Aktuelle Themen Sterbehilfe

Mitglied_b12f0f2
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Re: Sterbehilfe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 26.05.2014, 22:11:25
Hier geht es doch nicht darum, jemanden das Leben zu nehmen (das wäre ja Mord oder mindestens Tötung auf Verlangen), sondern um Hilfe zum Suizid.
Und wenn damit unerträgliches Leiden ohne Aussicht auf Besserung beendet werden kann, halte ich das für gerechtfertigt.


...und jetzt erklär mir bitte mal den angeblichen Unterschied
zwischen Hilfe zum Suizid
oder ein Leben wissentlich tätig zu beenden.

Gudrun
Re: Sterbehilfe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 26.05.2014, 22:20:23
Der Unterschied ist sehr genau definiert und darauf basiert auch das Vorgehen bei EXIT, wie Du unter www.exit.ch nachlesen kannst, und wie ich es bei einer Sterbebegleitung selbst erlebt habe:
Beihilfe zum Suizid bedeutet, dass dem Patienten die Möglichkeit gegeben wird, einen Freitod zu begehen. Es wird ihm ein Medikament zur Verfügung gestellt, dass er selbst aktiv einnehmen muss. Falls der Patient dazu physisch nicht mehr in der Lage ist, ist eine Freitodbegleitung nicht mehr möglich.
Das Medikament darf also nicht von einer anderen Person eingegeben werden, denn das wäre aktive Sterbehilfe und die ist in der Schweiz verboten.
anjeli
anjeli
Mitglied

Re: Sterbehilfe
geschrieben von anjeli
Ich habe über zwei Jahre in einem Hospiz ehrenamtlich gearbeitet...

dort habe ich viele Menschen bis zu ihrem Tod begleitet... in den vielen Gesprächen... die ich mit den Patienten führte... habe ich immer gefragt... ob sie Schmerzen hätten... was bis auf eine Patientin... die Dame hatte ALS (degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems)... verneint wurde...

kein Patient wollte vorzeitig aus dem Leben scheiden... im Gegenteil... es herrschte keine trübe Stimmung im Hospiz... es wurde gescherzt... gelacht und auch Wein oder Sekt getrunken...

Auch die Dame mit der fürchterlichen Krankheit ALS wollte nicht vorzeitig aus dem Leben scheiden...

Eine ältere Dame... 84 Jahre alt... hat mal zu mir gesagt:" Wann endlich holt mich meine Mutter" ... das Bild der Mutter hing an der Wand und sie konnte vom Bett aus ihre Mutter sehen...
Ich sagte zu der Patientin: "nee... nee... bleiben sie mal noch ein bisschen bei uns... und wenn sie wirklich sterben wollen... dann brauchen sie doch nur das Essen und Trinken einzustellen"

Das tat die alte Dame nicht... und eines Tages ist sie ganz plötzlich nachts gestorben... allein... sie wurde morgens tot aufgefunden...
diese alte Dame hatte keine Kinder... eine Nichte... die sich gelegentlich kümmerte... es kam öfters eine Gartennachbarin zu Besuch... die über zehn Jahre jünger war... diese Besucherin hatte so viele Probleme... und die vom Tod geweihte Patientin hat die Besucherin immer wieder aufs Neue motiviert und aufgerichtet...
hat noch im Angesicht des Todes Lebenshilfe geleistet...
(ich war dabei... bei den Gesprächen)

Warum ich jetzt über diese alte Dame schreibe... um so demonstrieren... dass psychisch gesunde Menschen nicht sterben wollen... auch... wenn sie noch so alt sind...

Jeder Mensch... der eine geringe Lebenserwartung (ca. 3 bis 6 Monate) hat... kann ins Hospiz gehen...

Wir hatten eine Patientin... Frau T. sie kam halbtot bei uns an...
konnte fast gar nichts mehr... (Beine gelähmt) und jeder dachte... dass sie bald sterben würde...
sie hat sich so gut erholt... hatte gelernt mit Hilfe alleine aus dem Bett in den Rollstuhl zu "krabbeln"... sie fühlte sich im Hospiz wohl...
ich fuhr mit ihr im Rollstuhl zum Einkaufen... sie legte auch großen Wert auf die Körperpflege und dass ihre Haare gefärbt wurden... (haben die Schwestern gemacht) auch gingen wir immer Kaffee trinken...
Als sie nach 18 Monaten immer noch nicht gestorben war... wurde von der Krankenkasse eine Prüfung ihres aktuellen Gesundheitszustandes angeordnet... Frau T... eine alte Dame musste das Hospiz verlassen... sie siedelte in ein Seniorenheim über...
sie hatte Probleme sich dort einzuleben... weil sie von uns so verwöhnt wurde und die heimliche Hospizkönigin war... im Seniorenheim war sie "nur" eine unter vielen...

Allgemeines zum Hospiz
die durchschnittliche Verweildauer beträgt vierzehn Tage bis drei Wochen... das Durchschnittsalter 69 Jahre... der älteste Patient war 99 Jahre alt... der jüngste 26 Jahre...

Die Patienten werden intensiv betreut... es wird jeder Wunsch... der machbar ist... erfüllt...

Wir hatten 12 Zimmer... es waren nicht immer alle Zimmer belegt... manchmal hatten wir nur 6 Patienten...
ich denke mal... das muss mehr aufgeklärt werden... über Hospize und die Arbeit im Hospiz...

die Patienten werden bestens versorgt... lebensverlängernde Maßnahmen gibt es nicht... es wird in Kauf genommen... dass durch die Morphingaben die Lebenszeit verkürzt werden kann...

Ich kann nur jedem raten... in ein Hospiz zu gehen... wenn eine häusliche Versorgung nicht gewährleistet werden kann...

Gudrun... du hast eine gesunde Lebenseinstellung... die sehr bewundernswert ist...
meli... ich kann dir nur zustimmen... denn deine Erfahrungen und Erkenntnisse sind deckungsgleich mit meiner erlebten Erfahrung im Hospiz...

auch demente Menschen können glücklich sein... siehe Walter Jens... der ein Verfechter der Sterbehilfe war...
er wollte nicht sterben... obwohl er dement war... er bat seine Frau... dass sie ihn nicht totmachen soll... er erfuhr bis zu seinem Tod eine angemessene Behandlung und lebte glücklich mit den Kaninchen auf dem Bauernhof...
Im Fall Walter Jens zeigt sich deutlich... dass getroffene Aussagen im gesunden Zustand im Krankheitszustand nicht deckungsgleich sind...

und so ist es bei vielen Menschen... den kein Mensch will wirklich sterben... auch für den 99 Jährigen kommt der Tod zu früh...

Ist denn bei der ganzen Diskussion auch schon mal daran gedacht worden... dass für viele Menschen aus der Generation unserer Eltern ein Freitod aus religiösen Gründen nicht in frage kommt?

Alte Menschen...die sterben wollen... weil sie einsam sind... sich nutzlos fühlen... psychische Probleme haben... das ist schlimm...
da musste in der Gesellschaft etwas verändert werden...

anjeli

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Oskar
Oskar
Mitglied

Re: Sterbehilfe
geschrieben von Oskar
als Antwort auf anjeli vom 26.05.2014, 23:03:38
Da bin ich froh, hier die Lebenserfahrung von Tina1 und Anjelie gelesen zu haben. Nun weiß ich, wie ich mich in dieser Situation verhalten muß.
Oskar11
Locomotivedriver
Locomotivedriver
Mitglied

Re: Sterbehilfe
geschrieben von Locomotivedriver
als Antwort auf anjeli vom 26.05.2014, 23:03:38
Es müsste sich etwas Grundlegendes in der Denkweise über den Tod in der Gesellschaft ändern!!

Denn der Tod ist nach wie vor ein Mystikum in der Denkweise unserer Gesellschaft, obwohl dieser mit dem Leben untrennbar verbunden ist.

Für mich gilt, es muss jedem Menschen, der noch bei klarem Verstand entscheidet sein Leben zu beenden, eine Möglichkeit an die Hand gegeben werden können, diesen Schritt in Würde und ohne Schmerzen zu tun, ohne dass ein juristisches Nachspiel, Schuldzuweisung und Gezackere gibt.

Aber wir Deutschen haben ja da wohl eine sehr starke "dunkle" Vorbelastung!!

Und der Hypokrates-Eid hält die meisten Ärzte davon ab, eine solche Willensäußerung wenigstens zu unterstützen. Obwohl ich heute weiß, dass es in den 60ern einen Arzt gab, der sogar "aktive" Sterbehilfe bei meinem Großvater, der unheilbar erkrankt war, geleistet hatte.

Meine Familie war sehr dankbar über die Verkürzung des Leidens und des würdevollen Weggleitens in den Tod von meinem Großvater.
Re: Sterbehilfe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf anjeli vom 26.05.2014, 23:03:38
Du hast hier den überhaupt wesentlichsten Punkt eingebracht, deshalb zitiere ich ihn in Fettdruck

Warum ich jetzt über diese alte Dame schreibe... um so demonstrieren... dass psychisch gesunde Menschen nicht sterben wollen... auch... wenn sie noch so alt sind...


Und wenn dann psychisch gesunde Menschen auch noch körperlich gesund sind, werden sie sich ihren Lebens erfreuen.

Ein Schwerkranker, der diesen Thread hier liest und noch gern leben möchte, kann sich nur an den Kopf fassen.

Im übrigen habe ich diese von Dir geschilderten Erfahrungen über Sterbebegleitung auf Palliativstationen bei guten Freunden erlebt.
Dort wurde sogar für die Angehörigen ein Zusatzbett eingeschoben, damit die Kranken nicht alleine sterben mussten.

Hier gilt es sicher noch ein flächendeckendes Netz aufzubauen, damit jeder auch auf diese Möglichkeiten zurückgreifen kann.

Und nicht nur dort, sondern auch auf der "Normalstation" auf der mein Vater starb, war es keine Frage, dass diesbezüglich für meine Schwester und mich mitgesorgt wurde, mittels Zusatzbett, Tee, Zwieback - zum Essen stand uns die Cafeteria zur Verfügung.

Natürlich ist es bequemer, wenn man auf eine Organisation wie Exit zurückgreifen kann.
Doch haben wir hier in Deutschland eine solche Organisation nicht zur Verfügung, deshalb muss sich jeder schon selbst bemühen, seine Angelegenheiten zu ordnen.

Meli

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Re: Sterbehilfe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf anjeli vom 26.05.2014, 23:03:38
Anjeli, Du hast hier sehr schön ein nahezu ideales Hospiz beschrieben. Die weitgehende Schmerzfreiheit und die kurze Verweildauer der Patienten, Du erwähnst Morphingaben, sind für mich letztlich auch eine Form der Sterbehilfe. Leider steht eine solche Einrichtung noch nicht allen Betroffenen zur Verfügung und es wird auch Menschen geben, die lieber in ihrer eigenen Umgebung sterben möchten, wo eine solch intensive palliative Betreuung kaum möglich ist.
Karl
Karl
Administrator

Re: Sterbehilfe
geschrieben von Karl
als Antwort auf anjeli vom 26.05.2014, 23:03:38
Liebe Anjeli,

herzlichen Dank für Deinen Bericht, der tröstlich ist und vielleicht sogar einigen die große Furcht vor dem letzten Lebensabschnitt nehmen kann.

Karl
luchs35
luchs35
Mitglied

Re: Sterbehilfe
geschrieben von luchs35
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 27.05.2014, 05:35:14
Natürlich ist es bequemer, wenn man auf eine Organisation wie Exit zurückgreifen kann.
Doch haben wir hier in Deutschland eine solche Organisation nicht zur Verfügung, deshalb muss sich jeder schon selbst bemühen, seine Angelegenheiten zu ordnen
geschrieben von Meli:

(Fettdruck von mir eingesetzt)

Was nun? Sterbehilfe durch Selbsteinahme eines Medimaments wie "Pentobarbital" , das nach genauer Abklärung der Hintergründe von einem Arzt verschrieben wird und dem Patienten ermöglicht," seine Angelegenheiten in eigenem Sinn zu ordnen" oder nur Widerspruch, weil es in Deutschland diese Möglichkeit nochnicht gibt?

Ganz so einseitig, wie manche den Beschluss, seinem Leben ein Ende zu setzen, hier abtun, ist es wohl doch nicht.

Das ist doch wohl die Entscheidung eines Betroffenen nach Abwägung ethischer Bedenken oder der Stärke des Sterbewunsches, welchen Weg er gehen möchte. Ausserhalb des eigenen Wunsches eines an einem schweren Gebrechen oder durch Altersbeschwerden Leidendem geht das andere nichts an.

Was Tina1 sehr anschaulich darstellt, kenne ich aus mehrfacher eigener naher Erfahrung. Die verzweifelten Augen meiner nur noch leidenden Mutter (in Deutschland), die nur noch die Sehnsucht nach dem Tod hatte, kann ich vergleichen mit dem Tod meiner noch jungen Schwiegertochter in einem liebevollen Schweizer Palliativhospiz. Sie war sich bewusst, dass sie sterben würde, wollte aber bis zum letzten Augenblick ihre Lieben bei sich haben und genoss jedes Sekunde, bis sie einschlief. Und ich habe auch meinen Mann in lichten Momenten seiner Alzheimer Erkrankung erlebt, wie er mich anflehte, sein Leben zu beenden, was gerade wegen Alzheimer nicht möchlich ist - auch nicht für "Exit".

Im Moment erlebe ich hilflos meinen Cousin und seine Frau in Deutschland, beide schwerstens erkrankt in einem Hospiz dahinvegetierend , in das sie nach einem missglückten Freitodversuch mit Schlaftabletten eingeliefert wurden und kann nur hoffen, dass dieses Leiden bald vorbei ist.

Und ich habe durch einen gemeinsamen Freund auch erlebt, wie würdevoll und ruhig ein hoffnungslos erkrankter Bekannter mit Hilfe durch Exit aus dem Leben geglitten ist.

Ich bin jedenfalls nach der Statutenerweiterung von "Exit" hier in der Schweiz kaum mehr mit dem Gedanken " was wird, wenn..?" beschäftigt, seit ich weiss, ich kann mich frei entscheiden.

Darum geht es in diesem Thread - die freie Wahl, wenn es mal nimmer geht mit dem Leben.
Um diese Chance sollte auch trotz der "dunklen Vergangenheitsgeschichte" in Deutschland gekämpft werden.

Und: Jeder Mensch sollte für sich entscheiden dürfen mit allen Abwägungen moralischer, religiöser, ethischer, alters- oder krankheitsbedingter
Belastungen, das zu tun, was er für sich tun möchte ohne Einfluss von Aussenstehenden.

Luchs
Re: Sterbehilfe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf luchs35 vom 27.05.2014, 09:05:21
Nun, Luchs, Dein Beitrag zeigt noch einmal mehr, wie sehr die Postings auf diesem Gebiet von den persönlichen Erfahrungen gesteuert sind und dadurch eine wirklich sachliche Diskussion schwer machen.

Gut, dass Deine Verwandten nun in einem Hospiz sein können und damit die wohl beste Versorgung haben, die es in Deutschland gibt.

Meli

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