Diskussion historischer Ereignisse 1968 !

Re: 1968 !
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf carlos1 vom 14.04.2008, 23:23:07
Carlos, das ist sehr interessant, was du da schreibst. Ich habe nämlich gerade eben ein Interview mit Claus Peymann gesehen, in dem er genau das gesagt hat, was du jetzt auch geschrieben hast: dass die herausragende Gestalt 1968 Willy Brandt war. Aber auch auf die damals für ihn sehr wichtige und positiv besetzte Rolle Otto Schilys wies er hin, der auf viele unsägliche Rechtsverstöße von Staat und Polizei hingewiesen hatte, die mit brachialen, undemokratischen, stinkautoritären Methoden gegen die Demonstranten vorgingen. Überhaupt machte er darauf aufmerksam, dass die Rolle des immer noch sehr faschistisch, knallhart agierenden Staates während der Zeit zu wenig gesehen wird, weil die Studenten bei den Debatten darüber immer im Vordergrund stehen.

Im übrigen hatte ich gleich nach Eröffnung dieses Threads auf Götz Aly hinweisen wollen, (Bertha ist mir zuvorgekommen), dessen Thesen in letzter Zeit in einigen Zeitungen kontrovers diskutiert wurden. Das, was du schreibst, entspricht in etwa dem, was er auch behauptet: „dass im Jahre 1968 eine Modernisierung, eine Reform etc. der deutschen Gesellschaft nicht mehr nötig gewesen sei, weil die wesentlichen Reformen (so auch die Auseinandersetzung mit der nationalsozialitischen Vergangenheit) schon erfolgt sei oder voll im Gange sei.“ (Zitat Bertha)

Er geht aber noch weit darüber hinaus: Denn er bezeichnet die 68er als „Spätausläufer des Totalitarismus mit einer gewissen Nähe zum Nationalsozialismus“ (Zitat Klappentext seines Buches), das ich nicht gelesen habe (aus Perlentaucher entnommen, s. Link).
Das sind Thesen, die man wirklich nur mit einem großen Fragezeichen versehen kann, und sein Buch ist auch meistens eher verrissen worden. Aber interessant ist, dass einer, der dabei aktiv mitgemacht hat, es heute so bewertet. Schon der Titel Unser Kampf ist ja schon eine sehr gewagte Anspielung auf Hilers Mein Kampf, das geht m. E. tatsächlich erheblich zu weit.

Was mich persönlich betrifft: Ich war politisch eine entsetzliche Spätentwicklerin, lebte 1968 tatsächlich in Paris, dem Zentrum der Revolte, und kriegte so gut wie nichts mit. D. h. genau besehen war ich in der heftigsten Zeit im Sommer an der Cote d'Azur (als au pair) und kam nach Paris, als die größten Straßenschlachten vorbei waren. Die Spuren davon konnte ich allerdings im Quartier Latin noch besichtigen, es sah alles ziemlich verwüstet aus, daran kann ich mich erinnern. Aber mein politisches Interesse ist erst sehr viel später erwacht, damals hat mich das nur am Rande interessiert, weil ich mehr mit persönlichen Selbstfindungsprozessen beschäftigt war. Woran ich mich allerdings gut erinnere, ist die heftige und sehr schockierte Diskussion in meiner vornehmen au-pair-Familie am Mittagstisch nach dem Einmarsch der Russen in der Tschechoslowakei, und dass sie sehr aufgebracht und besorgt waren. Das hat mich damals allerdings auch eher tangiert als das meiste andere, was da stattfand.
--
marina
adam
adam
Mitglied

Re: 1968 !
geschrieben von adam
als Antwort auf carlos1 vom 14.04.2008, 23:23:07
Grüß Dich Carlos,

wie immer ein interessanter und lesenswerter Beitrag von Dir. Nur, ich interpretiere Karls Bemerkung über die Autorität anders als Du. Die Gesellschaft drohte damals nicht zu erstarren, sie war es bereits, weil eine enttäuschte Generation ihre Rettung in alten Werten suchte. Für mich persönlich haben die 68er nie einen hohen Stellenwert eingenommen, weshalb ich sie auch nicht verkläre.

Warum wird immer darüber diskutiert, was nach den 68ern passierte? Du hast ja recht, daß es keine Epoche war! Es sollte darüber gesprochen werden, was vor den 68ern passiert ist. Da gab es eine Jugend, die sich selbst, durch Hinterfragung einer falschen Autorität, aus der Subkultur zog und ganze Wirtschaftszweige begründete, die bis heute ihren Nachhall haben.

Heute reden vernünftige Eltern mit ihren Kindern und erteilen ihnen keine Befehle. Das ist doch das wahre Echo der Sechzigerjahre und nicht kurzfristige idiologische Streitereien.


--

adam
nasti
nasti
Mitglied

Re: 1968 !
geschrieben von nasti
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 15.04.2008, 00:38:25
MArina,

meine politische Interesse ist gerade nach Jahre 1968 erlöschen, ich war in nähe, ich arbeitete mit viele Politiker zusammen in die Jahre.
Ein sehr guter Freund mit Partei Buch hat mir jeder morgen ein Cafe gekocht in Redaktion. Und er glaubte an die kommunistische Idee, er war ein
Idealist.
Ein morgen haben wir Ihm in seinem Zimmer mit 32 Messerstichen tot gefunden, hat sich das selber zugefügt. Aus Enttäuschung, wir waren alle schockiert, und täglich bekamen wir drohende Briefe und Telefonate, einige waren zusammengeschlagen vor der Türen; ich auch einmal, obwohl ich kein Parteibuch hatte, trotzdem. Ich war befreundet mit meiner Kollegen, alle waren Menschen mit eine Überlegungswille, und hatten nicht vor ohne Arbeit irgendwo Mühlabfuhr machen.
So die traurige Seite der 68-er nur so minimal erwähnt.

Noch trauriger ist der Blick für die ehemalige Hippys Kolonie in Ibiza. Fast alle gebrochene alte Menschen.

Nasti

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niederrhein
niederrhein
Mitglied

Noch ein Beitrag ... auch mit einem persönlichen Statement
geschrieben von niederrhein
als Antwort auf hydelber vom 13.04.2008, 14:55:25
Kann es so etwas wie eine verbindliche Beschreibung und Bewertung der Ereignisse des Jahres, der Jahre 1967, 1968 ff. geben?

Auf der einen Seite einige Anlässe, die wiederum eine Reihe von Ereignissen auslösten, Bewegung und Unruhe in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen (von der Universität bis hinein in Familien) brachten, auf die eben die Menschen damals sehr unterschiedlich reagierten ... ja nach persönlicher Betroffenheit, nach Region (Universitätsstadt, Großstadt, Kleinstadt, Dorf, Land ...).
Wo sich normale pubertäre Rebellion mit gesellschaftlich-politischer Kritik vermischten, wo sich aber auch „Ungezogenheit“, dummes Fehlverhalten, schlichtweg nur persönliche Interessen politisch bemäntelten und rechtfertigten etc. etc.
(Das ist hier nur eine Feststellung, keine Kritik)


So wie sich also das – gegebenenfalls auch manchmal sehr wilde und chaotisch-spontane – Geschehen damals nicht einheitlich erfassen läßt, so unterschiedlich sind heute die Ansätze zur Beschreibung und Beurteilung.

Kurz: Offenbar reagieren viele einfach nur nach der Art ihrer Betroffenheit, d.h. sehr selektiv und subjektiv. (Unter diesen Aspekt sehe ich auch das Buch von Götz Aly. Das Interessante daran ist für mich dann: Warum reagieren sie so?)
Für manche hat diese Zeit keine Bedeutung (vielleicht habe sie irgendwo auf dem flachen Land gelebt ...?), für andere bekam sie - auch im Rahmen ihres Erwachsenwerdens - eine nahezu existentielle Bedeutung und wird heute verklärend gesehen ...
Die einigen beschreiben und rechtfertigen ihr – wohl durchaus berechtigtes? – politisch-pubertäres Aufbegehren gegen Autoritäten und autoritäre Instanzen, Institutionen und Personen, was dann aber auch von anderen oder soll man sagen: von der Gegenseite als unverzeihlich und als ein Art Untergang von Staat, Gesellschaft etc. angesehen wird.
Nicht wenige junge Menschen sahen bzw. sehen das Ganze damals mehr privat-persönlich als einen Protest gegen fest-zwanghafte Familienstrukturen, gegen moralisch-sittliche Normen (etwa im Bereich der Sexualität); die gesellschaftlich-politische Seite hat sie dann offenbar nicht interessiert.

Auch die Forderung nach einer Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit war nur allenfalls ein partielles bzw. sehr geringes Interesse.
Der (vor allem ältere) Mehrheit der Gesellschaft damals, ebenfalls die Mehrheit der politischen Verantwortlichen wünschten es nicht. (Man spricht nicht umsonst von der vorausgegangenen restaurativen Epoche der BRD.)
Und wenn mit Recht etwa auf „Kogons über den SS-Staat“, Publikationen von Hannah Arendt etc. hingewiesen wird (allein die Zeitschrift „Der Ruf“, 1946 gegründet, setzte sich unmittelbar nach dem Krieg mit dem Nationalsozialismus auseinander – eine Zeitschrift, die nur eine ganz kleine Minderheit erreichte ), sowohl diese Bücher als auch andere Formen der Vergangenheitsbewältigung waren keine Angelegenheit der Politik und Gesellschaft. Wer kannte diese Bücher? Wer wollte sie lesen? Wie war die Reaktion von Presse und Kritik? Wie groß war deren Reichweite? (Immerhin bewirkt das Fernsehen heute auf Anhieb eine größere Reichweite als jemals zuvor.)

„Eichmann wurde 1960“ nicht von den Deutschen oder auf deutsches Interesse hin „verhaftet und 1962 vor Gericht gestellt“. Personell hatten in Bereichen der Justiz, Medizin, Forschung und Lehre, an den Schulen, in der Wirtschaft etc. keine Trennung und/oder Aufarbeitung stattgefunden. Daimler-Benz, Deutsche Bank, Dresdner Bank ... hier ließen sich fast alle Firmen und größeren Betriebe anführen ... erst in den 80er, 90er Jahren begannen deren Ansätze zur Aufarbeitung. (Ich erspare mir und dem Publikum hier eine Liste von Titeln anzuführen! Irgendwo liegt noch bei mir ein Ärzteblatt aus dem späten 80er Jahren herum ... Titelthema: Die Ärzteschaft im 3. Reich)
Und Erwin Leisers Dokumentationsfilm „Mein Kampf“: eine aus meiner (sicher nicht nur persönlichen) Sicht nach wie vor unübertroffene Dokumentation – 1960 hier, in der BRD, erstmals aufgeführt. Es wäre interessant zu erfahren bzw. zu wissen, welche Verbreitung mit welcher Resonanz diese Dokumentation damals fand? Wann z.B. wurde dieser Film das erste Mal bzw. wie oft im Fernsehen gezeigt? Wie reagierten damals Presse und Öffentlichkeit? Wieviel Menschen in Deutschland haben diesen Film vor den späten 60er Jahren gesehen?

Besonders in Familien, in denen ältere Mitglieder namhaft in und mit dem Nationalsozialismus „involviert“ waren ... bis in die Gegenwart ist z.T. diese nationalsozialistische Vergangenheit nicht aufgearbeitet, wie etliche aktuelle Publikationen beweisen (neben mir liegen gerade z.B. die Bücher von Katrin Himmler, Richard von Schirach) ... besonders in diesen Familien engagierten sich (leider nur) „einige“ jüngere Mitglieder in der 68er Bewegung bzw. wurden maßgeblich davon beeinflußt (als vielleicht besonders bekanntes Beispiel: Jutta Ditfurth).
Und genau diese Gesellschaftsschicht reagiert bis heute äußerst betroffen oder besser: aggressiv auf die 68er-Bewegung, wie seit Jahrzehnten – oft sehr haßerfüllte – Leserbriefe und Artikel gerade in der FAZ beweisen.
Jene Bourgeoisie, im (Selbst)Bewußtsein einer gesellschaftlicher Elite, empfand die 68er-Bewegung als eine Art gesellschaftlicher Entthronung, als eine sündhafte Gleichmacherei, wie bis heute etliche Publikationen beweisen.
In diesem Zusammenhang, damit das Anekdotenhafte, das Lustige hier nicht zu kurz kommt, etwas: 1970 im Behandlungsstuhl meiner sonst sehr tüchtigen Zahnärztin; sie: „So weit ist es also gekommen, meine Putzfrau schickt ihre Tochter aufs Gymnasium.“ Ich konnte leider, Klammer im Mund, nicht spontan nicht darauf antworten ...
Sowohl informativ als auch amüsant die folgende Publikation, wobei nicht der statistisch diagnostizierte und beschriebene Wertewandel, sondern der Titel „Werden wir alle Proletarier“ signifikant für die Ängste der Bourgeoisie ist ...

http://community.seniorentreff.de/storage/pic/userbilder/a30f1d57825f100a5a9ba38c76fffe20/buechertitelundanderematerialien/64927_1_Buechertitel_und_andere_Materialien.jpg[/img]


Abschließend ... weil ja im Ausgangsbeitrag nach einer persönlichen Stellungnahme gefragt worden ist: Für mich war etliches in dem breiten Strom der 68er-Bewegung irrelevant: Kein interfamiliärer Protest gegen meine Familie (die hatten liebenswürdigerweise die nationalsozialistische Mordbande vorher getötet), keine sexuelle Revolution (ich war 1968 bereits 34 Jahre), Protest gegen Konventionen und konventionelle Einrichtungen, antiautoritärer Protest ... allenfalls peripher (siehe das Alter!). Aber entscheidend war - neben dem neuen Frauenverständnis! - meine historisch-politische Sozialisation und Emanzipation. Von einem unpolitischen, fast ausschließlich literarisch-künstlerisch-musikalischen Menschen zum [i]homo politicus
, der von Marx und Ernst Bloch, von Adorno und Horkheimer (Arno Plack habe ich auch gelesen ...) etc. etc. ausgehend, partizipierend am gesellschaftlich-politisch-ökologischen Geschehen bis zum Ende seines Lebens dies, ein homo politicus, auch bleibt.

Was ich bedaure ... die Popmusik jener Zeit habe ich nicht oder allenfalls nur peripher wahrgenommen, aber das hole ich ja jetzt nach ...

Die Bertha
vom Niederrhein



P.S. Da ja Peter Sloterdijk dem Jahr 1968 eine welthistorische Bedeutung zuspricht, wäre es interessant, ob in anderen (nicht nur europäischen) Ländern das Jahr 1968 eine Bedeutung hatte ... (Tschechoslowakei; Frankreich z.B.)

P.P.S. Die damaligen Bewohner der DDR ... sie haben jene Zeit sicher anders erlebt und müßten dementsprechend eine andere Haltung Meinung haben?
angelottchen
angelottchen
Mitglied

Re: Noch ein Beitrag ... auch mit einem persönlichen Statement
geschrieben von angelottchen
als Antwort auf niederrhein vom 15.04.2008, 10:40:00
zur freundlichen Erinnerung an 1968 ..

* Die Hongkong-Grippe fordert zwischen 750.000 und 1 Million Menschenleben
* 1. Januar: Überschwemmungen im Bundesstaat Bahia in Brasilien. Über 200 Tote und rund 50.000 Obdachlose
* 15. Januar: Erdbeben in Sizilien, 231 Tote und 263 Verletzte
* 21. Januar: Ein US-Langstreckenbomber vom Typ Boeing B-52 stürzt unweit der Thule Air Base in Grönland ab. Er verliert dabei vier Wasserstoffbomben. Drei können aus dem Eismeer geborgen werden. Die Suche nach der vierten ist erst im Jahr 1979 in der Baffin Bay erfolgreich. Der Absturz löst radioaktive Kontaminationen in der Umgebung aus.
* 8. März: Vermutlich eine Explosion an Bord des sowjetischen U-Boots K-129 lässt es auf den Meeresgrund sinken. Alle 98 Besatzungsmitglieder finden den Tod. Der Untergang ist Anlass zum Jennifer-Projekt, dem geheimen Versuch der CIA, das U-Boot aus über 5000 Metern Tiefe zu bergen
* 20. April: Windhoek, Namibia. Absturz einer südafrikanischen Verkehrsmaschine. 129 Tote
* 22. Mai: Das amerikanische Atom-U-Boot USS Scorpion (SSN-589) sinkt mit 99 Mann 400 Meilen südwestlich der Azoren
* 15. August: Erdbeben auf Celebes, etwa 68.200 Tote
* 31. August: Erdbeben der Stärke 7,3 im Iran, 12.000 bis 20.000 Tote

Musik:

* kehrt nach rund 8-jähriger Bühnenabstinenz ohne Drogenabhängigkeit wieder zurück,

nimmt am 13. Januar sein Album "Live at Folsom Prison" (live im Folsom-Gefängnis, Represa, CA) auf und erreicht den Zenit seiner Popularität. Das legendäre Album wird "Country Music Album of the year" und ist bis heute in seiner Form beinahe einzigartig (abgesehen von Cash's zweitem Gefängnis-Album, das 1969 in San Quentin, CA, aufgenommen wurde.

* Die Band Deep Purple wird gegründet und ihr erstes Album Shades Of Deep Purple erscheint.

* Massiel gewinnt am 6. April in London mit dem Lied "La, la, la..." für Spanien die 13. Auflage des Eurovision Song Contest




--
angelottchen
niederrhein
niederrhein
Mitglied

Eine inhaltliche Verbesserung und Ergänzung zu meinem unmittelbar vorausgegangenen Beitrag
geschrieben von niederrhein
als Antwort auf niederrhein vom 15.04.2008, 10:40:00
Eine inhaltliche Verbesserung und Ergänzung zu meinem unmittelbar vorausgegangenen Beitrag


Personell hatten in Bereichen der Justiz, Medizin, Forschung und Lehre, an den Schulen, in der Wirtschaft etc. keine Trennung und/oder Aufarbeitung stattgefunden.


Es soll heißen ...


Sowohl personell als auch inhaltlich hatten in Bereichen der Justiz, Medizin, Forschung und Lehre, an den Schulen, in der Wirtschaft etc. weder eine Trennung noch eine Aufarbeitung stattgefunden. Jetzt erst setzt man sich offensichtlich mit der Herkunft des industriellen Vermögen der Familie Quandt auseinander.

B.

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eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Eine inhaltliche Verbesserung und Ergänzung zu meinem unmittelbar vorausgegangenen Beitrag
geschrieben von eleonore
als Antwort auf niederrhein vom 15.04.2008, 11:16:26
1968........ich war noch ein schulkind, udn die nachrichten in staatliche zeitungen, radio und TV waren mit sehr viel camouflage versehen, was den *westen* angeht.

1968 august.......ein kleine geophysische kongress, mit teilnahme von wissenschaftler aus der ehemalige DDR, neben anderen.
eine kollegin von mama (aus dresden) durfte samt gatte, der in armee war zu uns einreisen.
damit meine ich mein heimatstadt, die ja direkt an die grenze liegt,und bürger der befreundete brüderstaaten durften nur mit sondergenehmigung rein.

1968 august........alle hängen an radio und an fernseher.
wir konnten ja auch wien empfangen, so wussten wir mehr.

prag.
züge fahren nicht durch den tschechoslovakei, nix geht.
die dame aus dresden macht sich sorgen, der mitgereiste gatte ist immerhin major.
bestätigung von ungarische innenministerium eingeholt, das definitiv keine möglichkeit besteht, weder fliegen noch zug, momentan zu reisen.
über österreich dürfen die nicht.

irgendwann geht es dann doch, sie fahren beruhigt und mit -zig atteste von ungarische behörden ab.

unsere briefe ab dann wurden nicht beantwortet.
telefon in dresden blieb stumm.
ein lapidare mitteilung aus dresden,monate später, die dame wurde versetzt, irgendwo in wallachei.
von ihr mann nichts.

nach der wende erfuhren wir, dass sie degradiert wurde zu irgend messlatten trägerin, ihr mann kam in knast.

dass war mein erlebnis zu 1968.



--
eleonore
hafel
hafel
Mitglied

Die 68er Bewegung, nicht nur ein Glücksfall, auch zum Teil ein Irrtum
geschrieben von hafel
als Antwort auf silhouette vom 13.04.2008, 18:57:04
Mit "der Gnade der rechtzeitigen Geburt" streifte mein Leben die "68er- Bewegung". Im Jahre 1968 änderte ich meinen Arbeitsplatz. Ich wechselte aus einem hoch konservativen und spießigen Konstruktionsbüro, wo man mit seinem Chef nicht "kontakten" durfte, wenn die Kleiderordnung nicht stimmte (Krawatte, frisches Hemd, Sakko oder Anzug) dann zur Universität. Ein Unterschied wie schwarz und weiß. Dort schliefen in dem neu eingerichteten Institut die Mitarbeiter, die noch kein Zimmer hatten in ihren Labors in Hängematten!

Es war eine Zeit, wo keine Frau ohne die Zustimmung und Unterschrift ihres Mannes, ein Bankkonto eröffnen konnte. Homosexualität stand noch unter Strafe und Amerika führte Krieg gegen Vietnam.

1968 hat sich die Welt kulturell und sozial total verändert.... und zwar m.E. ins Positive. Das Individuum ist freier geworden. Trotz allem gibt jedoch die 68er Revolte auf die politischen Fragen von heute keine Antworten. Die Schwärmereien für die Arbeiterräte der 20er Jahre war und ist mehr als rückwärtsgewandt. Die Studentenbewegung hatte aber auch eine politisch-moralische Verantwortung. Die Mischung aus Revolte, Solidarität mit der „Dritten Welt“ und die Bewunderung für den Kampf gegen den Imperialismus hat ein Mischmasch ergeben. Der Terrorismus war dann leider eine von vielen möglichen Konsequenzen. Es war der Beginn einer Logik, die zu den tödlichen Folgen geführt hatte. Damals entstanden drei starke Netzwerke: in Italien, in Japan und in Deutschland. War das ein Zufall? Nein, es waren auch die „Achsenmächte“ des Zweiten Weltkrieges.... Hier gab es dringend Aufarbeitung. Es war eine Generation, die an der Verantwortung der Geschichte gescheitet. Die Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer war ein Verbrechen und diejenigen, die ihn umgebracht haben, waren totalitäre Mörder. Welch ein Irrtum!!! Das die RAF exakt zu dem geworden ist, was sie eigentlich bekämpfen wollte!

Aber die 68er Revolte führte auch Kritik an den Lebensformen. Die antiautoritäre Bewegung kritisierte die „Spießerfamilie“ und entwickelte ein neues Miteinander. Kinder stellten massenhaft ihre Eltern zur Rede und wollten wissen, ob auch sie Nazitäter waren. Die 68er Revolte machte sich auch am Vietnam-Krieg fest. Dieser Krieg war falsch und verbrecherisch, weil er wiederum ein wahnsinniges Elend geschaffen hatte. "Kämpfer aus der ersten Reihe" von 1968 traten dann jahrzehnte Später gegen eine Destabilisierung des Mittleren und Nahen Ostens durch die Taliban auf. Die Taliban attakiert die Weltordnung und ist dieser Kampf nicht mit der 68er Bewegung vergleichbar.

Ich denke, unsere Gesellschaft hat sich emanzipiert, alles ist freier geworden. Ein Fortschritt, der vor 1968 undenkbar war.

--
hafel
niederrhein
niederrhein
Mitglied

Noch ein Aspekt und/oder eine Anregung ...
geschrieben von niederrhein
als Antwort auf niederrhein vom 13.04.2008, 22:35:04
Im vorausgegangenen Beitrag schrieb ich u.a. davon, wie ich bei verschiedenen Besuchen in Berlin die Reaktion etlicher Berliner auf den Straßen, Verkehrsmitteln, Cafés erfahren und erlebt habe.

(Die Reaktion eines Berliner Taxifahrers)
Aber auch die folgenden Sprüche

[...]
(u.a. bezüglich Rudi Dutschke)
- Ungewaschene, verlauste, dreckige Kreatur, den man
umbringen sollte ...
- In den Sack stecken und über die Mauer schmeißen
- Vergasen, köpfen; Todesstrafe einführen;
- Verbrennen sollte man ihn; rausschmeißen
- Den Arsch versohlen
- Euch sollte man in die Zone schicken
- Ihr gehört alle ins KZ [...]


Es wäre doch auch interessant zu erfahren, wie die einzelnen ST-Mitgleider (soweit sie das Geschehen von 1968 tangierte und interessiert) die Reaktion ihrer damaligen Umwelt (Eltern, innerhalb der Familie, Nachbarn, Freunde etc.) erfahren haben ...

Diese Reaktion zeigt(e) nicht nur den Grad der Betroffenheit der einzelnen Personen, sondern diese ganzen Reaktionen könnten auch etwas von der Betroffenheit eines Teils der Bevölkerung wiedergeben.


Die Bertha
vom Niederrhein


Karl
Karl
Administrator

Re: Noch ein Aspekt und/oder eine Anregung ...
geschrieben von Karl
als Antwort auf niederrhein vom 15.04.2008, 16:03:26
Für meine Eltern war Rudi Dutschke, den sie nur im Radio und im Fernsehen erleben konnten, ein Mensch von einem anderen Stern, mit dessen Parolen sie nichts, aber auch gar nichts anfangen konnten. Ich sagte immer "Nun hört doch erst einmal zu", wenn sie abschalten wollten, aber im Nachhinein denke ich, war dies eine Überforderung. Die Sprache Rudi Dutschkes war so abgehoben und mit Fremdwörtern durchsetzt, dass meine Eltern ihn tatsächlich überhaupt nicht verstehen konnten, selbst wenn guter Wille dagewesen wäre.

Aggressiv haben sie sich über Dutschke nie geäußert, aber den Kopf verständnislos geschüttelt. In Bezug auf das äußere Outfit waren sie vorsichtig, da ich als ihr Sohn ja auch viel zu lange Haare hatte, aber mich liebten sie. Es war also nicht eine Frage der Haare.
--
karl

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