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Aktuelle Themen Zur Bildung ... nur zwei Fragen (aber längerer Artikel und drei Bilder) (Gültige Auflage)

niederrhein
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Zur Bildung ... nur zwei Fragen (aber längerer Artikel und drei Bilder) (Gültige Auflage)
geschrieben von niederrhein
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Bildung ...

Zwei Anlässe führen zu diesem Thema; zwei Buchrezensionen in der Süddeutschen Zeitung.

Einmal
die Besprechung eines Buches von [i]Bruno Preisendörfer
( Das Bildungsprivileg – Warum Chancengleichheit unerwünscht ist? Eichborn, 2007: in: Süddeutsche Zeitung, 04.02.2008); wobei Preisendörfer eben die These aufstellt, daß man – trotz PISA-Erkenntnisse (Bildungsweg und –erfolg stehen in direkter Korrelation zur sozialen Herkunft) etc. – gar nicht daran interessiert ist, die bildungsfernen Kinder aus ihrer Situation zu befreien. Im Gegenteil (so Preisendöfer): Die Bourgeoisie ist nur auf Besitzstandswahrung bedacht; d.h. auf die Privilegien ihrer eigenen Kinder.
Ein historischer Querverweis: Die Dreiteilung unseres Schulsystem ist Ausdruck der Dreiklassengesellschaft des 19. Jh.; mit einer unterschiedlichen Begabung der Kinder hat(te) diese Dreiteilung absolut nichts zu tun.

(Vor rund dreißig Jahren: Ich saß zur Wurzelbehandlung in dem Behandlungsstuhl einer Zahnärztin und war deswe-gen etwas rede- und aussagebehindert; vielleicht deswegen die Aussage meiner (ansonsten sehr tüchtigen) Zahnärztin: „Soweit ist es schon gekommen, meine Putzfrau schickt ihr Kind aufs Gymnasium.“)

Übrigens: Vor dreißig, vierzig Jahren hatte man bereits diese Situation beklagt, wie etliche Publikationen aus jenen Jahren belegen:
Helge Pross: Bildungschancen von Mädchen und Frauen in der Bundesrepublik, 1969.
Norbert Weber: Privilegien durch Bildung. Über die Ungleichheit der Bildungschancen in der Bundesrepublik Deutschland, 1973.
Beides in de Edition Suhrkamp erschienen.


Zweitens: Ebenfalls in einer Rezension in der SZ (06.02.2008) von Angela Gutzeit; es geht um das Buch von: WOLFGANG FRÜHWALD: Wieviel Wissen brauchen wir? Politik, Geld und Bildung. Berlin 2008).

Frühwald fragt, angesichts der „Müllhalden des Wissens“, nach der Zukunft von Forschung und Überlieferung. Denn Zeiten des Umbruchs verlangen nach Orientierung. Frühwald ist zutiefst davon überzeugt, dass wir einen Umbruch von epochalem Ausmaß erleben.
Zitat aus der Rezension:
„Die "Galaxis Gutenberg", in deren Zentrum 500 Jahre lang die Drucküberlieferung des Wissens gestanden habe, werde nun abgelöst durch das digitale Zeitalter. Wie werden wir künftig die Gesetze der Natur erklären und unser Menschsein definieren, wenn nicht mehr die Schrift dominiert, sondern das Bild? Wie müssen Bildung und Forschung organisiert sein, damit sie uns bei der großen Anstrengung unserer Zeit einen Weg weisen können: der "Sortierung der Müllhalden", dieser stetig wachsenden Berge aus Informationen und neuen Erkenntnissen?“


Das Gelesene der letzten Tage führte mich zu der Frage hier fürs Forum:

Was ist Bildung – für den einzelnen?
Ausbildung? Privileg der Bourgeoisie, des Geld- und Bildungsbürgertums? Das Verfügen über einen bestimmten Bildungskanon? (Nach Prof. Frühwald: Bildungskanon als Repräsentationsdenken)
Prof. Ernst Peter Fischer plädiert für einen erweiterten Bildungsbegriff, der die Naturwissenschaften und die Mathematik einbezieht.

Welchen Wert bemißt man heute der Bildung noch?

Interessant sind diese beiden Fragen(komplexe) deshalb schon, weil die Mitglieder hier im ST unterschiedliche Bildungssozialisationen erfahren haben (unter der Einbeziehung der Schweiz und Österreich noch weitere ... ): Die ehemaligen Bürger der DDR haben diesbezüglich andere Erfahrungen und Normen kennengelernt als etwa die Menschen in der westlichen BRD.
Auch die Zeit der schulischen Sozialisation spielt eine Rolle:
Nachkriegszeit und frühe 50er Jahre;
die klassische Restaurationsphase der mittleren und späten 50er und auch frühen 60er Jahre;
und offenbar haben die jüngeren Mitglieder im ST diese Zeit in den späteren 60er und 70er Jahren erlebt.


Einige Anmerkungen in diesem Zusammenhang:

Googeln und Wikipedia reichen offenbar heute nicht wenigen Menschen völlig aus ... Studenten verteidigen gegenüber ihrem Hochschullehrer die Dürftigkeit einer wissenschaftlichen Arbeit mit dem Argument, daß eben sie in Wikipedia und über Google kaum etwas gefunden hätten.

Theater, klassischer Konzertbetrieb, Besuch von Museen und Ausstellungen in diesem Bereich: Nach wie vor ausschließlich eine Angelegenheit der Bourgeoisie, wobei interessant ist, daß diese Einrichtungen (etwa der Opernbetrieb) zu über achtzig Prozent über Steuern subventioniert werden und fast ausschließlich von einem Publikum in Anspruch genommen wird, die durchaus finanziell in der Lage wären, die entsprechenden Kartenpreise zu zahlen.
Etwa pointierter formuliert: Die arbeitende, lohnsteuerzahlende Bevölkerung finanziert im hohen Maße das Vergnügen und die gesellschaftliche Selbstdarstellung einer (mehr oder weniger reichen) Minderheit, der Bourgeoisie. Siehe Bayreuth, Salzburg, Münchener Opernfestspeile.
Im Zeitalter des Absolutismus finanzierten Bauern und die (damals noch wenigen) Bürger die entsprechende repräsentative Selbstdarstellung ihrer zahlreichen Fürsten, wobei ausgerechnet dieser – nach heutigen Maßstäben doch eher skandalöse – Umstand zur der in der Welt einma-ligen Situation einer einzigartigen europäischen Musikkultur führte. (Analog gilt dies in hohem Maße auch für die architektonische Präsentation des Adels und des später gehobenen Bürgertums, eben der Bourgeoisie.)

Die Bertha
vom Niederrhein






yankee
yankee
Mitglied

Re: Zur Bildung ... nur zwei Fragen (aber längerer Artikel und drei Bilder) (Gültige Auflage)
geschrieben von yankee
als Antwort auf niederrhein vom 06.02.2008, 14:02:24
Danke Niederrhein,

dieses Thema ist wirklich wert, diskutiert zu werden. Die aktuelle Situation stellt sich für mich folgendermaßen dar:

Informationsflut durch technischen Fortschritt
Exorbitante Steigerung der erforderlichen beruflichen Spezialisierungen durch Erhöhung der Anzahl verschiedener Berufsbilder (besonders im Bereich NT und IT)

Vor diesem Hintergrund wird nun versucht mit Hilfe überalterter Schulsysteme, das jährlich extrem steigende Wissen, für spätere berufliche Basisqualifikationen, zu vermitteln.
Gleichzeitig verkürzt sich die Vermittlungszeit, da die Anzahl der Wissensthemen immer mehr zunehmen.
Im Gegensatz dazu wird in unserem Schulsystem immer noch der Vorsatz vertreten, den Kindern eine breite Wissensbasis zu vermitteln, um dem Kind eine möglichst grosse Auswahl späterer Berufsrichtungen mit zu geben.

Hinzu kommt das 3 gliedrige Schulsystem, welches letztlich nur die Aufgabe der Bildungsklassifizierung erfüllt.
niedrig - mittel - hoch

Moderne Schulsysteme haben die Grundproblematik längst erkannt, und Ihr (Aus)Bildungssystem der aktuellen Gesamtsituation, angepasst.

Die Informations -und Wissensflut muss kanalisiert werden, indem Kinder vom ersten Schuljahr an auf Ihre Fähigkeiten und Ihre Interessen hin über die gesamte Schulzeit auf eine oder wenige bestimmte berufliche Richtungen vorbereitet werden. Dies gleicht zwar dem Typ einer Züchtung, aber das ist das jetzige Schulsystem und Bildungssystem ja auch. Die "Veredelung" des Wissens als Vorbereitung auf künftige spezielle Berufe vergrössert auch das Potenzial bzw. schöpft das vorhandene Potenzial des Kindes effektiver aus.
Dieses Konzept muss nicht gleichbedeutend sein mit Fachidiotie.
Ein wesentlicher aber fest definierter Bestandteil der Ausbildung muss natürlich der Allgemeinbildung vorbehalten bleiben.
In Form von frühzeitiger Eignungsselektion könnte durch Leistungskurse, den Fähigkeiten und Interessen des Kindes besser Rechnung getragen werden. Dies könnte auch in einer einzigen Schule ohne 3-teilige Klassifizierung stattfinden.

Ich bin gespannt, wie lange es dauert oder wie hoch der Druck noch werden muss, bis die Betonköpfe von allwissenden Pädagogikexperten eine grundsätzliche Reformation des Ausbildungssystems in Deutschland zulassen werden.

Momentan habe ich auch eher den Eindruck, daß wir uns zurückentwickeln in Zeiten des 2 Klassensystems. Bildung können sich nur die Reichen leisten. Aber als Volk, im Wettbewerb mit gewaltigen und schnell lernenden Schwellenländern, werden wir nur überleben, wenn wir als Gesamtheit gut ausgebildet sind.


--
yankee
marianne
marianne
Mitglied

Re: Zur Bildung ... nur zwei Fragen (aber längerer Artikel und drei Bilder) (Gültige Auflage)
geschrieben von marianne
als Antwort auf yankee vom 06.02.2008, 17:22:16
Danke Bertha,
danke Yankee,

für die "schulischen" Informationen.

Von unsern 5 Enkeln ist einer im Gymnasium, die andern 4 sind noch gar nicht eingeschult.
Ich habe erst heute kapiert, dass die 12(oder 13) Jahre bis zum Abitur Ländersache sind....
Bleibt bitte dran, damit ich nicht so dumm bleibe..:)
--
Marieke

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niederrhein
niederrhein
Mitglied

Hausaufgaben ... (und ein Dankeschön)
geschrieben von niederrhein
als Antwort auf yankee vom 06.02.2008, 17:22:16
Zunächst ein herzliches Dankeschön an Yankee!


Hausgaben für alle Interessierten!


1. Wie definieren Sie Bildung allgemein?

2. Was sind für Sie (die) Bildungsinhalte?

3. Welche Bildungsziele sollten angetrebt werden?

4. Welche Funktion hat - Ihrer Erfahrung und Meinnung
nach - die Bildung für das Individuum, also den
einzelnen Menschen, und für die Gesellschaft


Eine brauchbar-gute Übersicht zum Thema Bildung finden Sie in Wikipedia!

Über Reaktionen & Mitarbeit freut sich (vielleicht nicht nur)

Die Bertha
vom Niederrhein


P.S. Das von genannte Buch von Preisendörfer (siehe Ausgangsbeitrag) ist durchaus sehr lesenswert; wer die ganze Rezension aus der SZ möchte: eMail an bertha.dammertz@gmx.de.
silhouette
silhouette
Mitglied

Re: Hausaufgaben ... (und ein Dankeschön)
geschrieben von silhouette
als Antwort auf niederrhein vom 07.02.2008, 10:23:42
Bildung, liebe Berthavomniederrhien,

ist für mich nicht nur Ausbildung durch die (staatlichen oder privaten) Einrichtungen, angefangen bei der KiTa. Sondern die andere, wichtige Komponente ist die Bildung durch das soziale, familiäre Umfeld, das keineswegs viele Stunden pro Tag Einfluss zu nehmen braucht.

Beispiel, es liegt schon über 30 Jahre zurück, d.h. in einer ideologisch unverdächtigen Zeit: Eine Freundin von mir, angehende Volksschullehrerin auf der PH, hatte als Examensarbeit eine Untersuchung durchzuführen über das Lern-Niveau in den Grundschulen verschiedener kleiner Gemeinden im Kreis Karlsruhe. Darunter befanden sich auch zwei Gemeinden, die einen extrem hohen Anteil an zugezogenen Akademikerfamilien aufwiesen. Denn in ihrer Nachbarschaft befand sich ein großes wissenschaftliches Forschungszentrum. Obwohl in diesen Familien auch die Berufstätigkeit der Mütter sehr weit verbreitet war, ergab sich in der Untersuchung: Die Kinder dieser Grundschulen hatten den höchsten Ausbildungsstand, die Akademikerkinder hatten auch die Kinder der einfacheren Schichten "mitgezogen".

Schon die Sprache, mit der ein Kind von seinen Eltern angesprochen wird, hat einen entscheidenden Einfluss.

Meine Aussage zur Funktion der Bildung: Bildung ist bestimmende Voraussetzung für ein demokratisches, rechtsstaatliches Gemeinwesen. Nur Bildung schärft die Sinne für Unrecht, leere Parolen, Hetzkampagnen, Volkstribunen, Verführer.
--
silhouette
lalelu
lalelu
Mitglied

Re: Zur Bildung ... nur zwei Fragen (aber längerer Artikel und drei Bilder) (Gültige Auflage)
geschrieben von lalelu
als Antwort auf niederrhein vom 06.02.2008, 14:02:24

Hallo Bertha,


ein wirklich interessantes und brisantes Thema, das viel Zündstoff bietet und über das man sich die Köpfe heiß reden kann!

Für meine Antwort habe ich mir einen einzigen Aspekt ausgesucht und möchte mich darauf konzentrieren.

Es geht mir um das oben erwähnte Bildungsprivileg der Bourgeoisie und die nicht vorhandene Chancengleichheit auf Grund der sozialen Herkunft für Kinder aus unterprivilegierten Schichten.

Eine provokante These, die aber mit Sicherheit nicht aus der Luft gegriffen ist! Ich stimme der Auffassung zu, dass Personen aus sozial benachteiligten Schichten nicht so leicht Zugang zu Bildungsangeboten finden wie solche aus privilegierten Verhältnissen. Das liegt jedoch nicht unbedingt nur daran, dass die Bourgeoisie ihnen den Zugang nach Möglichkeit verwehrt, sondern ist zum großen Teil auch darin begründet, dass viele gar nicht wissen, welche Hilfs- und Förderangebote vorhanden sind. Hier gibt es ohne Zweifel noch vieles zu verbessern im Hinblick auf Information und Anleitung zur Selbsthilfe. Unsere Gesellschaft kann es sich nicht erlauben, intellektuelle Ressourcen verkümmern zu lassen, sondern muss selbst ein Interesse daran haben, diese so gut wie möglich zu erschließen und zu nutzen.

Oft aber kommen die Klagen über fehlende Bildungschancen auch aus einer ideologisch angehauchten Ecke. Die Chancen fehlen nicht – man muss sie suchen und ergreifen und denen Hilfestellung geben, die sie alleine nicht finden.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass auch den Menschen aus einfachen Verhältnissen alle Bildungsmöglichkeiten offen stehen, sofern sie selbst interessiert und engagiert sind. Das war schon vor 50 Jahren so und gilt noch heute. Obwohl mein Vater einfacher Arbeiter mit kleinem Einkommen war, konnten meine beiden Geschwister und ich das Gymnasium und nach dem Abitur die Universität besuchen. Das wäre ohne finanzielle Förderung nicht möglich gewesen. Während der Schulzeit waren wir von der Zahlung des damals noch üblichen Schulgeldes befreit und bekamen später im Studium eine Unterstützung nach dem Honnefer Modell, dem Vorläufer des heutigen Bafögs. Allerdings mussten wir regelmäßig Leistungsnachweise vorlegen, sonst wäre die Förderung gestrichen worden. Außerdem mussten wir uns selbst darum kümmern, alle Möglichkeiten auszuloten und auszuschöpfen.

Diesen Punkt vermisse ich in heutigen Diskussionen oft. Viele verlangen von der Allgemeinheit jede mögliche Unterstützung und Hilfe, sind aber selbst nicht gewillt, sich ausreichend zu informieren, zu engagieren, für ihre Ziele zu kämpfen und ihr Studium so zügig wie möglich durchzuziehen. Es kann doch nicht sein, dass man jammert, weil man nicht zur besitzenden Klasse gehört, deshalb die Gesellschaft anprangert, aber die angebotenen Möglichkeiten nicht ausschöpft!

Im Übrigen kann ich mich auch nicht mit der heutigen Philosophie anfreunden, dass jeder unbedingt Abitur machen muss. Ich werde immer dafür eintreten, dass alle die für sie bestmögliche Schulbildung erhalten – ich selbst habe schließlich auch davon profitiert - aber Abitur ist nun mal nicht für jeden die beste Möglichkeit. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten sind unterschiedlich verteilt, und man tut Kindern, egal aus welcher Schicht sie kommen, keinen Gefallen damit, sie auf Schulen zu zwingen, auf denen sie intellektuell permanent überfordert werden. Eine weitere provokante Aussage, die aber ebenfalls einen wahren Kern hat lautet: "Man kann die Hauptschule abschaffen, aber nicht den Hauptschüler". Das ist keineswegs abwertend gemeint, aber ich frage mich, warum z.B. ein guter und geschickter Handwerker unbedingt Abitur haben muss. Ich hege die allergrößte Bewunderung für handwerklich geschickte Menschen, und dabei ist es mir völlig gleichgültig, wie es um ihre Mathe-, Literatur- oder Sprachkenntnisse steht.

Ein negatives Nebenprodukt der Forderung: "Abitur für alle", zeigt sich darüber hinaus am ständig zurückgehenden Leistungs-Niveau bei Gymnasiasten im Allgemeinen und Abiturienten im Besonderen. Das Abitur für jeden führte dazu, dass das Leistungs-Niveau ständig den Schwächeren angepasst wurde, um sie nicht zu demotivieren und um ihnen ein Verbleiben an der Schule zu ermöglichen. Das ist nicht meine Behauptung, sondern das häufig gehörte Klagelied von Gymnasiallehrern. Durch die Bank beklagen sie, dass es heute nicht mehr möglich sei, eine Klassenarbeit mit dem gleichen Schwierigkeitsgrad zu schreiben wie vor 20 Jahren. Als Ergebnis läge mit Sicherheit mehr als die Hälfte der Arbeiten unter dem Strich.

Es ist augenblicklich in, das dreigliedrige Schulsystem mit der frühen Festlegung auf eine bestimmte Schullaufbahn für die Misere beim Pisa-Test und andere schlechte Ergebnisse verantwortlich zu machen. Dieses Argument ist aber nach meiner Meinung nur ein Teil der Wahrheit. Viel schlimmer finde ich, dass man nicht jeden so fördert, wie es für ihn am besten ist. Dazu gehört aber auch, dass man sehr schwache Schüler anders unterrichtet als sehr gute. Wenn man beide zusammen mit dem gleichen Lehrstoff füttert, kommt keiner zu seinem Recht. In der Praxis hat sich gezeigt, dass die schlechten Schüler zwar von den guten teilweise mitgezogen werden können, dass aber einige schlechte und unmotivierte Schüler in einer Klasse auch das gesamte Niveau negativ beeinflussen können und die Eltern dann zu Recht auf die Barrikaden gehen. Deshalb finde ich Differenzierung in vielen Fällen richtig und notwendig, egal auf welcher Schule das geschieht. Wenn aber sowieso die Schüler in unterschiedlichen Kursen und Klassen unterrichtet werden, ist es auch nicht so eminent entscheidend, dass das dreigliedrige Schulsystem abgeschafft wird. Die Durchlässigkeit in jede andere Schulform und Schulart muss natürlich gewährleistet sein und außerdem sollte die sehr frühe Differenzierung aufhören, um auch Spätentwicklern eine reelle Chance zu geben. Bei der Diskussion um die sozial benachteiligten Schüler vergisst man heute leider oft, dass die hochbegabten nicht vernachlässigt werden dürfen. Unser Land braucht nicht unbedingt Tausende von mittelmäßigen Abiturienten, sondern vor allem kluge Köpfe, die uns weiterbringen.

Ins Bild passt, dass die Professoren an den Universitäten über schlecht ausgebildete Abiturienten klagen. Keiner erwartet, dass Studenten im ersten Semester schon alles das beherrschen, was sie erst studieren möchten, aber sie sollten doch zumindest überwiegend in der Lage sein, sich den Stoff zu erarbeiten. Wenn aber rund 50% der Mathestudenten nach dem ersten Semester das Handtuch werfen (wie bei meinem Sohn im Kurs geschehen), kann man doch nicht mehr von einer gesunden Entwicklung sprechen.

Ich provoziere jetzt meinerseits mit folgender Behauptung: Die heutige Tendenz, alle Kinder nach Möglichkeit auf weiterführende Schulen zu schicken, fördert die Zweiklassengesellschaft erst Recht! Warum? Weil die Eltern aus besser gestellten Schichten schon wieder zunehmend ihre Kinder auf Privatschulen schicken, da sie sich dort eine bessere Förderung für ihren Nachwuchs erhoffen als an den öffentlichen Schulen, in denen das Niveau teilweise dramatisch gesunken ist. Soll das nun der Weisheit letzter Schluss sein und sollen wir amerikanische Verhältnisse bekommen?

Noch ganz kurz zu deiner These, Bertha, dass die arbeitende Bevölkerung über Steuern und Abgaben z.B. die Oper und das Theater und damit indirekt das Vergnügen der Bourgeoisie finanziert, die diese Angebote überwiegend nutzt. Du hast sicher Recht, wenn man nur den finanziellen Aspekt betrachtet. Für mich besteht jedoch Bildung nicht nur aus der Vermittlung von Wissen, sondern neben der intellektuellen Ebene gibt es auch eine emotionale – wie schon das Wort Herzensbildung besagt. Darum finde ich es durchaus gerechtfertigt, ja sogar notwendig, dass man auch die kulturelle Bildung fördert. Das Angebot steht schließlich jedem offen, auch wenn es nur von bestimmten Kreisen angenommen wird. Es gibt mit Sicherheit Menschen, für die eine Theaterkarte unerschwinglich ist, und das ist traurig. Um aber ehrlich zu sein: ich bin fest davon überzeugt, dass viele, die nicht zu den oberen Zehntausend gehören, sich dennoch den Luxus einer Theaterkarte leisten könnten, wenn sie denn wollten. Ein Disco-Besuch, das wiederholte Ausgehen am Abend usw. sind auch nicht kostenlos zu haben, und trotzdem ist dafür bei vielen das Geld immer noch vorhanden.

Wahrscheinlich gefällt meine Meinung nicht jedem. Ich denke aber, dass man bei einem so wichtigen Thema alle Perspektiven beleuchten und sich auch mit anderen Auffassungen so sachlich wie möglich auseinandersetzen sollte. Die Konfrontation mit anderen Denkmustern erschließt vielleicht neue Sichtweisen und fördert damit auch die eigene Meinungsbildung.

In diesem Sinne:

Grüße an alle von Lalelu (Monika).
yankee
yankee
Mitglied

Re: Zur Bildung ... nur zwei Fragen (aber längerer Artikel und drei Bilder) (Gültige Auflage)
geschrieben von yankee
als Antwort auf lalelu vom 07.02.2008, 13:41:08
Mit den meisten deiner Aussagen stimme ich überein. Besonders mit der Aussage, daß nicht jeder ein Abitur benötigt.
Ich halte die Veränderung der Voraussetzung für ein modernes und effektiveres Schulsystem aber für unabdinglich. Mit dem herkömmlichen Modell passiert dasselbe wie mit unserem Steuersystem. Mit jeder Vereinfachung bzw. zusätzlichen Bildungsmöglichkeit wird die Komplexität größer und die Transparenz geringer. Die Handhabung solch komplexer Systeme wird immer teurer, während die Effizienz abnimmt.
Ein einheitliches Schulsystem bis zur 10. Klasse mit auf den einzelnen abgestimmten Bildungsschwerpunkten und Föderungsmöglichkeiten über Leistungskurse und zusätzlich unterstützende Massnahmen, ist nach dem finnischen Modell wesentlich effektiver. Zudem bietet es die Möglichkeit der Umgehung von Klassenunterschieden und bietet eine individuelle Förderung des Kindes abgestimmt auf seine Fähigkeiten und Interessen.
Die kulturelle Bildung und auch naturwissentschaftliche Bildung passt m.E. noch besser in diese Konzeption. Ebenso die Sache mit der einheitlichen Schulkleidung wäre so sicher auch leichter durch- und umsetzbar.
Die Förderung von Hochbegabten halte ich für einen genauso wichtigen Punkt wie die Förderung von minder begabten. Jeder Mensch hat irgendwo seine Stärken. Wir brauchen ein System, daß diese frühzeitig erkennt und gezielt fördert.
Unser jetziges Modell der Klassifizierung nach niedrig-mittel-hoch bewirkt mehr das Gegenteil einer individuellen Förderung. Innerhalb jeder Schulart wird alles über einen Kamm geschehrt. Wer über das Bewertungssystem (Schulnoten) durchs Sieb fällt, hat halt Pech gehabt oder war zu blöd oder zu faul oder...oder...
Unser jetziges Schulsystem und auch unsere veraltete, durch diese Tradition geprägte Denkweise, verhindern die Entwicklung komlett neuer Ausbildungskonzeptionen. Ebenso unsere gesellschaftliche Struktur, in der Bewertung der einzelnen Fähigkeiten. Geistige Arbeit wird höher bewertet und höher bezahlt als körperliche Arbeit und Geschick. Es gab Zeiten da war das umgekehrt.
Die Arbeit eines Theoritikers wird gesellschaftlich höher eingestuft als die Arbeit eines Praktikers, der die Theorie umsetzen muss. Da das eine ohne das Andere keinen Sinn macht, zeigt schon, wie verkehrt unsere grundsätzliche Einstellung ist. Und die übertragen wir auf ein Schul- bzw. Ausbildungssystem.

P.S. Bertha, meine Hausaufgaben mach ich später, wenn ich Lust dazu habe
--
yankee

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