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RE: Hier fühle ich mich zuhause
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Meine späte Berufung

über den Indian Health Service kam ich zu einer privaten Initiative, den Southwest Hearing- Speech and Language Associates. Wir testeten Indianer, die in den umliegenden Pueblos lebten auf Hearing Defects. Dabei fanden wir heraus, dass überdurchschnittlich viele Kinder nicht gut hören konnten und daher auch Probleme mit der Sprache hatten. Von den regulären staatlichen Schulen wurden sie als dumm und nicht lernfähig aussortiert und damit wurden bereits kleine Kinder einer besseren Zukunft beraubt. Unsere Test wurden auch wissenschaftlich ausgewertet und weitere Analysen wurden vorgenommen. Die vorherrschende Theorie deutete darauf hin, dass die amerikanischen Ureinwohner von einer Gruppe Ostasiaten abstammen die vor langer, langer Zeit über eine Landbrücke das Beringmeer überquerten. Dieser Hearing defect war sowohl bei den amerikanischen Indianern als auch bei ostasiatischen Menschen feststellbar. So zumindest ergaben die wissenschaftlichen Analysen.
Nach knapp einem Jahr erweiterten wir unsere Dienste auch auf die Navajo Indianerreservate in Arizona und New Mexico. Damit ich mich mit den alten Indianer Chiefs unterhalten konnte lernte ich Navajo und weil wir unsere Dienste auch nach Mexico erweiterten lernte ich auch Nahuatl. Weil ich deren Sprache beherrschte, lag es auch an mir die Termine für die Screenings zu vereinbaren. Es dauerte bis ich das Vertrauen der Dorfältesten gewinnen konnte.
Wir hatten eine fahrbahre Clinic und das bedeutete 2 Wochen auf Achse, 1 Woche Pause in der allerdings die Berichte ausgewertet werden mussten.
Ich habe während dieser Zeit viel Elend, Alkoholismus, Drogensucht, Krankheit, Ausgrenzung und Ungerechtigkeit gesehen. Gerade Jugendliche, die ihren Familien weggenommen und in Boarding Schools gesteckt wurden, hatten jeglichen Rückhalt verloren. Und gerade die jungen Menschen versackten in der Drogensucht, meistens verfielen sie dem Petrol sniffing was oft zu irreparablen Schäden am Hirn führte. 
Nach etlichen Jahren war ich total ausgebrannt, meine Mutter in Deutschland hatte den 3. Herzinfarkt und ich beschloss mein Haus und Auto zu verkaufen, die Möbel verschenkte ich und ich kehrte nach Deutschland zurück, jedoch mit dem Gefühl nicht genug geholfen zu haben. Meine Auswanderung auf Zeit in die USA war somit abgeschlossen. 
Während dieser Zeit wurde mir bewusst, wie ein Mensch sich fühlen muss, der nirgendwo in der arroganten, selbstherrlichen weißen Welt Anerkennung, geschweige denn Gleichberechtigung findet. Und ich habe mir damals geschworen niemals meine Augen vor Ungerechtigkeit zu verschließen und daran habe ich mich bis heute gehalten. 
Bruny




 

RE: Hier fühle ich mich zuhause
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 08.06.2020, 21:09:50

Ein sehr interessanter Bericht 👍 Du hast ein sehr interessantes Leben geführt, aber die Erlebnisse müssen auch sehr belastend sein! Ich bin gespannt was du noch berichtest!
LG Heidrun

RE: Hier fühle ich mich zuhause
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 08.06.2020, 21:09:50

danke @Bruny für deine authentischen Berichte - ich lese sie mit großem Interesse,
hoffe, dass du noch weiter machst!

WurzelFluegel


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Majorie
Majorie
Mitglied

RE: Hier fühle ich mich zuhause
geschrieben von Majorie
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 08.06.2020, 21:09:50
Sehr interessante Berichte Bruny.

Wenn Du diese uns're Welt irgendwann einmal verlassen musst, kannst Du mit Fug und Recht
sagen: "ICH  HABE  GELEBT".

Es wundert mich nicht, dass Du total ausgebrannt warst und jetzt ein totaler Gegner der
Ungerechtigkeit bist; ich bin es auch, infolge des Erlebten waehrend unserer Reiserei
und einem halbjaehrigen Aufenthalt in Indien - zumeist in Bombay - (wenn man Bombay kennt,
kennt man Indien - dort ist die ganze Skala der Menschlichkeit und Unmenschlichkeit vereint).

Aber um zum Punkt zu kommen: ich glaube nicht, dass die Ungerechtigkeit in dieser Welt
jemals ausgerauemt werden kann. Was der Einzelne beitragen kann, ist nur ein Tropfen auf den
heissen Stein, und das noch nicht immer.

Wenn ich lese, dass der Rassismus fast in allen Laendern wieder immens zugenommen hat,
muss ich wirklich Einstein recht geben der sagte: "Nichts ist so unendlich wie die Dummheit
der Menschen".

Viele meiner persoenlichen Kontakte mit deutschen Freunden sind in letzter Zeit abgebrochen
(auf meinen Wunsch), durch staendige rassistische Auesserungen von dort. Ich konnte es nicht
mehr hoeren und nicht  mehr lesen.
Wenn ich etwas dazu sagte bekam ich zur Antwort ,dass es ja klar sei dass ich das nicht
vorurteilslos saehe, da ich ja selbst als Deutsche nach Uebersee ausgewandert sei, aber
Gott sei Dank nicht mehr jung genug, um jemand Anderem den Arbeitsplatz streitig zu machen.

Na ja - das ist ein Endlosthema. Jedenfalls bewundere ich Dich, dass Du das Erlebte unbeschadet
durchgestanden hast und jetzt sagen kannst: "Hier fuehle ich mich Zuhause".

Vielen Dank fuer Deine Berichte - vielleicht hast Du ja noch mehr?

"Take care",  Majorie

wer_mit_Menschen_spielt.jpg



 
RE: Hier fühle ich mich zuhause
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Majorie vom 12.06.2020, 23:46:32

Ja liebe @Majorie, einmal werde ich noch berichten, denn meine Rückkehr nach Deutschland war kein Zuckerschlecken. Ich wurde angefeindet, mißgünstig und neidisch betrachtet und die Ungerechtigkeit wurde mir mit der gesamten Bandbreite entgegengeschleudert.

Bis demnächst .....
Bruny

RE: Hier fühle ich mich zuhause
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Rückkehr in mein Heimatland

wie ich bereits geschrieben hatte, war meine Mutter krank, meinen Vater kannte ich nicht anders als schwerkrank und ich wollte noch Zeit mit meinen Eltern verbringen, denen ich so viel zu verdanken hatte.
Ich musste mir Arbeit und eine Wohnung suchen. Letzteres war nicht schwer, aber die Arbeitsplatzsuche gestaltete sich schwierig. Eine Frau, die jahrelang in den USA lebte, ein abgeschlossenes Studium und hervorragende Zeugnisse hatte, wollte tatsächlich in eine absolute Männerdomäne vordringen? Ja wo kämen wir denn da hin, für Frauen gab es in der Halbleiterei höchstens einen Platz am Fließband, das wiederum war nicht mein Ziel. Also musste ich wieder meine gewohnten zickzack Wege laufen. Zuerst war ich im medizinischen Sektor beschäftigt, genauer gesagt in der Röntgen/Radiologie. Leider kam es bei einer Gammabestrahlung zu einem Unfall und mein Dosimeter schlug aus.
Sofort musste ich zum Strahleninstitut und nach eingehender Beratung wurde mir empfohlen, diesen Arbeitsplatz aufzugeben. Relativ schnell fand ich einen neuen Arbeitsplatz bei einem großen Pharmaunternehmen. Meine hervorragenden Englischkenntnisse und meine Ausbildung zum Paramedic waren dabei äußerst hilfreich. Ich arbeitete als Einkäuferin für Rohstoffe und eigentlich hätte ich recht zufrieden sein können, aber für mich war es nur ein Job und die einzige Herausforderung war den Verkäufer im Preis zu drücken. Das war nicht meine Welt.
Dann sah ich eine Anzeige in der regionalen Oberbayerischen Zeitung, da suchte eine amerikanische Halbleiterfirma einen FAE (Field Application Engineer). Das war meine Gelegenheit die ich beim Schopf packte. Ich wurde eingestellt, hatte nette internationale Kollegen und einen griechischen Chef der mir in allem freie Hand ließ. 
Gerade als ich anfing mich so richtig wohl zu fühlen wurde die Firma von der Konkurrenz aufgekauft mit dem einzigen Ziel die Technologie zu erwerben, aber die Beschäftigten nicht zu übernehmen. Im gleichen Jahr starb meine Mutter an ihrem vierten und finalen Herzinfarkt.
Und mein Weg entwickelte sich weiter. Ich hatte mir zwischenzeitlich meinen „Marktplatz“ erkämpft. Ich musste keine Bewerbungen mehr schreiben, ich wurde von namhaften Headhunters kontaktiert und vermittelt. Nur ich blieb die Streberin, die männlichen Kollegen fürchteten meine Konkurrenz und die weiblichen Kolleginnen fuhren ihre Krallen aus. Wenn es gegen mich ging, wurden sie sogar zu Freundinnen, wenn es ausnahmsweise mal nicht gegen mich ging bekriegten sie sich selbst. Und wie das eben so ist im harten Berufsleben musste ich immer wieder beweisen, dass ich meine Aufgaben besser erledigte als die männlichen Kollegen, das heißt ich saß immer auf einem gut bezahlten Schleudersitz. Meinen Vater hatte ich als Stütze aber er starb 2 Jahre nach meiner Mutter. Weil das offensichtlich nicht genug war, meldete mein Arbeitgeber Insolvenz an in Deutschland. Weil das Arbeitsamt mir bei der Arbeitssuche nicht helfen konnte, machte ich mich 1996 selbständig. Ich hatte mir ein gutes Netzwerk aufgebaut und gute Freunde in den USA, die ebenfalls selbständig waren und so wurde eine Win Win Situation aus unserer Zusammenarbeit. Weil ich schnell erfolgreich war wurde ich beneidet, von Männern gefürchtet und von Frauen gemieden mit der Ausnahme meiner Mitarbeiter, die stehen bin heute zu 100% hinter mir. Und natürlich meine Familie, auf die ich mich immer verlassen konnte und die mich unterstützten. Ich arbeitete praktisch rund um die Uhr, wurde ein Workaholic, in meinem Kopf rauschte es ständig, ich reiste um die Welt um Präsenz zu zeigen um mit den Herstellern Produkte für den europäischen Markt zu besprechen, neue Märkte zu erschließen in Syrien, im Libanon, Jordanien und im Iran. Ich liebte die fremden Länder und deren liebenswerte Bewohner, ich lernte die Kulturen schätzen und zu respektieren. 
Ich kämpfte an vielen Ecken gegen Intoleranz und Ungerechtigkeit und so kam es wie es kommen musste, 2012 hatte ich meinen zweiten Burnout und zum ersten Mal hinterfragte ich den Sinn meines Lebens. 
In den USA fühlte ich mich nie zu Hause. Mir fehlte die innere Verbundenheit. Auch in meiner Heimat Deutschland fühlte ich mich fremd. 
Das klingt jetzt für viele bestimmt etwas abgedreht, aber als ich zum ersten Mal in die Augen meiner Morena blickte konnte ich mich fallen lassen und beim ersten Spaziergang nahm ich die Schönheit unserer Wahlheimat so richtig wahr und ich fühlte mich angekommen. Hier kann ich sein wie ich bin. Und so schließt sich der Kreis und ich bin dort wo ich mit meiner Auswanderung angefangen habe und fühle mich zu Hause in meinem idyllischen Fleckchen Erde.

Ende.
Bruny

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Mitglied_b12f0f2
Mitglied_b12f0f2
Mitglied

RE: Hier fühle ich mich zuhause
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Schlafen kann ich mal wieder nicht und so habe ich endlich eure interessanten Lebensberichte gelesen.

Ihr begeistert mich,was ihr gewagt und geleistet habt
und kann nur sagen:

meine Hochachtung!

Gudrun
ahle-koelsche-jung
ahle-koelsche-jung
Mitglied

RE: Hier fühle ich mich zuhause
geschrieben von ahle-koelsche-jung
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 16.06.2020, 01:04:44

Hallo Bruny, Gratulation zu deinen Ausführungen. Ich habe sie mit Interesse gelesen und bewundere dich für das was du in den Jahren geleistet hast. Kann mir vorstellen das Einiges in den Jahren für dich sehr aufreibend war, aber du hast es gemeistert. Super.

VG a-k-J

RE: Hier fühle ich mich zuhause
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Majorie vom 12.06.2020, 23:46:32
Hallo Majorie, Deine Antwort an Bruny gefällt mir wirklich sehr 👍...

Zu Einstein' Worten ein kleiner Vers von Oscar Wilde (...über die Lebenskunst) der sagt :

Eine Weltkarte, in der Utopie nicht verzeichnet ist,
ist keines Blickes wert, denn sie unterschlägt die Küste,
 an der die Menschheit ewig landen wird.

Mit herzlichen Grüßen aus Berlin,

Linda



....ein Stückchen aus meinem Lebens......der Mini-Balkon IMG_1298.JPG


 
RE: Hier fühle ich mich zuhause
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 08.06.2020, 21:09:50

Toi, Toi, Toi für Deinen weiteren Weg 💗

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