Diskussion historischer Ereignisse Adel und Bürgertum

trux
trux
Mitglied

Re: Adel und Märchen
geschrieben von trux
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 07.03.2011, 12:58:25
Ich finde, dass in dieser Debatte der Adelsstand geschichtlich nur schwach beleuchtet wird.

In der Ahnenforschung befasse ich mich auch mit den Nürnberger Patriziern, versuche aber noch weiter zurück zu recherchieren. Mir geht es um Personen eines bestimmten Namens, ich nenne sie G. Es wäre eine Lebensaufgabe, alle Archivalien in den Archiven zu studieren und auswerten zu wollen, Urkunden, Prozessakten, Briefe, und andere Dokumente. Ein Leben würde dazu nicht ausreichen. Man steht dabei stets in der Geschichte, kommt gar nicht auf den Gedanken, etwa die Person oder die Personen zu bewerten, die man gerade im Blick hat, man arbeitet wertneutral.

Im Mittelalter gab es in Europa noch keine Nationalstaaten. Deutschland war bis 1871 ein Staatenbund. In der Geschichte Deutschlands hat man es u. a. mit dem Fränkischen Reich, dem Papsttum, dem Rittertum und dem Heiligen Römischen Reich zu tun. Das Lehnswesen entstand im Frühmittelalter. Die Könige setzten für ihre Güter Verwalter (Ministerialen) ein. Es entstanden Adelsränge, höherer und niederer Adel. Die ersten Adelsbriefe wurden vom Kaiser Karl IV. ausgestellt. Im 15. Jh. begann die Staatenbildung in Form von Herzogtümern, Grafschaften, Fürstenbistümern, usw.

Der Adel verlor seine Privilegien nach der Französischen Revolution, in Deutschland hatten sie noch bis ins 20. Jahrhundert Bestand, wurden 1919 abgeschafft.

Die Patrizier G. bekamen 1471 ein eigenes Wappen und waren im Heiligen Römischen Reich Ritter und reichsadelig. 1813 wurden sie im bayrischen Adel immatrikuliert und erhielten 1822 den Titel Freiherr. Inzwischen sind sie in Deutschland ausgestorben. Es war damals eben so, ich muss die Geschichte akzeptieren.

Die Beiträge im Thread über die Bewertung des Adels, die auf meine abgespeicherten Informationen treffen, passen kaum zusammen. Auch die Bemerkung von sarahkatja am 06.03.2011 18:11, dass Beamte von oben auf Angestellte herabschauten, ist so nicht in Ordnung, das möchte ich noch erwähnen. Früher gab es nur Beamte in der öffentlichen Verwaltung, Angestellte erst nach den Kriegen zur Bewältigung der Arbeit. Beamte und Angestellte bewältigen heute nebeneinander die anfallenden Arbeiten.

Trux
lifong2007
lifong2007
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Re: Adel und Märchen
geschrieben von lifong2007
als Antwort auf trux vom 07.03.2011, 14:27:37
Danke für die sachliche Information. Lifong2007
Marija
Marija
Mitglied

Re: Adel und Märchen
geschrieben von Marija
als Antwort auf trux vom 07.03.2011, 14:27:37
Hallo Trux,

vielen Dank für deine wunderbaren Ausführungen.

Leider kann ich sie, aus
vielfältigen Erfahrungen heraus, nur teilweise bestätigen.

Nach meinen Erkenntnissen gibt es auch heute noch viele Vorteile für Adelige.
Sie haben einfach andere Wege und Zugänge und mehr Insiderwissen.

Sicherlich kann man nicht alle über einen Kamm scheren.
Und die 68ziger verhalten sich anders als ihre Söhne und Töchter - diese tragen die Nase bereits wieder sehr, sehr hoch !

Gruß
Marija




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olga64
olga64
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Re: Adel und Märchen
geschrieben von olga64
als Antwort auf Marija vom 07.03.2011, 15:42:38


Nach meinen Erkenntnissen gibt es auch heute noch viele Vorteile für Adelige.
Sie haben einfach andere Wege und Zugänge und mehr Insiderwissen.

Gruß
Marija



Zur Komplettierung Ihrer "Erkenntnisse (?)": der Adel verfügt weltweit über ein gutes Networking (viele sind mit vielen verwandt und verschwägert) - die Bürgerschaft nicht (die meisten sind untereinander verkracht). Olga
clara
clara
Mitglied

Re: Adel und Bürgertum
geschrieben von clara
als Antwort auf olga64 vom 07.03.2011, 16:51:37
Aber in hochadeligen Kreisen gibt es auch genug Verwandtschaftsstreitereien, s. im beliebten englischen Königshaus. Ich glaube nicht, dass es bei Königs und darunter anders zugeht, als in biederen Bürgerhäusern.
Positive Beispiele dafür, dass junge Adelige nicht mehr so versnobt sind wie frühere Generationen, sind Ehen zwischen Prinzen und Prinzessinnen mit Bürgerlichen. Früher gab es bei solchen Verbindungen Morde, Selbstmorde und andere Tragöden, dankbare Themen für Schriftsteller. Die andere Einstellung kann aber auch an Ermangelung geeigneter Partner aus Adelskreisen liegen.
Interessant - wenn es denn stimmt, sind die Ansprüche von Adelsfamilien an ihre Sprößlinge. Das kann zu Frust führen.

Linktipp

Daraus: .... Wobei der sanfte, aber unerbittliche Druck in einer Adelsfamilie nicht zu vergleichen ist mit dem Druck, dem Arbeiterkinder ausgesetzt sind, wenn sie das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachholen. Die Tradition, die Ehre und das Ansehen der Familie stehen auf dem Spiel, von den Latifundien und den Millionen, die sinnvoll verwaltet und angelegt werden wollen, ganz zu schweigen.

Clara
Mitglied_81b4260
Mitglied_81b4260
Mitglied

Re: Adel und Bürgertum
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf clara vom 07.03.2011, 18:41:47
Wo, wenn nicht dort ist es wichtig die Maske zu wahren, das heißt unter den Teppich zu kehren.

Erst diejenigen, die da nicht mitmachen, werden ausgeschlossen.

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carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Ein Beispiel preußischer Tugenden
geschrieben von carlos1
als Antwort auf clara vom 04.03.2011, 22:28:53
„Dies sind unmissverständliche Worte, die an seiner elitären und rassistischen Gesinnung zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht zweifeln lassen. Angesichts der Tötungsmaschinerie der Nazis, von der St. wahrscheinlich wusste, legte er seinen Antisemitismus später ab, so wie ja auch seine anfängliche Begeisterung für den Nationalsozialismus schwand.“ Clara


@ clara
Ich bin beschäftigt und komme mit dem Lesen nicht nach. Danke für die Erwiderung, clara.

Bei der Beurteilung von Personen unterliegen wir leicht der Gefahr Personen zu etikettieren. Die Textstelle aus dem Brief Stauffenbergs an seine Frau Nina vom 13/14.9. 1939 aus Kozienice südlich von Warszawa (Warschau) ist in einer Situation großer Anspannung geschrieben worden. Die Division des damaligen Oberleutnants war zeitweise von drei Seiten von zahlenmäßig überlegenen Kräften angegriffen worden und hatte die bis dahin schwersten Verluste hinzunehmen, war umgeben von sich auf Warschau zurückziehenden polnischen Verbänden. Es gibt eine ganze Reihe von weiteren Briefen, die Einblick in seine Denkweise geben. Sie entsprach der Genugtuung eines Siegers. Wiederholt berichtet er seiner Frau, dass er in heruntergekommenen Adelssitzen Quartier nehme und dort herrliches Mobiliar im Empirestil vorfinde. Er hatte keine Gelegenheit das Wüten der SS-Einheiten hinter der Front zu beobachten (Erschießungen). Er erwähnt die polnische Oberschicht, die von der anrückenden Roten Armee wohl nach Sibirien geschafft würde und spricht von materieller Beute. An menschlichen Regungen ist zu berichten, dass er einen Offizier, der zwei schwachsinnige polnische Frauen im Besitz von Taschenlampen, die sich auf einem Dachboden versteckt hielten, erschießen ließ, vor das Kriegsgericht brachte, wo er degradiert wurde.


„Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk.“


Ich sehe darin weniger Rassismus, eher das im Hitlerreich übersteigerte von Vorurteilen und Feindschaft geprägte Überlegenheitsgefühl der Deutschen gegenüber Polen. Stauffenberg hatte immer Kontakt zu jüdischen Mitgliedern des „Geheimen Deutschlands“ (des Geheimbundes um Stefan George) gehalten. Seine Schwägerin Melitta, die Tochter seines Bruders Alexanders, Professor für Alte Geschichte, war die Tochter eines jüdischen Pelzhändlers aus Odessa, der nach 1919 sich für Polen optierte und in Krotoschin blieb, wo Melitta geboren wurde. Die Heirat des Bruders mit der Halbjüdin Melitta, fand 1937 statt, zwei Jahre nach Inkrafttreten der Nürnberger Rassegesetze, der den Kontakt zu Juden unter Strafe stellte. Melitta Gräfin Schenk zu Stauffenberg war als Mathematikerin und Physikerin sehr kompetent, physisch sehr leistungsfähig. Sie wurde Testpilotin der Luftwaffe und flog Sturzkampfbomber wie Ju 88 und Ju 87 ein. Mehrere Sturzflüge pro Tag waren für sie üblich. Sie hatte die zweithöchste Zahl an Sturzflügen in der Luftwaffe und erhielt hohe Auszeichnungen. St. bat sie im Juni 44 ihn zu Besprechungen ins Führerhauptquartier zu fliegen. Sie war (vermutlich) in die Pläne für das Attentat eingeweiht, konnte aber aus dienstlichen Gründen kein schweres Fluggerät zur Verfügung stellen, nur einen Fieseler Storch, der jedoch mehrfach hätte auf der Strecke Berlin Wolfsschanze hätte aufgetankt werden müssen. Nach dem 20. Juli wurde sie verhaftet. Anders als von Himmler verkündet (alle Mitfglieder der Familie Stauffenberg werden „ausgelöscht“, kam sie aber mit Alexander frei, da sie für die Rüstung unentbehrlich war. Melitta hat alles versucht den Inhaftierten nach dem 20. Juli zu helfen. Sie besuchte sie 1945 in zweimal Buchenwald. Anfang 1945 wurde sie bei Straßkirchen in Bayern in ihrer kleinen unbewaffneten Bücker von einem amerikanischen Jagdbomber abgeschossen und starb zwei Stunden nach der Notlandung.

Rassismus und Antisemitismus in der Familie Stauffenberg kann ich das nicht nennen. Alexander hatte viel früher als sein Bruder die Abgründe des NS-Systems erkannt (beeinflusst wohl durch seine jüdische Frau Melitta). Es trifft jedoch nicht zu, dass Claus erst durch die drohende Niederlage sich gegen Hitler stellte. Die erste deutliche Kritik an Hitler erfolgte am Ende des Frankreichfeldzuges und betraf handwerkliche Fehler der militärischen Führung. 1942 erfuhr er die Wahrheit über die Vorgänge der deutschen Besatzungspolitik im Osten, lange vor Stalingrad


In dem von Stauffenberg formulierten „Eid“ heißt es u.a.:
Wir [...] verachten aber die Gleichheitslüge und fordern die Anerkennung der naturgegebenen Ränge.
Du meinst den Schwur. Es ist der Eid, den Soldaten abzulegen haben. Vielmehr handelt sich dabei um eine Zusammenfassung der im Geheimen Deutschland vorhandenen Ideen und Zielsetzungen, die nach dem Tode des Dichters George festgelegt waren. Claus und sein Bruder Berthold waren nach dem Tode Mehnerts als Sachwalter der Stiftung bestellt worden. Nach dem Vorbild seines berühmten Ahnen Gneisenau 1807, sollten alle Mitglieder wie nach der Schmach der Niederlage durch einen Schwur gebunden werden. Das obige Zitat gibt die Gedankengänge des Dichters George wieder. Der Kreis knüpft an Gedanken des Freiherrn von Stein, Hölderlin, Fichte etc an. Es geht um geistige Erneuerung, geistige Führerschaft, um einen platonischen Staat. Bevor die Schüsse fielen soll Stauffenberg nach Zeugen gerufen haben „Es lebe das heilige Deutschland“. Marion Gräfin Dönhoff bezieht dies auf das Geheime Deutschland.

Der Schwur ist kein Verfassungsdokument. Er erklärt den als deutsch empfundenen Weg der Staatsgestaltung. Eine Erneuerung Dtlds wurde gesehen als Abkehr „der vom Westen importierten ….. formaldemokratischen Verfassung“ nach dem „bündischen Prinzip, d. h. nach demjenigen detuschen Lebensgesetz, dem allein die großen geschichtlichen Leistungen unserer Nation zu verdanken sind.“ (C. von Hofacker 1930, vgl Hofmann, Stauffenberg und seine Brüder, S. 468). Zu diesen großen Leistungen zählen das mittelalterliche Reich des universalen Kaisertums, die Ritterorden, der preußische Staat des Frhr von Stein, die preußisch-deutsche Armee. Wir sehen aber einige Dinge ganz anders.


Wir leben nach 1945 in einer völlig anderen Welt. Deutschland ist im Westen verankert. Rechtlich anerkannte „naturgegebene Ränge“ gibt es nicht, dafür Rechtsgleichheit. Dagegen steht die Auffassung Stauffenbergs (und Georges!) von der „kleinen Schar der Berufenen“, die mit der Masse nichts zu tun haben. Das geheime Deutschland sah sich als Führende, die den anderen in Sinn, Zucht und Opfer vorausgehen. Es sind eigentlich Gedanken aus der Reformzeit Preußens.


Die Erziehung der Stauffenbergbrüder war wesentlich geprägt durch die Mutter. Sie war nie in die Geheimnisse der Küche eingedrungen, aber sie liebte die Musik, die Literatur, die Poesie. Claus schrieb Gedichte i der Jugend. Der Vater war praktisch interessiert, konnte Möbel reparieren, elektrische Leitungen verlegen, tapezieren.

http://de.wikipedia.org/wiki/Melitta_Schenk_Gr%C3%A4fin_von_Stauffenberg


carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Ein Beispiel preußischer Tugenden
geschrieben von carlos1
als Antwort auf carlos1 vom 07.03.2011, 23:20:29
Es tut mir Leid, dass der Text so lang wurde.

Einige Auslassungsfehler stören. Beim Schwur muss es eißen:

Es ist nicht der Eid gemeint, den Sodaten abzulegen haben."

c
Marija
Marija
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Re: Ein Beispiel preußischer Tugenden
geschrieben von Marija
als Antwort auf carlos1 vom 07.03.2011, 23:20:29
@carlos1,

...einfach großartig ! Danke !
Marija


Stauffenberg wandelte seine Einstellung zu Hitler erst relativ spät - nachpreußisches Gedankengut war stets vorhanden.
Die Ereignisse an der Front, auch seine Verwundung, haben ihn letztlich verändert.
Es darf nicht vergessen werden, dass gerade der Offiziersadel in preußischer Pflichterfüllung den Wehrdienst unter Hitlers
Herrschaft erfüllte. /M.
Marija
Marija
Mitglied

Re: Adel und Bürgertum
geschrieben von Marija
als Antwort auf clara vom 28.02.2011, 16:05:10
Leserkommentar aus Spon-Blog Britisches Königshaus - sehr treffend !

"
Niemand braucht ein Königshaus.
Alle Royals dieser Welt gehören einer Spezies an, die nichts, aber auch garnichts mehr in Demokratien zu suchen hat.

Prinz Andrew ist nur ein besonders widerliches Exemplar dieser unnützen, blasierten, abgehobenen, von ihren "Untertanen" alimentierten königlichen Clique, die mit ihren lächerlichen Ritualen u. in ihren operettenhaften Gewändern ein unzeitgemäßes Theater für alle Liebhaber, -innen des Boulevard aufführt.

Die Verehrung, die diese adeligen Taugenichtse (zu Unrecht) genießen, sollte jeden aufrechten Demokraten anwidern."


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Britisches Königshaus: Prinz Peinlich blamiert die Krone

Hehehe
Marija

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