Forum Allgemeine Themen Die Insel Senoria Die Frage nach der Heimat ...

Die Insel Senoria Die Frage nach der Heimat ...

niederrhein
niederrhein
Mitglied

Die Frage nach der Heimat ...
geschrieben von niederrhein
http://community.seniorentreff.de/storage/pic/userbilder/a30f1d57825f100a5a9ba38c76fffe20/fundus01/111270_1_Fundus_01.jpg[/img]


Die Frage nach der Heimat ...


Vielleicht mit der Wunsch- bzw. Traumlandschaft verknüpft – vor allem wenn diese Landschaft eine [i]erlebte und erfahrene Landschaft der Erinnerung
ist – ein neuer, ein weiterer Gedanke:

Die Frage, was Heimat ist.

Was versteht die/der einzelne unter Heimat? Was ist für sie/ihn Heimat?
Heimat ist ja mehr als nur etwa ein geographischer Ort. Was umfaßt für die/den einzelnen Heimat insgesamt also? Wo, wie wurde Heimat erlebt?
(Oder: Was bedeutet Verlust der Heimat, Heimatlosigkeit, Heimweh?)
Hat man nur eine Heimat? Wie wohl andere Menschen – etwa im übrigen Europa oder in anderen Erdteilen – Heimat definieren und beschreiben? Heimat als spezifisches deutsches Phänomen?

(Weitere Nebenaspekte: Erleben Kinder, junge Menschen heute Heimat. Wo, wie ...? Kennen Nomaden eine Heimat? Weitere Stichworte in diesem Zusammenhang: Heimat und Musik; Heimatfilm, Heimatpfleger ...)

Aus dem Prinzip Hoffnung von Ernst Bloch (Schluß des dritten Bandes)
Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende [...] Hat [...] [der Mensch] sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.
[/indent]


Ich hoffe, daß sich nicht nur die weiblichen ST-Mitglieder an diesen Gedanken beteiligen ... Heimat spielt doch für [i]alle
Menschen eine Rolle?

Die Bertha
Statthalterin der Insel Senoria

angelottchen
angelottchen
Mitglied

Re: Die Frage nach der Heimat ...
geschrieben von angelottchen
als Antwort auf niederrhein vom 24.10.2008, 20:08:13
...wenn man so viel herumgezogen ist in der Weltgeschichte, dann lässt Heimat sich nicht mehr geografisch beschreiben - dann ist Heimat das, was der russische Schriftsteller Andrei Sinjawski so beschreibt:

"Heimat ist kein geographischer Begriff. Man trägt sie in sich selbst."

Dann ist Heimat ein Gefühl, das durch bestimmte Erinnerungen und Impulse ausgelöst werden kann, ohne Traurigkeit oder Wehmut - eher eben so etwas, was man immer bei sich trägt, egal wo man ist. Das ist Heimat für mich.
--
angelottchen
heijes
heijes
Mitglied

Re: Die Frage nach der Heimat ...
geschrieben von heijes
als Antwort auf niederrhein vom 24.10.2008, 20:08:13
Das erste Mal, dass ich mich bewusst mit den Wörtern Heimat/Heimweh auseinander setzte, war am 13.Aug. 1961. Ich, 11-jährig, war zu diesem Zeitpunkt mit meiner Schwester zu Besuch bei Verwandten in England, als wir abends die Nachrichten über den Mauerbau sahen, für mich im wahrsten Sinne 'sahen', denn nach 3 Monaten Schulenglisch war mein Englisch doch sehr begrenzt. Die Bilder, die ich sah, und die Gefühle, die ich dabei empfand, werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Ich wusste nicht, ob wir wieder heim nach W-Berlin fahren können, ob wir durchgelassen und ob ich meine Eltern oder Brüder wiedersehen würde. Die Verwandten wollten, dass wir bei ihnen in England bleiben mit dem Argument "Hier wären wir doch sicher und wer weiß, was mit Berlin noch passieren wird". Aber wir zwei wollten, egal was da kommen würde, nur heim zu den Eltern. Das Heimweh nach den Eltern war grösser als alles andere. Sobald alles mit der Heimfahrt abgeklärt war, durften wir heimfahren. Die Wiedersehensfreude war auf beiden Seiten riesig.
Als ich in den 70iger Jahren zusammen mit meinen Mann Deutschland verließ, litt ich die erste Zeit sehr unter Heimweh, nicht nach Berlin (dazu war die neue Umgebung viel zu reizvoll und interessant), sondern nach Familie und Freunden.

Ich bin viel in meinen Leben umgezogen, allein seit 2005 zweimal und habe mich überall innerhalb einiger Monate heimisch gefühlt.
Aber ich habe in geografischer Form Mühe, "heimisch fühlen" mit "Heimat" gleich zu setzen.

Die innigen Kontakte zu meinem Kind, Enkelkindern, Geschwistern und alten Freunden geben mir eine innere, emotionale Heimat.

Vielleicht finde ich ja auch eines Tages meine wahre Heimat.

heijes

Anzeige

niederrhein
niederrhein
Mitglied

Heimat - 1. Versuch
geschrieben von niederrhein
als Antwort auf niederrhein vom 24.10.2008, 20:08:13
Heimat - 1. Versuch


Vorbemerkung
Eigentlich wollte ich mich dezent zurückhalten (bis halt sich hier etliche Beiträge angesammelt haben), aber die beiden bisherigen Beiträge inspirieren mich bzw. lassen mich andere Aspekte erkennen. "1. Versuch" deswegen, weil ich versuche, mich diesem Phänomen gleichsam schrittweise zu nähern - ich glaube, daß weitere Beiträge der ST-MitgliederInnen meinen Blickwinkel erweitern werden.



Heimat ... im geographischen Sinne oder im Sinne einer "Beziehung zwischen Menschen und Raum", so in Wikipedia, habe ich aufgrund meiner Biographie oder sagen wir es direkt: aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgung zunächst nicht erfahren.
Heimat war, wenn man so will, zunächst eine gewisse Geborgenheit in der Sprache, in der Phantasie. Ganz früh (sobald ich lesen konnte) in der Welt der [= gewisser] Bücher.
Kurioserweise gehörten damals schon etliche Insel-Bücher dazu, so daß es sicher kein Zufall war, daß ich hier (wenn auch aus einem ganz anderen Anlaß!) die Insel Senoria erfand.
Übrigens: Zu diesen Büchern gehörten (und gehören) u.a. eben Robinson, Gullivers Reisen, Die Insel Felsenburg etc.

Heimat war also - zunächst oder anfangs - ein geistiger Topos, wobei die Bücher, auch im physischen, haptischen Sinne, das Fundament darstellten; mein Leben als Kind und als junger Mensch: "Nicht ohne meine Bücher". Kurioserweise ließ man diesem Kinde, durch alle Heime, bei allen Pflegepersonen, ob jüdischer oder nichtjüdischer Art, ob schweizerisch, ob deutsch, ob schwedischer und englischer Art, immer "seine Bücher". (Vielleicht wie man einem Kleinstkinde seinen Schnuller oder sein Kuscheltier (ich hatte nie eines!) läßt, damit es Ruhe gibt ...)

Lassen wir die Jahre passieren ... Heimat: Das war zunächst eine bestimmte geistige Welt (die nicht nur aus Büchern und Texten bestand, sondern auch aus Noten und Musik), die auch heute noch konstituierend für mein Leben, mein Gefühl und mein Bewußtsein ist.
Aber ... (Fortsetzung folgt)


Die Bertha
vom Niederrhein


P.S. Natürlich könnte ich gerade zu diesem "1. Versuch" eine Menge Details anführen, aber um der Übersicht und Lesbarkeit willen verzichte ich hier darauf.

P.P.S. Mein bekannter Zusatz hier "vom Niederrhein" spielt übrigens für die Entwicklung meines Heimatgefühls eine wichtige Rolle. (Das erwähnte ich schon einmal früher.)

P.P.P.S. Heimat suchen, Heimat finden. Vielleicht ein ewiger (?) status nascendi - ganz im Bloch'schen Sinne - so wie es sich auch bei anderen Menschen offenbar zeigt.
Heimat also nicht (nur) als ein Ort der Vergangenheit, der Kindheit, sondern als ein Ziel ... (fast metaphysisch, fast religiös).



Erweiterte Stichworte: Heimatmusik (wohl nicht identisch mit Volksmusik); Heimatfilm, Heimatpfleger, Heimatvertriebene, Recht auf Heimat, Heimatkunst, Heimatliteratur, Heimchen, daheim (dahoam is dahoam), jemanden heimschicken, es heimzahlen, heimsuchen, jd. heimführen, anheimfallen, Heimfahrt, Heimsuchung ...

Das Stichwort Heimat findet sich offenbar nicht in philosophischen Nachschlagewerken; in allen (hier in meiner Bibliothek vorhandenen) marxistischen Nachschlagewerken findet sich ebenfalls der Begriff Heimat nicht. Während in westdeutschen Nachschlagewerken historischer und politologischer Art natürlich der Begriff Heimatvertriebener findet, ergibt die Recherche in ostdeutschen Werken dieser Art Nullanzeige ...

Etymologisch [Kluge/Götze; Paul]: heim
Altgermanische Dialekte kennen das Nomen haims[got], saime[lett] (= Hausgesinde). Später dann die deklinierte Form zum Adverb erstarrt mit der "hinzugedachten Beziehung" zum eigenen Wohnsitz.
Im 18. Jh. wieder zu Heim nominalisiert, vermutlich aufgrund des englischen home.
baerliner
baerliner
Mitglied

Re: Heimat - 1. Versuch
geschrieben von baerliner
als Antwort auf niederrhein vom 25.10.2008, 08:18:22
Es klang schon an, wenn ich richtig verstanden habe: Heimat ist da, wo man sich heimisch (geborgen) fühlt. My home is my castle.

Oft bleibt man deshalb der Heimat der Kindheit verbunden, weil man sich gern an die Zeit im "Elternhaus" (es müssen nicht leibliche Eltern sein) zurückerinnert, weil man dort ein Leben im Geborgenen verlebte, wobei natürlich auch Bücher, Musik usw. dieses Heimatgefühl unterstützen.

Andere finden Geborgenheit erst im späteren Leben, in einer neuen sozialen Umgebung (neue Familie, neue Freunde, neue Interessen). Oder sie finden eine zweite Heimat, die in nichts der ersten entgegensteht.
--
baerliner

N.S. Heimat ist auch sehr mit dem Begriff des Vertrauens verbunden (fällt mir gerade zum Satz "My home is my castle ein": Luther dichtete "Ein feste Burg ist unser Gott).
minu
minu
Mitglied

Re: Die Frage nach der Heimat ...
geschrieben von minu
als Antwort auf niederrhein vom 24.10.2008, 20:08:13
Hier im Seniorentreff habe ich meine Heimat gefunden.Da wo Menschen mich verstehen, wo ich sein kann, wie ich bin, wo ich mich wohl fühle. So etwas habe ich leider nie gehabt. Mit etwas Anlaufschwierigkeiten, habe ich meine Heimat hier gefunden.
--
minu

Anzeige

miriam
miriam
Mitglied

Re: Die Frage nach der Heimat ...
geschrieben von miriam
als Antwort auf minu vom 25.10.2008, 09:35:04
Was Heimat ist? In erster Linie ein etwas befremdendes Wort (fängt ja gut an!) in einer Welt in der es mehr Heimatlose gibt, als Menschen die dort leben wo sie beheimatet wären.

Ich lebe jetzt zwar schon 35 Jahre in einer Stadt in der ich mich zuhause fühle, aber ist sie mir Heimat geworden? Ich denke nicht – und finde dies auch nicht schlimm. Auch Heimatlosigkeit kann für manche, Privilegierte die damit nicht auch widrige Lebensumstände verbinden mussten, so etwas wie Freiheit sein.

Sicherlich ist aber das was wir Heimat nennen, sehr individuell. Wenn ich mir also doch jetzt die Frage stelle was ich am ehesten damit verbinde, dann sind es Gegenstände (die wenigen die ich aus den Elternhaus herausschmuggeln konnte), eine Musik, ein Text, die mich alle daran erinnern, wo ich sie einst gesehen, gehört oder gelesen habe.
Also sind eigentlich diese Gegenstände, die Musik oder der Text nur die Vermittler – die mich weiter zurückführen.
Zurück dorthin und in die Zeit, als ich mir die Frage nach der Heimat gar nicht stellte.

Liebe Grüße an alle Heimatlosen und Beheimateten.

Miriam (la jouive errante)

eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Die Frage nach der Heimat ...
geschrieben von eleonore
als Antwort auf miriam vom 25.10.2008, 10:30:08
"Patria est, ubicumque est bene" -Die Heimat ist dort, wo man sich wohlfühlt.
(Marcus Tullius Cicero)

spannender wäre zu fragen, wo man die wurzeln hat.

--
eleonore
Karl
Karl
Administrator

Re: Die Frage nach der Heimat ...
geschrieben von Karl
als Antwort auf eleonore vom 25.10.2008, 11:10:53
spannender wäre zu fragen, wo man die wurzeln hat.

Das ist sicher auch eine Frage, aber eine andere, eleonore. Für viele mag der Begriff "Heimat" mit dem Ort zusammenfallen, wo man die Kindheit vollbracht hat, wo die Wurzeln zu suchen sind. Ich erinnere mich sehr gut an das "besondere" Gefühl nach jahrelanger Abwesenheit wieder die Strassen des Heimatdorfes zu betreten. Es ist wohl verbreitet, dass wir eine Bindung nicht nur an die Menschen, sondern auch an die Orte unserer Kindheit entwickeln (wenn es uns denn überhaupt vergönnt war, Konstanz in unserer Kindheit zu erleben). Für mich ist aber die "neue Heimat" das Lebensumfeld, das ich selbst mit gestaltet habe und in dem ich mich wohl fühle. Dazu gehören die Familie, der Beruf, aber letztlich auch ein solch zeitraubendes Hobby wie der "Seniorentreff". Vor die Wahl gestellt "Zurück zu den Wurzeln - oder das jetzige Leben" - ich würde die "neue Heimat" wählen.
--
karl
Linta
Linta
Mitglied

Re: Heimat - 1. Versuch
geschrieben von Linta
als Antwort auf niederrhein vom 25.10.2008, 08:18:22
Was bedeutet Heimat für mich?

Meine Heimat ist dort, wo mein Elternhaus steht, wo ich geboren ward, wo meine Wiege stand. Und als heimatvertrieben gelte ich gemäß div. Papiere ... nicht als Flüchtling.


Annähernd vierzig Jahre freiwillige Arbeit in Landsmannschaften und mit Heimatvertriebenen an der
Seite meines Mannes, eines homo politicus, das Pflegen des Brauchtums und der Traditionen waren
stets ein festes Bindeglied (zu meiner) zu unseren verschiedenen ostdeutschen Heimatgebieten.

Obwohl noch Kind gewesen, so hat sich alles doch fest in mir eingeprägt im Laufe der Jahre durch die steten Kontakte zu jenen Menschen in den Landsmannschaften und vor allem auch Erzählungen und durchleben in meiner Familie. Ich denke schlesisch in arg vielen Momenten, pflege noch immer Kontakte (das Internet macht es möglich) zu vielen wesentlich älteren mir völlig fremden Menschen, sammele immer noch Daten, Fotos, Erzählungen, Mundarten und bleibe so der alten Heimat weiterhin verbunden.

Oft schon habe ich mich gefragt, was wäre aus mir wohl geworden, hätte ich die Heimat nicht verlassen müssen. Mein ganzes Leben hätte mit Sicherheit einen gänzlich anderen Verlauf genommen ...
Meine Eltern wären gern zurück gegangen, wenn sich eine Möglichkeit gezeigt hätte und mit ihnen wäre auch
ich gezogen ...

Doch das sind sehnsuchtsvolle Gedanken die einem zu gewissen Stunden übereilen, ein unbeschwertes Zurück
wird es nimmer geben. So schließe ich mit den Worten eines schlesischen Dichters, den auch Gedanken an seine Heimat quälten.


Karl von Holtei

Heem will ihch

Mihch han se ooch schund manchmal da und durten gar sihr traktiert und han mer Gutt's getan, bei Fürschten und Herzogen und bei Grawen, scheene Frauvölker und gelehrte Herrn, in grußen Städten und uf hochen Schlössern, in fremden Landen aber suste wu, dass ihch eegen schaamzen, weil ihch's ihm nich wert bihn! – Nu's gefiel mir chund, o ja! – Im besten Freu'n, im allergrüßten Teebse, liß sihch doch immerzu de Sehnsucht spieren.
Nach wahs? – Nu globt mersch, ader globt mersch nich:
nach meinem kleenen Haus in Obernigk samt seinem Schindeldächel und a Tannen, die vur der Türe stihn, däm bissel Gaarten, däm Taubenschlage und där grünen Laube!
Wie schilgemol, - du weeßt's mei lieber Gott – hab ihch geseufzt und seufz' ich hinte noch: Heem will ihch, suste weiter nischt, ock heem!


ninna

Anzeige