Forum Politik und Gesellschaft andere gesellschaftliche Themen Benachteiligung von Frauen und Mädchen in der frühen Bundesrepublik

andere gesellschaftliche Themen Benachteiligung von Frauen und Mädchen in der frühen Bundesrepublik

Anna842
Anna842
Mitglied

RE: Benachteiligung von Frauen und Mädchen in der frühen Bundesrepublik
geschrieben von Anna842

Benachteiligung von Mädchen in der frühen BRD.
In den 60er Jahren, da kamen sie.
Die sog. " Beat-Bands ".
Schossen, wie eine so sagt, wie die Pilze aus dem Boden.
Spielten in Jugendzentren. Alles Jungs!

Ich wollte eine Gitarre. Meine Eltern sagte Nein.
Ich wollte Gitarre spielen lernen, in einer Beat-Band mitspielen.
Nein, nein, nein...du bist ein Mädchen.

Ich fing eine Freundschaft mit einem Jungen an, der eine Gitarre hatte und auch passabel spielen konnte.
Er brachte mir einiges bei.
War leichter, als gedacht.

Eine Beat-Band sah ich fast jedes Wochenende.
Vor allen Dingen hörte ich sie.
Der Rhythmusgitarrist war grottenschlecht.
Er verspielte sich. Er flog aus dem Rhythmus raus und musste neu ansetzen.
Ich war besser. Das wusste ich.
Ich bin zu dieser Band hin und habe gesagt: Ich will bei euch mitspielen.
Ich spiele besser als der da!

Sie lachten mich aus. Musterten mich von oben bis unten, als hätte mein Aussehen
irgend etwas damit zu tun.
" Du kannst unser Go-Go-Girl werden! ", und dann lachten sie wieder über
mich.
Einer hatte noch gar nichts gesagt. Dann wies er die anderen an zu gehen.
Ich war alleine mit ihm im Raum.
Vielleicht darf ich jetzt wenigstens mal vorspielen, dachte ich.

Er sprach ganz ruhig mit mir, da war keine Überheblichkeit.
Er meinte, dass es so ist. Ihr Rhythmusgitarrist spielt schlecht.
Und er glaubte mir auch, wenn ich sage, dass ich besser spielen könnte.

Aber: Du bist ein Mädchen. Wir können kein Mädchen bei uns mitspielen
lassen. Wir würden uns lächerlich machen. Wir wären keine Beat-Band mehr.
Wir wären nur noch die Band mit dem Mädchen.
Verstehst du das?

Ich verstand. Ich hatte keine Chance. Nirgendwo.
Nicht weil ich nicht spielen konnte.

Weil ich ein Mädchen war!

Das war 1964. Und ich war 13 Jahre alt.

Anna

Lerge
Lerge
Mitglied

RE: Benachteiligung von Frauen und Mädchen in der frühen Bundesrepublik
geschrieben von Lerge
als Antwort auf Anna842 vom 24.02.2023, 11:34:00

Ich muss in den Fünfzigern in einer total anderen Welt großgeworden sein.

Mit meiner gleichaltrigen Freundin gehörte ich zu einer Jungen-Gruppe, mit
der wir jahrelang alles zusammen unternahmen und ich spielte ungehindert Akkordeon.

Weiter gab’s Bergsteigen, Klettern, Tanzen, auf der Bühne lustige Stücke aufführen, Nachtwanderungen, Aufenthalte in Jugendherbergen, Musikabende, usw… usw….
Wir wurden NIE runtergemacht und waren immer ‘gleichberechtigt’
und die besten Freunde. 

Anna842
Anna842
Mitglied

RE: Benachteiligung von Frauen und Mädchen in der frühen Bundesrepublik
geschrieben von Anna842
als Antwort auf Lerge vom 24.02.2023, 12:40:52

Wir sind wohl in der BRD aufgewachsen.
Aber wir sind nicht alle gleich aufgewachsen.
Meine Eltern hätten mir nie ein Akkordeon gekauft!

Und wie ich bereits schrieb, wurde mir auch verweigert, ein
Gymnasium zu besuchen.
Ich wurde gezwungen, auf der Volksschule zu verbleiben.

Eine gleichaltrige Freundin, die ich als Erwachsene kennenlernte,
konnte natürlich und selbstverständlich Abitur machen.
Sie wurde in das sog. wohlhabende Bildungsbürgertum hinein geboren.

Es war also eine Klassengesellschaft.

In den Medien höre ich heute häufiger, dass Kinder aus den sog. 
" bildungsfernen " Haushalten viel seltener ein Gymnasium besuchen.

Außerdem ist Akkordeon spielen, etwas anderes, als E-Gitarre in einer
Beat-Band spielen zu wollen.
Klettern gab es bei mir auch nicht. Im Ruhrgebiet gab es keine Berge.

Zum ersten Mal in Urlaub gefahren bin ich erst, als ich schon lange
erwachsen war.

Ja, Lerge, du bist in einer komplett anderen Welt aufgewachsen.

Übrigens habe ich auch viel mit den Jungen Fußball gespielt.
Etliche sind dann in einen Fußballverein gegangen.
Das war mir untersagt, obwohl ich es gerne wollte.
Fußballvereine nahmen keine Mädchen auf.
Das kam erst sehr viel später.

Das zu dem Thema Benachteiligung für Mädchen bezogen auf den Bereich
Sport.

Anna


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Mitglied_162e28b
Mitglied_162e28b
Mitglied

RE: Benachteiligung von Frauen und Mädchen in der frühen Bundesrepublik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
So richtig mitreden als benachteilgtes Mädchen in meinen jungen Jahren kann ich eigentlich gar nicht.
Bei mir hieß es regelmässig:
"An dir ist ein Junge verloren gegangen!"

Das war voll okay für mich.
Anna842
Anna842
Mitglied

RE: Benachteiligung von Frauen und Mädchen in der frühen Bundesrepublik
geschrieben von Anna842
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 24.02.2023, 13:22:31

Enya, was bedeutet denn dieser Satz für dich bzw. was hat er bedeutet.

Ich habe auch gehört: " Du benimmst dich wie ein Junge. " Und ähnliches.

Aber dieser Satz war für mich nicht das Problem.
Es war nur ein Satz.
Aber, dass ich, weil ich ein Mädchen war, nicht zum Gymnasium durfte,
nicht in einen Fußballverein, nicht E-Gitarre in besagter Band spielen
durfte usw.
Das war von Bedeutung. Und nicht dieser Satz.

Anna

 

Mitglied_162e28b
Mitglied_162e28b
Mitglied

RE: Benachteiligung von Frauen und Mädchen in der frühen Bundesrepublik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Anna842 vom 24.02.2023, 13:30:25

Für mich sieht es so aus, als wären deine durchaus traumatischen Erfahrungen großenteils deinem Elternhaus und deinem Umfeld zuzuordnen.
Es gab in dieser Zeit ja häufig die Ansicht, dass ein Mehr an Bildung bei Mädchen Verschwendung sei.
Aber das hatten wir ja schon in epischer Breite...


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Anna842
Anna842
Mitglied

RE: Benachteiligung von Frauen und Mädchen in der frühen Bundesrepublik
geschrieben von Anna842

Das war mir entfallen: Ich musste als Mädchen im Haushalt helfen.
Den Abwasch machen, putzen, Staubsaugen ect.
Mein Bruder lag derweil auf der Couch und las Jerry-Cotten Hefte.
Er war 15 Monate älter als ich.
Wenn ich mich beschwerte, bekam ich als Antwort, dass er ein Junge
sei. Jungen müssen nicht mit im Haushalt helfen.
Ich kannte viele gleichaltrige Mädchen, denen ist es genau so ergangen
wie mir. 
Ach ja, Schuhe putzen, das musste ich auch. Auch die  meines älteren
Bruders.
Eine Freundin damals musste das auch. Sie hatte gleich drei Brüder.

Anna

Edita
Edita
Mitglied

RE: Benachteiligung von Frauen und Mädchen in der frühen Bundesrepublik
geschrieben von Edita
als Antwort auf Anna842 vom 24.02.2023, 13:22:21

Ich wurde nicht in „ein sog. wohlhabendes Bildungsbürgertum hineingeboren“, wir hausten in Dortmund zu fünft in einer Zweizimmerwohnung, das Haus haben die Eltern selber mit erbaut und sich dadurch einen Anspruch erworben, mit Möbeln, die meinen Eltern zugewiesen worden waren, Betten, Kleiderschrank, Küchenschrank, Küchentisch, Stühle, das Wohnzimmer hatte bis 1956 keine Möbel! 
Aber was meine Eltern in ihren jungen Jahren auch schon miterleben mußten, hat sie wohl dazu bewogen, daß ihre Kinder nur mit besserer Schulbildung fairere Chancen haben würden, wir drei haben alle das Abitur gemacht, aber meine Eltern haben darum persönlich auf sehr viel verzichtet, sie mußten ja auch noch Schulgeld und die Fahrkarten bezahlen, als Kind habe ich das nicht gespürt, erst als ich erwachsen war und selber Kinder hatte, konnte ich das nachempfinden! 
Und so Fälle wie meiner gab es einige in meiner Klasse, das „wohlhabende Bildungsbürgertum“ war in der Minderheit!
Wenn Eltern ihren Kindern damals Bildung verweigert haben, dann hatte das nichts mit Zweiklassengesellschaft zu tun sondern einzig mit der „Unbildung“ der Leite selber! 
Ich habe noch Bilder in Erinnerung, meine Mutter, sie war auch die jüngste Frau,  war in der ganzen Straße die einzige, die arbeiten ging, alle anderen Mütter hingen von morgens bis abends am Fenster rum und beobachteten was in der Straße los war, die 14- jährigen Kinder, drei waren auch erst 13, gingen aber arbeiten und mußten das Kostgeld abliefern, 20, 40 und 60 Mark gab es im Monat in den 3 Lehrjahren, keine schöne Zeit für junge erwachsen werdende Menschlein! 
So war es in Dortmund in meiner Straße! 


Edita


 

Anna842
Anna842
Mitglied

RE: Benachteiligung von Frauen und Mädchen in der frühen Bundesrepublik
geschrieben von Anna842
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 24.02.2023, 13:34:45

Traumatische Erfahrungen, Enya, die sehen noch mal ganz anders
aus.
Offensichtlich bin ich hier weit und breit die einzige, die aus der Arbeiterschicht
kommt und Benachteiligungen hin zu nehmen hatte.

Weiß nun gar nix mehr zu sagen. Fühle mich als eine Art  "Alien ".
Als eine Art " tragisches Einzelschicksal ".

Obwohl: Während meines Studiums in den 70er, haben wir bei den Politologen,
als auch bei den Soziologen die Thematik:

Die BRD als Klassengesellschaft durchgenommen.

Gab es viel Literatur zu. Damals. Hinterm Mond.

Anna

werderanerin
werderanerin
Mitglied

RE: Benachteiligung von Frauen und Mädchen in der frühen Bundesrepublik
geschrieben von werderanerin

Wie ich lese, geht es in diesem Thread "nur" um Mädchen/Frauen in der frühen Bundesrepublik...schade eigentlich.

Kristine


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