Aktuelle Themen Worüber habe ich mich heute gefreut, geärgert oder gewundert? Nr. 4
Simiya
Hallo aixois,
ich wundere mich gerade, dass mich dein Beitrag nach so vielen Jahren noch berührt.
Ich wurde im Alter von 4 Jahren nach Oy-Mittelberg im Allgäu „verschickt“.
Die meiste Zeit scheine ich dies erfolgreich verdrängt zu haben.
Aus physischer Sicht hatte der Aufenthalt den gewünschten Erfolg, alle Kleidchen waren nach
meiner Rückkehr zu eng und mussten geändert werden.
Meine Abneigung gegen Mettwurst und Kakao führe ich bis heute darauf zurück.
Gut erinnere ich mich noch an die tägliche "Pflicht-Nachmittagsruhe" auf feldbettähnlichen Liegen
mit kratzigen, grauen Filz-Wolldecken.
Einen guten Abend wünscht
Lisa
das weckte meine reiselust und mein interesse an ackerbau und ernährung (sie hatten einen gr. obstgarten und ich hab bei einem bauern in der nähe bei der kartoffelernte usw. geholfen).
gefreut hab ich mich, weil mir immer wieder mal solche positiven erlebnisse aus meiner vergangenheit einfallen.
lg
minerva
"Ich war ja auch eines dieser "Verschickungskinder"....."
Da könnten wir uns die Hand reichen. Beim 1. Mal, dass ich "verschickt" wurde, war ich grad mal 2 1/2 Jahre alt. Vater hatte mich auf seinem Fahrrad hinten auf den Gepäckträger gesetzt und sagte noch eindringlich, ich sollte immer die Beine nach aussen strecken, damit ich nicht mit den Füssen in die Speichen geriet. Dann fuhr er mit mir etwa 10 Kilometer weit zu seinen Eltern, wo er mich einfach ablud. Ein Bruder von ihm fragte mich, ob ich die Hühner gucken möchte. Ich bejahte. Also ging er mit mir an der Hand hinters Haus, wo ein Stück des Gartens eingehegt war und in einer Ecke ein kleines Häuschen stand, wo ständig Hühner ein- und ausgingen und gackerten, wenn sie rauskamen. Der Onkel zeigte mir das Innere des Häuschens, wo er aus einer Kiste ein paar Eier nahm. Er gab mir eins in die Hand. Es war noch warm und stank für meine Begriffe fürchterlich. Die Eier würden wir jetzt der Grossmutter in die Küche bringen, sagte der Onkel.
Als wir reinkamen, war mein Vater verschwunden, ohne mir ein Wort des Abschieds zu sagen. Ich weinte fürchterlich. Aber die Zeit verging. Als mich Vater wieder holte, lag die Mutter im Bett und säugte mein erstes von zuletzt 5 Schwestern. Da wurde mir klar, dass ich wegen diesem kleinen Etwas da im Bett meiner Mutter zu den Grosseltern gebracht wurde. Später war es dann eine Tante, zu der ich musste. Das 1. Mal war ich etwa 5 Jahre alt. Die Tante wohnte in der Stadt. Zwischen dieser und unserem Dorf lagen noch 2 weitere kleine Dörfer. Als die Tante zu uns kam, um das Prozedere meines Besuches bei ihr mit meinen Eltern zu besprechen, sagte sie zu mir etwa diese Worte: "Du bist ja schon ein Grosser und bist auch schon am Eingang der Stadt gewesen. Weisst du, wo das Käppeli ist?" Ich bejahte. Dann solle ich also, wenn man mich schicke, genau bis dorthin gehen und dort auf sie warten. Als ich dann also beim Käppeli (kleine Kapelle) ankam und etwa eine halbe Stunde auf meine Tante wartete, dachte ich, ich sei ja schon ein Grosser, da könne ich der Tante noch etwas entgegengehen. Ich wanderte also auf dem Gehsteig, beguckte die Schaufenster ein bisschen und schaute immer nach meiner Tante aus. Plötzlich kam sie bei der Bahnhof-Unterführung heftig schnaufend und ihr Fahrrad stossend die Treppe hoch. Als sie mich sah, liess sie einen Schrei aus der Brust und stürzte sich fast auf mich. Dann wollte sie mich ausschimpfen. Aber die Erleichterung darüber, mich endlich gefunden zu haben, war grösser; sie drückte mich fest an sich und sagte: "Das erzählen wir aber deinen Eltern nicht, gell?"
Ach ja, lieber @Aixcois . Ich wurde mit vier Jahren in ein Kinderheim im Schwarzwald 'verschickt', zwecks 'Gewichtszunahme'. Einige Eltern der Nachkriegszeit machten das so. Aus Überforderung vielleicht, oder um einfach mal Ruhe vor den Kindern zu haben? Jedenfalls war das Heim nur schrecklich, man musste Erbrochenes wieder aufessen und die 'Erziehungsmethoden' waren wie in der Nazizeit:
Wer nicht der Norm entsprach, war ausgesondert , mit entsprechender 'Behandlung'.
Heute: Mein Enkel macht seinen Zivildienst in der Schweiz in einem Kinderheim für die, denen es zu Hause schlecht geht , da gibt es einen anderen Zugang zu Kindern, die Zuwendung brauchen, da geht man mit Kindern anders um. Andere Zeiten, gut so, und wunderbar hat sich das geändert. Florentine
PS: wer sich intersessiert über Nachkriegskinder, oder Kriegskinder, der findet bei Sabine Bode und Anderen Bücher, die mich zum Beispiel sehr erleichtert haben, weil ich mich dann nicht mehr so alleine fühlte. Es ist für mich heute noch so, dass viele meiner Altersgefährtinnen, 1946 und weiterhinaus ihre Kindheit nicht 'anschauen' mögen.
Hier einer von vielen Links über Kinder und ihre Erlebnisse aus 'Damals'.
Florentine
https://www.amazon.de/Nachkriegskinder-1950er-Jahrg%C3%A4nge-ihre-Soldatenv%C3%A4ter/dp/3608980520
Ach ja, lieber @Aixcois . Ich wurde mit vier Jahren in ein Kinderheim im Schwarzwald 'verschickt', zwecks 'Gewichtszunahme'. Einige Eltern der Nachkriegszeit machten das so. Aus Überforderung vielleicht, oder um einfach mal Ruhe vor den Kindern zu haben? Jedenfalls war das Heim nur schrecklich, man musste Erbrochenes wieder aufessen und die 'Erziehungsmethoden' waren wie in der Nazizeit:
Wer nicht der Norm entsprach, war ausgesondert , mit entsprechender 'Behandlung'.Liebe Florentine,
Heute: Mein Enkel macht seinen Zivildienst in der Schweiz in einem Kinderheim für die, denen es zu Hause schlecht geht , da gibt es einen anderen Zugang zu Kindern, die Zuwendung brauchen, da geht man mit Kindern anders um. Andere Zeiten, gut so, und wunderbar hat sich das geändert. Florentine
PS: wer sich intersessiert über Nachkriegskinder, oder Kriegskinder, der findet bei Sabine Bode und Anderen Bücher, die mich zum Beispiel sehr erleichtert haben, weil ich mich dann nicht mehr so alleine fühlte. Es ist für mich heute noch so, dass viele meiner Altersgefährtinnen, 1946 und weiterhinaus ihre Kindheit nicht 'anschauen' mögen.
Hier einer von vielen Links über Kinder und ihre Erlebnisse aus 'Damals'.
Florentine
https://www.amazon.de/Nachkriegskinder-1950er-Jahrg%C3%A4nge-ihre-Soldatenv%C3%A4ter/dp/3608980520
auch ein Mitglied meiner Familie war betroffen und die seelischen Narben haben deutliche Spuren hinterlassen.
Bis heute lässt die Aufarbeitung zu diesem Thema sehr zu wünschen übrig. In dieser Dokumentation werden die Zusammenhänge und Fragen nach dem "Warum" gut verdeutlicht.
Simiya
Ich weiss ja nicht, ob ab und zu Humor hier geduldet wird, wie vieles andere auch.
KI hat jedenfalls eine update Vision des Mount Rushmore geliefert
Ich habe so etwas auch nicht mitbekommen als Kind, aber vielleicht war das zu meiner Zeit auch schon vorbei.
Ich kenne "Kinderlandverschickung" nur aus Erzählungen meiner Mutter in der Kriegszeit und das sind durchwegs positive Erinnerungen, die sie daran hatte.
An reichlich zu essen und viel Milch (sie entdeckte irgendwann, daß die Frau, bei der sie untergebracht war, einfach Wasser in diese Milch schüttete, um mehr draus zu machen 😉😂).
Sie hatte es dort viel besser als zu Hause, wo sie als Älteste von 8 Kindern ganz schön mit eingespannt wurde und Essen und Kleidung immer knapp waren.
Einmal kam sie nach Hause in einen total zerstörten Straßenzug. Die Familie war ausgebombt worden, sie musste das neue, behelfsmässige Zuhause erst finden.
Dort angekommen fand sie schlafende Kinder an den unmöglichsten Stellen, weil nicht genug Betten da waren - zB in der Badewanne, ein ganz Kleines schlief sogar in einer Schrankschublade.
Simiya