internet ändern daran nichts.


Wir sollten uns auch nicht in der Popularspsychologie festfahren. Die Devotionsformel gehört offiziell zum Titel der Monarchin. Das ändert nichts an der Tatsache, dass sie politisch keine reale Gewalt besitzt. Sie besitzt aber Einfluss. Sie müsste auch ein ihr vom Premierminister vorgelegtes Gesetz unterschreiben, das die Todesstrafe allein für die Monarchin vorsieht. Dieser hypothetische Fall wird nicht eintreten, weil das „Volk“ das nicht wollen können würde. Es sei denn eine neue, noch gerissenere Königin der Herzen (oder des Herzens) würde die Öffentlichkeit mobilisieren. Also geht die königliche Seifenoper weiter. Millionen von englischen Schwiegermütter fühlen mit der Queen, wenn sie sie ihre ungebärdigen und unwürdigen Sprößlinge um sich versammelt. Es wäre alles einfach, wenn es nur beim Adel unfähige Figuren gäbe.



Tatsache ist aber, dass die Monarchie in GB im 19. Jahrhundert durch den Verzicht Königin Viktorias auf Einmischung in die Politik an Beliebtheit gewann. Der Verzicht fiel Viktoria schwer, sie tat es auf Anraten ihres deutschen Prinzgemahls Albert. Später drohte sie wiederholt mit Rücktritt gegenüber dem liberalen Premier Gladstone. Das aber konnte sie nur wagen, eben weil sie an Rückhalt im Volk gewonnen hatte.


England besitzt keine geschriebene Verfassung wie wir und eine andere Rechtstradition.

Daraus ist erkennbar, dass die Institutionen des Staates ihren Sinn und ihre Bedeutung wandeln können. In England war es bereits in der frühen Neuzeit üblich, dass nur die ältesten Söhne den Adelstitel erbten. Die jüngeren sanken in die upper ranks des Bürgertums herab.

Um in diesem Zusammenhang abschließend auf zu Guttenberg zurückzukommen. In seiner Rücktrittsankündigung sprach er von Pflichterfüllung und Aufgaben, die er nicht unerledigt liegen lassen konnte. Deshalb das Zögern mit dem Rücktritt. Eine auffallende Ähnlichkeit im Argumentationsmuster findet sich 1890 bei Bismarck (Erinnerung und Gedanke) der vorgab im Amt ausgeharrt zu haben oder ausharren zu müssen, um außenpolitischen Schaden vom Reich abzuwenden (dabei Hinweis auf den auslaufenden Rückversicherungsvertrag mit Russland). Erstaunt war ich nur, als ich von meiner Frau hörte, dass Stefanie zu Guttenberg eine Ururenkelin von Bismarck-Schönhausen ist (Wikipedia klärt auf). Ich habe im Moment keine Zeit das zu überprüfen.

c.


carlos1
carlos1
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Re: Adel und Bürgertum
geschrieben von carlos1
als Antwort auf clara vom 11.03.2011, 13:14:27
P .Hoffmann ist als Biograf des Hitlerattentäters methodisch so vorgegangen, dass er aus vielen Quellen von Zeitzeugen zitiert und die noch vorhandenen Quellen sprechen lässt. Sehr viele schriftliche Zeugnisse sind aber verloren. Der Text von mart1 (wikipedia) findet sich auch in Hoffmanns Buch.

Es ist auch nicht so, dass das Thema aktuell ist, weil wieder einmal ein Film darüber gedreht wurde, sondern weil das Thema Widerstand in totalen Staat stets aktuell ist, sowohl der im Hitlerreich als auch der in der DDR. Die Birthler-Behörde mit den Stasi-Unterlagen existiert immer noch und Fragen sowie Vergleiche sind immer aktuell. Der Hinweis im Brief von St. an seine Frau auf die Verwendung von Kriegsgefangenen als Arbeitssklaven in der Landwirtschaft (werden „gut…tun“) ist dort zu lesen. Er wirft somit Licht auf seine Haltung als Soldat. Das damals geltende Recht erlaubte nicht die Nutzung von Gefangenen als Arbeitssklaven. St. formuliert im Jargon der Rassenideologie, die zwischen minderwertigen Arbeitssklaven (slawische Ostvölker Polen und Russen) und Parasiten unterschied. So klingt es heute. Wie viele haben sich damals aber dem Herrenmenschen-Denken entziehen können?


Hoffmann verweist auf Aussagen von Familienangehörigen, die C. von St. als zu jener Zeit als „braun“ charakterisieren. Was ist der oft zitierte Dünkel anderes als von Vorurteilen geprägtes Überlegenheitsgefühl der Deutschen (als „Kulturvolk“) gegenüber Polen? Damit zitiere ich mich selber. Dazu kommt noch die jahrhundertealte (Erb-) Feindschaft zwischen beiden Völkern (die Nationalitätenkämpfe und Grenzstreitigkeiten gar nicht zu nennen). Ist das bereits aggressiver Antisemitismus, vor allem auch dann wenn ein Wandel in der Denkweise später zu erkennen ist? Ist dies bereits der unbedingte Wille im Rassenwahn Menschen zu vernichten, das Kennzeichen des Hitlerschen Antisemitismus? Der Sohn des Hitlerattentäters Klaus Ludwig von St. in einem Interview:

"Wie stehen Sie zu Vorwürfen des Antisemitismus gegen Ihren Vater?
Diese Vorwürfe sind bisher so rar und absurd gewesen, dass ich keine Notwendigkeit gesehen habe, eine historische Gegenforschungsaktivität zu entfalten. Das ist auch nicht mein Beruf. Wenn jemand einen solchen Bekanntheitsgrad hat in einer solchen ungewöhnlichen Rolle wie mein Vater, dann gehört es mit zum normalen Erscheinungsbild, dass er nicht nur kritiklose, emotional aufgeputschte Bewunderer, sondern auch eine massive Gegnerschaft hat, ob sie nun in die Denunziation als Volksverräter mündet, wie sie sehr bald und intensiv kam, oder in die als realitätsfremder Aktionist, der in der Durchführung gepfuscht habe. Es hat bei uns im Land immer eine heimliche Ablehnung meines Vaters und seiner Gefährten gegeben, die sehr viel stärker war, als offen ausgesprochen wurde." s. Link

Es gibt viele Sichtweisen auf den Hitlerattentäter. Selbst die DDR-Historiographie nahm sich Stauffenbergs an und und machte aus ihm einen von anderen, "bösen" Offizieren missbrauchten Sozialisten und Kommunistenfreund. Auch deshalb weil er mit den Arbeiterführern Julius Leber und Carlo Mierendorf Kontakt hatte.

Mir scheint die ausführliche Antwort von Clara und die Argumente von mart1 gut nachvollziehbar, weil ich in der Problematik vor allem auch eine methodologische Frage sehe. Bei der Erörterung der Schuldfrage genügen ein paar Zeilen aus einem Privatbrief (an die Ehefrau) aus der Zeit des Polenfeldzuges nicht. Hitler hat nie weniger Zustimmung im Volk gehabt als in der Zeit seiner außenpolitischen Erfolge und der Siege zu Beginn des Krieges. Der Sohn Stauffenbergs kritisiert Historiker wie Mommsen (bösartige Unterstellungen gegenüber Mitgliedern des Widerstandes wie etwa Goedeler), Jäckel, Fest und auch Hoffmann, dem er „Esoterisierung“ durch zu starke Betonung des George-Kreises vorwirft. Auf die Frage, was „zu kurz“ komme, sagt er:

"……Ich glaube, was insgesamt zu kurz kommt, ist die Vielfalt des tatsächlichen und realen Lebens, das keinen Niederschlag gefunden hat in Briefen oder literarischen Versuchen. Und die Zeugnisse, die es hätte geben können, sind der Gestapo in die Hände gefallen. Oder sie wurden vorher verbrannt wie das Tagebuch meines Vaters aus der Zeit von 1938: ein Quasi-Tagebuch, das er, aus Angst vor einer Entdeckung von Briefen, geschrieben hat. Er hat an der Besetzung des Sudetenlandes teilgenommen und davon sehr kritische Berichte geschrieben. Die brachte er nachhause mit für meine Mutter, nachdem sie sich schon geärgert hatte, dass er ihr nicht geschrieben hatte. Und als es dann eng wurde, hat meine Mutter vorsichtshalber dieses Tagebuch an Freunde gegeben.“


St. war kein politischer Mensch und vor allem nicht zum Verschwörer geboren, der einen Staatstreich durchführen sollte. Er war wie die meisten Offiziere in der Tradition der politisch neutralen Reichswehr aufgewachsen. Ausgehend von einem Verdikt aufgrund zweier kurzen Abschnitte aus einem Brief an die eigene Frau (s. oben), müsste gefragt werden, welche Erschütterungen zu einem radikalen Wandel vom 100%igen (angeblichen) Regimeanhänger zu einem Verschwörer sich zugetragen haben könnten. Die Verwundung allein kann es nicht sein. Hitlers Fehler hat er vor 1942 bereits kritisiert. 1942 war die totale Niederlage nicht absehbar. Sehr viel Material ist verloren gegangen. Immerhin bietet die Literatur eine Fülle von Aussagen, die ein anderes Bild zeigen.

Eine Figur wie Stauffenbergs läuft immer Gefahr abgelehnt zu werden, verehrt zu werden unverstanden zu bleiben. Darauf weist das Inerview seines jüngsten Sohnes mit der SZ hin:

Frage: „Er hatte einen hohen Ehrbegriff?

"Wenn Sie das Wort Ehre nehmen, dann kann das schnell wieder vordergründig im Sinne von Orden und Ehrenzeichen verstanden werden. Ihm ging es um Wert: Seine Sache musste Substanz haben. Hierbei wird allerdings die Vorstellungswelt des Kreises um George von Bedeutung gewesen sein, wenn auch nicht ausschließlich. Vielleicht - aber da komme ich schon wieder in die Nähe einer eigentlich unerlaubten sozialpsychologischen Deutung - war auch die familiäre Herkunft meines Vaters wichtig. Sein Vater stand ja im Dienst - und zwar in führender Stellung - beim König von Württemberg, seine Mutter war Hofdame bei der Königin. Sie war literarisch hoch interessiert. So stand sie beispielsweise im Briefwechsel mit Rilke. Da kam also über die Mutter einiges an literarisch-philosophisch Weltanschaulichem in dieses Familienleben hinein. Und als Bub mit elf Jahren hat er dann das Ende jener Welt erlebt, in der er bis dahin groß geworden war, also Stuttgart, das Königshaus, das Familienleben - ein für seine Familie tiefer Umbruch. Im Hintergrund der Erziehung meines Vaters stand nicht eine preußische Kadettenanstalt, sondern ein Gymnasium in Stuttgart in einem Umfeld, von dem wir von Theodor Heuss her noch wissen, dass dort der intellektuelle, professorale Liberalismus eine erhebliche Rolle gespielt hat. Es war also eine intellektuell plurale, eine liberal und literarisch geprägte Umwelt, die hier auf ihn eingewirkt hat. Die Entscheidung, Offizier zu werden, beruhte ja auch nicht auf der Lust am Militärischen oder am Kriegsspielzeug, sondern auf der Einsicht, dass in dieser Umbruchsituation geeignete und starke Führungspersönlichkeiten auch und gerade in der Reichswehr benötigt werden.

Sie würden sagen, diese Betonung der Entschlossenheit, das ist schon eine Stilisierung, damit beginnt schon der Heldenkult?
Dass er ungewöhnlich entschlossen, hartnäckig und sich selber treu war und geblieben ist, das ist sicherlich richtig. Dies aber nun absolut zu setzen und daraus ein dominierendes Bild zu machen, das wäre schon Stilisierung. Gewiss ist das bei ihm eine überdurchschnittliche, undurchschnittliche Charakteristik, da habe ich gar keine Zweifel. Aber das zu vereinsamen und zu heroisieren, das halte ich für genauso falsch wie die Saulus-Paulus-Legende, die besagt, er sei anfangs ein begeisterter Anhänger Hitlers gewesen und erst in einem dramatischen Erkenntnisprozess - kurz vor Damaskus - zur Einsicht gekommen. Diese zwanghaften Deutungen bleiben allesamt falsch: Diese Eindimensionalität haben Menschen nicht, jedenfalls nicht Menschen, die was taugen.“


Wir sprechen zuviel über St., zu wenig über das Bürgertum. Adel und Bürgertum ist das Thema.


Link
http://www.sueddeutsche.de/kultur/interview-franz-ludwig-von-stauffenberg-er-war-kein-saulus-der-zum-paulus-wurde-1.439521




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