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Blog-Kommentare Validation, was ist das?

tilli
tilli
Mitglied

Ein aktuelles Thema
geschrieben von tilli
das uns alle bewegt. Alle Kommentatoren die ich jetzt bei dir gelesen habe sind aus der Seele geschrieben. Der Kommentar von Ingrid gibt noch dazu das persönliches Ereignis. Ich habe schon jetzt Angstzustände, wenn ich so vergesslich werde.Immer wieder kommen dann die Erinnerungen an unseren langjährigen Freund, den ich in seinen letzten Tagen besucht habe. Die Verwandlung von den sehr intelligenten Menschen zu einen Menschen, der seine Frau nicht mehr erkennt, der sich zu einen Kind verwandelt und nach seiner Mutter ruft.Das hat mich sehr niedergeschlagen.
Liebe Ela, du hast mit diesen Blog eine Thema angesprochen, das für uns alle sehr wichtig ist.
Die Forschung,zur Heilung dieser Krankheit ist leider noch nicht so weit um zu helfen.

Danke und grüße Tilli
Ela48
Ela48
Mitglied

Liebe tilli:-)
geschrieben von Ela48
Danke für Deine Woret in diesem Blog.
Deine Worte zeigen Offenheit und Emotionen zu diesem Thema, was sehr wichtig ist.
Die Welt und die Menschen können heutzutage noch so offen sich präsentieren..Wenn es aber um dieses Thema geht, dann will keiner mehr so richtig darüber reden.
Worte so wie: "Altersbedingt, wird schon besser werden, psst keiner soll es wissen, schweige darüber.
Als wäre es eine Schande.
Vielleicht, weil ich anders denke, schon beruflich bedingt, Oder ich bin deshalb so berührt, dass es fast immer noch so ist, wie es schon immer so war? Ich weiß es nicht...
Früher hat man die Erkrankten versteckt und hinter verschlossenen Türen gehalten. Keiner durfte erfahren, keiner durfte wissen.
Auch in dem Bekanntenkreis meiner Eltern ist ein sehr intelligenter Mann an Alzheimer erkrankt. Selbst ich durfte nichts erfahren. Ich wusste es und peu a peu habe ich das Vertrauen erlangt und konnte einiges unternehmen.
Übrigens, auch die Kinder wussten nichts davon.Wenn ich so überlege, wer alles an Alzheimer erkrankt ist/war:
Eine der ersten Alzheimer-Kranken und damit zu einer gewissen Berühmtheit gekommen ist Auguste Deter. Nicht zuletzt über ihren Fall referiert der Psychiater Alois Alzheimer am 3. November 1906 in Tübingen, als er erstmals "Über einen eigenartigen schweren Erkrankungsprozess der Hirnrinde" spricht.

Gunter Sachs (1932-2011)

Margaret Thatcher

Ronald Reagan (1911-2004) der erste Mensch, der sich öffentlich dazu bekannt hat

Ernst Albrecht, Vater von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, ist seit Jahren an Alzheimer erkrankt

Dass Columbo-Darsteller Peter Falk (1927-2011) an Alzheimer erkrankt war, wurde 2007 bekannt.

Auch die beliebte Volksschauspielerin Heidi Kabel (1914-2010) war an Alzheimer erkrankt.

Rudi Assauer (68) machte seine Alzheimer-Erkrankung Anfang 2012 öffentlich.

Zu den frühen bekannten Opfern der Krankheit gehört auch die Kinderbuchautorin Enid Blyton. Ihr Mann versucht die Erkrankung zu verbergen und nach außen das Bild einer geistig aktiven Frau aufrechtzuerhalten - auch als sie längst nicht mehr zusammenhängend schreiben konnte.

Rita Hayworth, auf der Leinwand die "Liebesgöttin", erkrankt bereits vor ihrem 60. Geburtstag an Alzheimer. Ihre Tochter pflegt sie bis zu ihrem Tod 1987.

Über 120 Film- und Fernsehrollen spielt Charlton Heston und bleibt bis ins hohe Alter gefragt. Im August 2002 informiert er die Öffentlichkeit über seine Krankheit, 2008 stirbt er.

Obwohl Charles Bronson sein Privatleben immer hermetisch abschirmt, erfährt die Öffentlichkeit von seiner Alzheimer-Erkrankung Ende der 1990er Jahre. Bronson lebt nur wenige Jahre mit der Krankheit, er stirbt 2003.

Der Geiger Helmut Zacharias zieht sich wegen seiner Erkrankung an den Lago Maggiore zurück, wo er 2002 stirbt. Während seiner letzten Lebensjahre kann er das Instrument nicht mehr spielen.

Als Walter Jens Alzheimer bekommt, begleitet ihn seine Familie. Sein Sohn Tilman veröffentlicht ein Buch über die Erkrankung seines Vaters und stößt damit eine Debatte über die Tabuisierung der Krankheit an.

Ja, die Tabuisierung ist noch immer ein großes Thema..
Jeder ist mal vergesslich, auch junge Leute. Wissen nicht, wo sie den Schlüssel, Brille, Handy hingelegt haben. Die "Erinnerungsinseln" machen uns allen manchmal einen Strich durch die Rechnung.

Angst sollte man nicht bekommen. Die Wissenschaft investiert viel Geld in die Forschung und eines Tages hat sie den Schlüssel der Erkenntnis gewonnen.
Liebe tilli, ich weiß nicht, ob Du die Zeit hattest den ganzen Blog zu lesen. Ist ja allerhand geschrieben worden.
Ich berichte auch über Ansätze der Forschung..
Ist halt mein Lebensthema...
Auf jeden Fall DANKE ich Dir. Vielleicht hast Du ab und zu mal Zeit rein zuschauen
Ela
indeed
indeed
Mitglied

Noch etwas zu den Bräuchen mit den Taschentüchern . . .
geschrieben von indeed
Jedes Konfirmationskind geht mit einer Bibel, darauf ein weißes Spitzentaschentuch und ein kleines weißes Blumensträußchen (traditonell Maiglöckchen) in die Kirche. Die Erstkommuionkinder halten ein Gotteslob (Gesangbuch) in der Hand und ihre Taufkerze mit einem Taschentuch dazu. Die Kerze ist oftmals mit einem feinen Buchsbaumkranz verziert.
Ein lieber Gruß von
Ingrid

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Ela48
Ela48
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Guten Morgen, Ingrid
geschrieben von Ela48
Wie schön, das Du noch einige Dinge ergänzt hast. Das hatte ich nicht in meinen Unterlagen. Ich danke Dir dafür herzlich.
Früher war es selbstverständlich, dass man "mit" Gesangbuch in die Kirche ging". Deshalb ist es sinnvoll, den Gottesdienstbesuchern ein Buch in die Hand zu geben. Liedblätter waren früher nicht üblich. Jeder hatte sein eigenes Gesangbuch und daher ist es wichtig, wenn Menschen in ein Pflegeheim umsiedeln und sie an einer Demenz erkrankt sind, das eigene Gesangbuch mit zu geben.
Das Gesangbuch wurde immer hoch in Ehren gehalten und hält ein Leben lang.
Gleichzeitig immer bedenken und beachten: Wie sieht der religiös-kirchliche biografische Hintergrund der heute alten Menschen aus?
Ich wünsche Dir einen wunderschönen Sonntag, trotz dem trüben Masse. Es wird schöner werden, garantiert!
Danke liebe Ingrid
Ela
bukamary
bukamary
Mitglied

Danke für "das Taschentuch"
geschrieben von bukamary
Da war mir vieles nicht bekannt.Ich kann mich aber erinneern, dass ich mal eine Zeitlang von bestimmten Personen zu allen möglichen Gelegenheiten und in allen Variationen Taschen- tücher geschenkt bekommen habe und das ich mich darüber oft genug auch geärgert habe. Mir ist beim lesen deines Beitrags einiges wie Schuppen von den Augen gefallen. Ich muß dazu sagen, dass ich bis zu meiner frühen Jugend in einem völlig anderen, nicht europäischen Kulturkreis aufgewachsen bin und verschiedene Rituale, Bräuche und ähnliches nicht kennengelernt habe, zumal meine Eltern, zwar beide deutsch, sich damit nicht allzu viel Mühe gemacht haben, das zu vermitteln.
Zumindest habe ich in der Vergangenheit - und insbesondere seitdem ich mit dementen Menschen zu tun habe - bei mir immer wieder entsprechende Defizite feststelle.
Wie ist es dann mit den zunehmend häufiger zum Einsatz kommenden ausländischen Pflegekräften, die häufig genug auch die Sprache nicht ausreichend beherrschen. Ich meine nicht die rein pflegerischen Tätigkeiten, das können diese durchaus genausogut leisten. Der oftmals sehr liebevolle Umgang mit dem Pflegbedürftigen kann sicherlich auch manches Defizit ausgleichen. Den zeitlich weitaus größeren Teil nimmt aber die Betreuung und Begleitung ein. Und es ist längst nicht jedem gegeben, rein intuitiv die richtige Reaktion zu zeigen ohne bestimmte biografisches Wissen zu haben. Eine Demenzkranke Frau hat mal zu mir gesagt, sie hatte eine schlecht deutsch sprechende osteuropäische Pflegekraft im Haus, sie käme sich wie eine Fremde im eigenen Haus vor. Oder was ist mit den pflegebedürftigen die im Ausland in einem Pflegheim untergebracht werden?

Was ist da mit dem sich "zuhause fühlen" mit der "Heimat"? Ganz schlimm wird es meist dann, wenn die Angehörigen sich nicht mehr groß darum kümmern, wie es läuft - kommt leider nicht ganz selten vor.
Auch in Pflegeeinrichtungen, die ich persönlich kenne stelle ich fest, dass immer häufiger Personal mit Migrationshintergrund für die Betreuung eingesetzt wird, meist PflegehelferInnen, -assisteInnen und Präsenzkräfte.
Negativ ist NICHT der Migrationshintergrund. Vielmehr wird von Ihnen eine Leistung erwartet, die sie ohne entsprechen- de Hilfestellungen, Informationen und Vorbereitungen garnicht bewältigen können. Ein Beispiel: auf dem Tagesplan steht gemeinsames singen. Es findet in der Form statt, dass vielleicht eine CD eingelegt wirdmit Liedern, von denen man glaubt, dass die Bewohner sie hören möchten, weil die gerade anwesende Mitarbeiterin die bekannten und gewünschten Lieder nicht kennt. Ergebnis sind dann gelangweilte, verärgerte BewohnerInnen, und frustrierte, durchaus eigentlich engagierte MitarbeiterInnen.
Schade eigentlich, denn bei entsprechender Hilfestellung, Vorbereitung und Begleitung könnten beide Seiten voneinander profitieren.

Tja, und das mit dem tabuisieren... Was wird eigentlich tabuisiert, haufig weil uns etwas unheimlich ist, weil wir Angst davor haben? Ist es der Verlust der bewußten Identität? Schämen wir uns für das oft befremdliche, peinliche und vermeintlich ungehörige Verhalten? Oder ist es die Angst vor den eigenen Gefühlen, der eigenen Hilflos- igkeit? ...Wer bestimmt eigentlich was zu tabuisieren ist? Wollen wir überhaupt noch sehen wie unser Gegenüber ist und wie wir selber sind? Es tun sich immer mehr Fragen auf!

Ach ja und die Fehler. Ich kenne niemenden der Fehlerlos ist, und der nicht irgendwann Fehler gemacht hat. ich kenne auch niemanden, der einen solchen menschen kennt. Ich für meinen Teil kann nur feststellen, das mein Leben u.a. aus eine Aneinanderreihung von Fehlern besteht. Manche habe ich nur einmal gemacht, andere habe ich wiederholt gemacht. Ich werde sicherlich auch weiterhin mehr oder weniger gravier- ende Fehler machen. Und ich habe sicherlich alle verarbeitet. Aber sie sind und bleiben Bestandteil meines Lebens. Du hastliebe Ela in Deinem Beitrag vom 07.11. dafür ein tolles Beispiel gebracht.

Mir fehlt noch ein Begriff: Nächstenliebe! Fehlt es uns nicht häufig genug daran. Ist das fehlen dieser nicht oft auch Quelle vieler Fehler, die wir machen. Dieses eine Wort beinhaltet sehr viel, Respekt, Anerkennung, Wertschätzung und einiges mehr und nicht zuletzt auch die Fähigkeit zu lieben.

Liebe Ela, Du hast vieleicht diesen sehr häßlichen und ver- achtenden Ausdruck gehört: Grandma dumping. Sind wir noch wirklich so weit weg davon? Wenn ich mir manche Diskussion anschaue, bzw. anhöre, dann beschleicht mich das Gefühl, dass der Schritt dorthin garnicht mehr so groß ist.

Aber zzum Schluß noch etwas positives. Ich bin vor wenigen Tagen einem Bekannten begegnet. Dessen demnter Vater ist zwischzeitlich verstorben. Die Familie hat ihn bis zu seinem Tod zu Hause gelassen. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war früher wohl sehr angespannt. Der Bekannt hat sich mit der Demenz auseinandergesetzt und sich dann auch darauf einlassen können. Er erzählte, dass die letzten Jahre mit seinem Vater, trotz oder gerade wegen seiner Demenz die ehrlichsten waren und es sei die schönste gemeinsame Zeit gewesen und gemeint war keineswegs nur die letzte Phase. Er habe noch sehr viel von seinem Vater ge- lernt, gerade was auch die Ehrlichkeit der Gefühle angeht.

bukamary
Ela48
Ela48
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Liebe bukamary
geschrieben von Ela48
hab Dank für Deine informativen Zeilen.
Bevor ich antworte, weil es eine kleine Weile dauern könnte, habe ich eine Bitte an Dich..
Könntest Du mir, uns erklären was Deine ehrenamtliche Tätigkeit(?)in dem Heim mit Dir macht.
Wie z.B. bist du manchmal traurig, sicherlich auch fröhlich, was bedrückt Dich, was würdest Du gern ändern, welchen Erfolg hast du schon gehabt. Wenn Erfolg sich eingestellt hat, wie bist du zu ihm gekommen, an welchen Veränderungen hast Du mitgewirkt.
Würde mich wirklich interessieren.
Danke Dir jetzt schon mal für eine evtl. Antwort.
Ela

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Ela48
Ela48
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Über Sprache, Heimat und Wurzeln...
geschrieben von Ela48
>bukamary Auch in Pflegeeinrichtungen, die ich persönlich kenne stelle ich fest, dass immer häufiger Personal mit Migrationshintergrund für die Betreuung eingesetzt wird, meist PflegehelferInnen, -assisteInnen und Präsenzkräfte.
Negativ ist NICHT der Migrationshintergrund. Vielmehr wird von Ihnen eine Leistung erwartet, die sie ohne entsprechen- de Hilfestellungen, Informationen und Vorbereitungen garnicht bewältigen können. Ein Beispiel: auf dem Tagesplan steht gemeinsames singen. Es findet in der Form statt, dass vielleicht eine CD eingelegt wird mit Liedern, von denen man glaubt, dass die Bewohner sie hören möchten, weil die gerade anwesende Mitarbeiterin die bekannten und gewünschten Lieder nicht kennt.....


Eigentlich sollte ich das von Dir Geschriebene nur mit „Ja“ beantworten, das wäre aber, denke ich, zu wenig.

DEFIZITSICHT SCHAFFT OHNMACHT auch bei den Betreuungskräften

Ich sollte ein wenig den Hintergrund erläutern, wie wichtig Sprache überhaupt ist.

Es geht nämlich nicht nur um die ausländischen Pflegekräfte, sondern auch um Bewohner, die aus einem anderen Kulturkreis stammen. Menschen, geboren in einem Land, in dem Traditionen gelten, die sich gravierend von unseren unterscheiden, einen großen Stellenwert einnehmen. Ihre Bräuche erscheinen uns fremd....

Auch da, wie wichtig ist Sprache....!

Noch einmal, Sprache ist Verbindungsglied zwischen uns Menschen, definiert Menschen innerhalb ihrer sozialen Gruppe, ihres Gefüges und kreiert Wirklichkeit.

Sprache schafft Lebendigkeit und Teilnahme. Sprache ist Macht! Sprachlosigkeit ist Ohnmacht!

Ein wenig Lehrbuch (Kommunikation):

Kommunikation geschieht über 3 Ebenen:

1. über die für uns am stärksten bewußte verbale Sprache

2. über Körpersprache (nonverbal) und

3. über Betonung (paraverbal).

Die Sprache unseres Körpers, zu der Mimik, Gestik, Haltung und Bewegung gehören, ist meist - außer es geschieht geplant - nicht bewusst.

Während die verbale Kommunikationsfähigkeit im Verlauf der Demenzerkrankung großen Veränderungen und Einbußen unterliegt, bleiben verbale und nonverbale Ausdrucksmöglichkeiten erhalten. Im Gegenteil: sie werden stärker, authentischer. Sie können als neue Ressource des Demenzkranken verstanden werden.

Also wäre das eine Möglichkeit für Pflegekräfte mit Migrationshintergrund? Nur: sie sollten geschult werden! Ob das den Heimleitungen bewusst ist? Ich denke nicht, sage ich mal ganz hart. Es kostet Geld und die Arbeitszeit geht verloren. Heutzutage sind in den Einrichtungen mindestens 50% an einer Demenz erkrankt. Worauf warten die Leitungen eigentlich?

Professionelle Begleiterinnen und auch Angehörige unter innerlich erheblichem Druck. Sie erfragen Orientierungen und Handlungshilfen für einen angemessenen Umgang und es wird nicht gehandelt.

Stationäre sowie ambulante Einrichtungen sehen sich zunehmend in die Pflicht genommen... Aber wie setzen sie es um?

Zusätzlich zur grundpflegerischen Versorgung benötigen dementiell Erkrankte eine Organisation und Mit/Gestaltung ihrer Lebensumwelt..

> Was ist da mit dem "Sich-zu-Hause-fühlen", mit der "Heimat"?
Einige Sätze, die mir ins Herz gingen:

„Alt und abgedroschen und dennoch wahr: Heimat ist der Ort, wo ich mich zu Hause fühle und wo mein Herz ruhig schlägt. Wo Umgebung und Menschen "mir bekannt vorkommen". Und wo der eine oder der andere Duft, der Baum oder die Steine mich an meine Kindheit erinnern. „...

„Heimat sind für mich Fachwerkhäuser, Karpfenteiche, Rote Grütze mit Vanillesauce, Straßen, die ins Nichts zu führen scheinen, freundliche Menschen, die nachbarschaftlich zusammenhalten – das ist für mich Heimat."

„ich denke Heimat, bzw. das Gefühl dazu ist altersabhängig. Als ich jung war, sagte ich, Heimat ist da, wo ich meinen Hut aufhänge. Je älter ich wurde, um so mehr verbinde ich mit diesem Begriff. Evtl. weil man mehr von der Heimat kennen und lieben gelernt hat."

Jeder Mensch verbindet mit dem Wort Heimat etwas Anderes. Aber eines bleibt: Heimat sind Wurzeln, die man nie vergessen wird. Die Erinnerungen gehen über in die Emotionen und dies sollten erkannt werden...
Ela
Ela48
Ela48
Mitglied

Arno Geiger "Der alte König in seinem Exil"
geschrieben von Ela48
Mein Freundin hat mir die CD geschenkt.
Ich war gerührt. Ich möchte Euch dieses Buch wirklich ans Herz legen.
Wenn einer nichts weiß und doch alles versteht

Arno Geiger hat ein Buch über seinen dementen Vater geschrieben. Vor allem aber handelt es davon, was das Leben zu jedem Zeitpunkt lebenswert macht.

"Hier sind einige Dinge, die ich über August Geiger weiß. Geboren 1926 als drittes von zehn Kindern, lebt der Vierundachtzigjährige seit einem knappen Jahr in einem Pflegeheim im österreichischen Wolfurt, seiner Heimat. Er ist der Vater von Peter, Helga, Werner und Arno. Sein jüngstes Enkelkind heißt Eva. Seine Frau hat sich vor vielen Jahren von ihm getrennt, aber sie haben sich nie scheiden lassen. Wenn sie ihn besucht, schneidet sie ihm die Haare. Mit siebzehn war August im Krieg, mit achtzehn kam er an die Ostfront. In russischer Kriegsgefangenschaft erkrankte er an der Ruhr und magerte bis auf die Knochen ab. Als Junge, vor der Einberufung, hätte er gern Elektromechanik studiert; er war immer sehr geschickt mit den Händen. Später wurde er dann Beamter in der Gemeindeverwaltung. Er hat eine Frau gefunden, ein Haus gebaut, eine Familie gegründet. Sein Lieblingsroman ist „Robinson Crusoe“. Rituale sind ihm schon immer wichtig gewesen; auf Menschen zuzugehen, fiel ihm schwer. Die Zeit, als die Kinder klein waren, war die vielleicht glücklichste seines Lebens. Er hat nie viele Worte gemacht, aber das, was er sagt, trifft oft den Kern der Dinge. Er besitzt Humor, Güte und Weisheit. Er singt gern. Er ist freundlich und dankbar für jede Freundlichkeit, die ihm erwiesen wird - solange man ihn nicht herumhetzt. Wenn er lächelt, geht einem das Herz auf. August Geiger ist dement. Ich habe ihn gern.

Reflexion über das, womit man nicht fertig wird

Es gibt ein Foto, das zeigt August Geiger als jungen Mann, halb verhungert aus dem Krieg zurückgekehrt. Arno Geiger erinnert sich, dass der Vater dieses Passbild, das für ihn ein Monument des Überlebthabens gewesen sein muss, immer in der Brieftasche bei sich trug. Wie so viele Erinnerungen, Gewohnheiten und Sicherheiten ist die Brieftasche dem Vater irgendwann abhanden gekommen, und mit ihr das Foto. Zum Glück existiert eine Kopie: „Ganz kurze Haare, sehr markante Gesichtszüge, etwas Besonderes im Ausdruck, schwer zu fassen, von einer Klarheit und gleichzeitigen Erschrockenheit in den dunkel blitzenden Augen, die anziehend wirkten.“

Arno Geiger hat mit seinem Buch „Der alte König in seinem Exil“ viel mehr geschrieben als das Porträt seines Vaters, eines Mannes, der seine Außergewöhnlichkeit erst spät, am Rande der Dämmerung, zu erkennen gab. Und doch ist es leichter, auf Anhieb zu sagen, was dieses Buch alles nicht ist: Es ist kein Buch über Demenz, es ist keine Familienaufstellung und erst recht, anders als die meisten anderen Sohnesbücher über Väter, ist es keine Abrechnung. Stattdessen ist „Der alte König in seinem Exil“ eine tiefgründige, charaktervolle und zeitlos gültige Auseinandersetzung mit dem, was jeden angeht: Alter und Krankheit, Heimat und Familie. Eine Reflexion über das, womit man nicht fertig wird. Und obwohl man es darf, scheut man sich fast, dieses gewaltige schmale Buch groß zu nennen, denn Arno Geigers Gestus ist ein demütiger, bescheidener, liebevoller, dankbarer. Sein Buch ist eine Übung in Askese: alles Wichtige aufrichtig sagen, ohne ein Wort zu viel zu machen. Wie Arno Geiger das gelungen ist, das macht das Glück dieser Lektüre aus.

Eine Geschichte vieler Siege.

Es lässt sich über dieses schwierige, schmerzliche, intime Thema kein weniger larmoyantes und egozentrisches Buch denken als „Der alte König in seinem Exil“. Geiger geht es nicht um wissenschaftliche Erkenntnisse, er wirbt nicht um Verständnis für sich und seine Geschwister, er klagt nicht über Betreuungskosten oder die Schwierigkeit, Betreuung zu finden. Und sofern ihm die Demenz seines Vaters und zuvor auch seines Großvaters Denn während die Alzheimerkrankheit andernorts oft als ein immer weiter zuwuchernder Garten geschildert wird, stellt Geiger Lichtungen her.

Der väterliche Rückzug von der Welt

Mit der liebevoll und zum Teil mühsam rekonstruierten Lebens- und der erlebten Krankengeschichte des August Geiger erzählt das Buch auch davon, wie ein Sohn, der sich seinem Vater lange Zeit nicht sonderlich nah fühlte, diesen ganz neu für sich entdeckt und sich auf ihn und seine Wahrnehmung der Welt einlässt, von Momenten des Glücks und der Fröhlichkeit, die sich der Krankheit abtrotzen lassen. Die Brachialität und Ausweglosigkeit der Demenz werden nie geleugnet, nur ist die Klage darüber nicht Geigers Thema und Ansporn. Immer wieder beschreibt er beispielsweise die quälende Überzeugung des Vaters, nicht daheim zu sein, die zum Krankheitsbild gehört und gegen die es keine Abhilfe gibt.

„Ich erkläre es mir so, dass ein an Demenz erkrankter Mensch aufgrund seiner inneren Zerrüttung das Gefühl der Geborgenheit verloren hat und sich an einen Platz sehnt, an dem er diese Geborgenheit wieder erfährt. Da jedoch das Gefühl der Irritation auch an den vertrautesten Orten nicht vergeht, scheidet selbst das Bett als mögliches Zuhause aus.“ Auch sonst beschönigt Geiger nichts, weder den eigenen anfänglichen Zorn über die zunehmende Unfähigkeit des Vaters noch dessen irrationale Ausbrüche oder die anderen Schwierigkeiten, vor welche die Diagnose Demenz die Familie nach Jahren des väterlichen Rückzugs von der Welt schließlich stellt. Doch auch da gibt es Positives zu vermerken: „Wir können jetzt anders miteinander reden, offener, umgänglicher, klüger.“

Mit ruhiger Selbstverständlichkeit macht der Sohn den Vater zu einer jedem literarischen Helden ebenbürtigen Figur und schafft dem König so ein Reich, in dem er in Würde nicht nur alt werden kann, sondern auch irre sein darf - und sich dabei durchaus in bester Gesellschaft befindet. „Dass er ein armer Schlucker sei, sagte er manchmal alle paar Stunden, aber keineswegs immer betont traurig, keinesfalls protestierend, sondern meistens auf eine freundliche Art, als müsse er eine wichtige Feststellung machen. ,Ich bin einer, der nichts zu melden hat. Da ist nichts mehr zu machen.' Es waren Sätze, die auch ein Held von Franz Kafka oder Thomas Bernhard gesagt haben könnte.“

Eine Erinnerung daran, wie ungeheuer weit Freundlichkeit trägt

Überhaupt ist die Sprache des August Geiger die heimliche Heldin dieses Buches, eine poetische Akrobatin, die über Abgründe spaziert und dabei mutig hinunterschaut. Denn trotz der schleichenden Vernebelung des Geistes nehmen der Einfallsreichtum und die Präzision der väterlichen Ausdrucksweise über eine glückliche lange Weile hinweg zu, Geiger hält viele Wortwechsel fest, Gespräche, Bemerkungen. Manche sind von zärtlicher, niemals entlarvender Komik (“,Papa, weißt du überhaupt, wer ich bin?' - ,Als ob das so interessant wäre.'“), andere zeigen die Notwendigkeit für den Kranken, seine Krankheit zu überspielen; dann wieder ist man frappiert über die Abgeklärtheit seiner Selbstauskünfte, etwa wenn er auf die Frage, wie es ihm gehe, antwortet: „Also, ich muss sagen, es geht mir gut. Allerdings unter Anführungszeichen, denn ich bin nicht imstande, es zu beurteilen.“ Oft sei es, als wisse der Vater nichts und verstehe alles, fasst Geiger es einmal zusammen.

Sechs Jahre habe er auf dieses Buch gespart, bekennt Geiger am Schluss; daher das Konzentrat. „Der alte König in seinem Exil“ ist eine Liebeserklärung an den Vater, vor allem aber ein großes Stück Literatur über das, was das Leben zu jedem Zeitpunkt lebenswert macht - und eine Erinnerung daran, wie ungeheuer weit Freundlichkeit trägt.
Von Felicitas von Lovenberg

Ela
bukamary
bukamary
Mitglied

Liebe Ela
geschrieben von bukamary
Schön, dass Du das Buch von Arno Geiger vorgestellt hast.Es ist für mich das Beste, was ich bisher gelesen habe.
Ich finde es zeigt die ganze Bandbreite vor allem auf der gefühlsmäßigen Ebene. Es zeigt nicht nur das was häufig als beängstigend, aussichtslos erlebt wird auf - darüber wird am meisten gesprochen. Das Buch hat auch etwas ungemein Tröstliches. Es hat mir gut getan.

Ich komme gerne auf Deine Bitte zurück, werde dies aber auf morgen (Abend)verschieben.Es ist inzwischen recht früh und Zeit mal eine Runde Schlaf zu bekommen, zumal ich heute auch früh los muß.

Ich habe heute, besser gestern Abend eher versehentlich in den WDR geschaltet, da fing gerade aus der Reihe "die Story" ein Bericht mit dem Titel "Pflegeheim - Monopoly - Wenn der alte Mensch zur Ware wird". Das konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Inhaltlich war für mich eigentlich nichts Neues dabei. Ich fand es war aber recht klar und verständlich dargestellt. Aber natürlich kam die Sendung erst um 22.00 Uhr.
Übrigens gibt es zu dem Thema noch zwei Bücher. Dir wahrscheinlich nicht unbekannt das Buch von Claus Fussek / Gottlieb Schober "Im Netz der Pflegemafia" und ein neues von Annette Dowideit "Endstation Altenheim", erschienen im Redline Wirtschaftsverlag.
Ela48
Ela48
Mitglied

Noch eine Buchvorstellung...
geschrieben von Ela48
Nein, die Bücher, von denen Du berichtet hast, kenne ich nicht @buchamary. Danke dafür.
Ein Buch werde ich noch vorstellen, was mir persönlich zu schaffen gemacht hat . Vom Inhalt her und ich bin mir nicht ganz sicher, ob alles der Wahrheit entsprechen kann.

Dieses Buch hat mich dermaßen schockiert und ich muss in aller Ehrlichkeit sagen, dass es in dem Haus, wo ich gearbeitet habe, nicht solche graviernden Zustände gab. Sonst hätte ich noch früher aufgegeben. Es gibt auch gute Heime!
Ich war am Überlegen, ob ich das Buch überhaupt hier vorstellen soll. Es macht Angst, mir wenigstens.
Um den allen zu entgehen, sollen Angehörige äußerst kritisch mit der Wahl der Altenheime sein. Es ist manchmal nicht machbar, das ein erkrankter Familienangehöriger in dem Familienverband bleiben kann.

"Abgezockt und totgepflegt. Alltag in deutschen Pflegeheimen"
Von Werner Albrecht
11. April 2006
"Abgezockt und totgepflegt" beschäftigt sich mit dem Alltag in deutschen Pflegeheimen. Der Autor Markus Breitscheidel arbeitete über ein Jahr lang "undercover" als Pflegehilfskraft in fünf verschiedenen Pflege- und Altenheimen in Deutschland und schildert im vorliegenden Buch seine Erfahrungen.
Das Buch entstand in Zusammenarbeit mit Günter Wallraff, der auch das Vorwort verfasst hat. Wallraff wurde durch seine investigativen, sozialkritischen Bücher wie "Ganz unten" oder "Bild-Störung" bekannt. Im Vorwort spricht er vom "bewussten Abstieg des Autors in die Tabuzonen deutscher Pflege- und Altenheime".
In einer Vorbemerkung spricht Breitscheidel davon, dass er in seinem Bericht seine "subjektiven Einschätzungen" wiedergegeben habe. Das Dargestellte könne nicht ganz den objektiven Tatsachen entsprechen, komme ihnen aber sehr nahe. Im Weiteren merkt er an, dass die geschilderten Zustände und Ereignisse bis zum Erscheinen des Buches im September 2005 drei bis vier Jahre zurücklägen. Er habe einige Zeit gebraucht, um Eindrücke und Erlebnisse zu verarbeiten.
Der Autor - er war ehemals ein erfolgreicher Manager in einer Firma für Diamantenwerkzeuge - begann seine berufliche Tätigkeit als Journalist mit der Vorstellung von einem "Leben mit Berufung und Geradlinigkeit". Bis zum Zeitpunkt seiner Entscheidung, in der Altenpflege als Pflegehilfskraft zu arbeiten und darüber zu schreiben, hatte er noch nie ein Alten- und Pflegeheim von innen gesehen.
Nachdem Breitscheidel seinen ursprünglichen Job gekündigt hatte, suchte er umgehend eine Stelle im Pflegebereich. Dies gestaltete sich überraschend einfach. Beim Arbeitsamt erfuhr er, dass er sich ohne weitere Fortbildung bewerben und als Pflegehilfskraft arbeiten könne. Im Buch beschreibt Breitscheidel wiederholt, dass die Vorstellungsgespräche, bis auf Ausnahmen, nur kurz gedauert und die Arbeitgeber sich kaum für seine Kenntnisse oder Erfahrungen interessiert hätten.
In einem Münchner Alten- und Pflegeheim trat er die erste Stelle an. Die Pflegedienstleiterin interessierten nicht für seine - nicht vorhandenen - Erfahrungen im Pflegeberuf, sondern lediglich, dass er kräftig und gesund, ledig und flexibel einsatzfähig war. Nach einem kurzen zehnminütigen Gespräch wurde ihm bereits eine freie Stelle angeboten. Auf der Station, auf der er dann arbeitete, befanden sich 26 schwerstpflegebedürftige Bewohner und Bewohnerinnen, überwiegend in der Pflegestufe 3.
Nach einer Woche Einarbeitungszeit musste Breitscheidel feststellen, was Akkordarbeit im Umgang mit pflegebedürftigen Menschen bedeutet. Der Autor beschreibt ausführlich die ungeheuere Arbeitshetze, die Heimbewohner und Mitarbeiter gleichermaßen belastet. Mobbing unter Kollegen und Gewalt gegen die Bewohner sind die Folge. Hier einige Auszüge:
Ein Dialog Breitscheidels mit der Stationsleitung:
"Sie: Ich hab’ dich beobachtet - du verlierst einfach zu viel Zeit! Du willst jeden Wunsch der Bewohner erfüllen. Das ist nicht möglich, gehört auch nicht zu unseren Aufgaben. Deine Aufgabe ist es, den Bewohner zu waschen und anzuziehen.
Ich: Und wenn jemand auf Toilette gehen oder etwas trinken möchte, was soll ich sagen?
Dass du keine Zeit hast, weil du dich um einen anderen Bewohner kümmern musst.
Ist das nicht unhöflich?
Nein. Du musst zwölf Bewohner betreuen und dir angewöhnen, das Ganze zu sehen. Du hast nur eine bestimmte Zeit zur Verfügung, und wenn du sie bei einem überschreitest, fehlt sie beim anderen. Sieh’ zu, dass du alle gewaschen und angezogen kriegst. Ist dann noch Zeit übrig, kannst du auf besondere Wünsche eingehen.
Sie meinen, auf Toilette gehen oder trinken zu wollen ist was Besonderes?
Hör auf zu denken. Du musst dein Pensum erfüllen. Also versuche mitzuhalten, oder du gehst."
Ähnliche Situationsschilderungen und Darstellungen sind im Buch nicht gerade selten: "Du fettes faules Schwein. Deinetwegen muss ich wieder eine Stunde länger bleiben" - oder: "Es geht doch nicht darum, Spaß zu haben. Du sollst deine Leistung bringen. Aber du bist viel zu dick, um dich schnell genug zu bewegen. Du schaffst das nie."
Solche Tiraden, die in manchen Einrichtungen gängig sind, führen beim Personal vielfach zu Abstumpfung oder zu schlechtem Gewissen.
So bei einer leitenden Schwester: "Entschuldige. Ich kann mein Verhalten selbst nicht erklären. Die Arbeit ist so viel geworden, seit es die Pflegeversicherung gibt. Ich habe das Gefühl, niemals fertig zu werden. Ich kann nachts nicht schlafen, denke ständig daran, wie wir die Alten behandeln. Nicht mal mehr für ein Gespräch haben wir Zeit. Dabei bin ich Oberschwester und habe die volle Verantwortung für die Station, für die Bewohner und für das Pflegepersonal."
Breitscheidel antwortet ihr: "Jeden Tag geht es den Bewohnern schlechter. Einige bekommen nicht mal einen Becher zu trinken. Andere liegen im Bett, und ihr Hintern verfault, weil wir keine Zeit haben, sie vernünftig zu lagern. Jeder von uns sieht das, und alle versuchen, es zu verdrängen."
Der letzte Absatz ist von großer Bedeutung, da ausreichende Ernährung und Sauberkeit eigentlich selbstverständlich sein sollten. Dem ist jedoch häufig nicht so.
Pudding, Suppe und mit Glück etwas Wasser stehen auf dem Speiseplan der Heimbewohner. An zwei bis drei Liter pro Tag bei Menschen, die ihre Mahlzeit nicht mehr alleine zu sich nehmen können, ist aus Zeitmangel nicht zu denken. So schreibt denn auch der Autor sehr richtig, dass 200 bis 400 Milliliter ihm wie ein Verdursten auf Raten vorkomme.
In einem weiteren Abschnitt berichtet Breitscheidel von einer Patientin, die, durch einen Schlaganfall gelähmt, den ganzen Tag im Bett verbringen muss. Der durch das Liegen entstandene Dekubitus vergrößert sich von Tag zu Tag, und die wegen ihrer Inkontinenz meist sehr nassen Windeln klebten am Rücken einer tiefen Wunde und verursachen einen brennenden, fast unerträglichen Schmerz. Die gegen das Festbinden am Bettgitter sich wehrende Frau wird von der Dienst habenden Pflegekraft mit "Alte, die rumzickt" bezeichnet und "abgeschossen", d.h. mit sedierenden (stark beruhigenden) Medikamenten ruhig gestellt.
Breitscheidel nimmt der Dienst - zwölf Tage am Stück sind keine Seltenheit - sichtlich mit. Für ein angemessenes Privatleben hat er kaum noch Raum. "Für mich ist es unvorstellbar, wie meine alleinerziehenden Kolleginnen noch ihren Haushalt bewältigen und für die Kinder da sein können", schreibt er.
In der Tat ist die durchschnittliche Verweildauer in einem Pflegeberuf mit etwa vier Jahren extrem kurz. Dadurch lässt sich die hohe Personalfluktuation erklären. Während seiner Zeit in der Pflege arbeitete Breitscheidel mit Menschen aus 25 Nationen zusammen. Viele taten dies nicht freiwillig. "Ihr Job war ganz häufig an die Aufenthaltserlaubnis oder den Antrag auf Einbürgerung gekoppelt."
Während des ersten Aufenthaltes im "Heim der Wohlfahrt", wurde Breitscheidel nach Tariflohn bezahlt. Es gab einen Betriebsrat, Weiterbildungsmöglichkeiten, eine Gesundheitsuntersuchung und eine Impfung gegen Hepatitis. Es sollte sich herausstellen, dass dies nicht selbstverständlich ist. Nach drei Wochen verlässt Breitscheidel das Pflegeheim in München und arbeitet fortan in mehreren Heimen in der Republik. Seine Eindrücke sind auch dort zum größten Teil erschütternd.
Bewohner werden beispielsweise mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und vom Nachtdienst gewaschen, weil der Frühdienst hoffnungslos unterbesetzt ist. In anderen Fällen werden wochenlang Verbände nicht gewechselt, Heimbewohner ohne Genehmigung im Zimmer eingesperrt oder gegen ihren Willen gewindelt.
Es gibt Heime, die für ihre Demenzkranken eigene Stationen mit gesicherten Gängen und Wegen eingerichtet haben. Nicht so beispielsweise in der Seniorenresidenz in Köln. Dort, so Breitscheidel, wird den Demenzkranken nichts angeboten. In der Nacht steht lediglich ein Pfleger für sage und schreibe 82 Bewohner zur Verfügung.
Die Gleichgültigkeit gegenüber den Pflegebedürftigen geht in Breitscheidels Beispielen meist mit einer unglaublichen Ausbeutung der Pflegekräfte einher. So werden, um Personalkosten zu sparen, überwiegend un- und angelernte Hilfskräfte eingestellt, die zum Teil ohne Einarbeitung schwerste Pflegefälle versorgen müssen. Die wenigen Fachkräfte sind vollkommen überfordert.
In privaten Heimen, die ausschließlich gewinnorientiert arbeiten, ist die Situation verständlicherweise am schlimmsten. Dort wird die gesetzlich vorgeschriebene Anzahl der Pflegekräfte oft nicht eingehalten.
Breitscheidel gibt in seinem Buch noch eine Fülle von weiteren Beispielen. Günter Wallraff empfiehlt das Buch im Vorwort allen, "die nicht verdrängen wollen, dass sie auch einmal alt werden und pflegebedürftig sein könnten". Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht einigen kritischen Bemerkungen insbesondere zu den Schlussfolgerungen, die Breitscheidel aus seinen Erfahrungen zieht.

Breitscheidels hauptsächliche Forderung ist ein sukzessiver Abbau von Heimplätzen und der weitere Ausbau der ambulanten Pflege. Um dies zu untermauern, führt der Autor auch ein Interview mit Klaus Dörner, einem Professor für
In einem Interview erklärt Breitscheidel, man müsse dringend die Pflege nach Zeitkorridoren und das Modell der Pflegestufen aufgeben, um die Versorgung zu verbessern. Abgesehen davon, dass beides zu einem gewissen Grad für professionelle Pflege unabkömmlich ist, würde auch das keine Verbesserung schaffen. Vielmehr müssten die bestehenden Pflegeeinrichtungen vom ökonomischen Druck befreit werden, nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgebaut und mit ausreichend qualifizierten Arbeitskräften ausgestattet werden.
Die Versorgung pflegebedürftiger Menschen ist eine gesellschaftliche Aufgabe, auf die jeder ein Anrecht hat und für die ausreichend finanzielle und personelle Mittel bereitgestellt werden müssen.
Das eigentliche Problem liegt darin, dass Pflege, genau wie die allgemeine Gesundheitsversorgung und andere Sozialleistungen, ständigen Angriffen ausgesetzt sind. Öffentliche Einrichtungen werden immer weiter privatisiert und in den verbleibenden werden rigorose Kürzungsmaßnahmen durchgeführt, die sowohl das Personal als auch die Leistungsempfänger empfindlich treffen.

Ela

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