Forum Allgemeine Themen Aktuelle Themen "Denk nicht an den Tod..."

Aktuelle Themen "Denk nicht an den Tod..."

helu
helu
Mitglied

Re: "Denk nicht an den Tod..."
geschrieben von helu
Denk nicht an den Tod ...
Alle können jederzeit in jedem Alter sterben. „Mitten wir im Leben sind, mit dem Tod umfangen“ schreibt Martin Luther am Anfang eines Gedichtes. Er setzt dem aber entgegen „Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, so würde ich doch heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“
Ich stand letzte Woche am Sarg meines gleichaltrigen Cousins, der mit 75 plötzlich an den Folgen eines Sturzes verstorben ist. Ich habe meine ebenfalls gleichaltrige Cousine in der Zeit ihrer schweren Erkrankung begleitet. Sie leidet an Krebs. Nun sind die lebensverlängernden Maßnahmen eingestellt. Innerhalb einer kurzen Zeitspanne bin ich mit dem Tod und Sterben zweier sehr nahestehender Menschen konfrontiert. Da wird der Gedanke an den eigenen Tod konkret.
Er macht mir keine Angst. Er ist ja unausweichlich, aber die persönliche Betroffenheit ist dennoch groß. Plötzlich ist er ganz nah gerückt und wird sichtbar. Auf einmal kommt der Gedanke auf, dass mir die Zeit wegläuft. Mit beiden Cousins lebte ich als Kind in den Nachkriegsjahren bei der Großmutter zusammen. Wir haben alle drei Familien geründet, haben Kinder und Enkel. Nun wird mir deutlich, dass auch mein Leben mit 75 weitgehend vorbei ist und ich wohl vieles nicht mehr erleben kann.
Es ist erscheint mir wichtig den Gedanken an den eigenen Tod nicht zu verdrängen. Die verbleibende Zeit kann ja noch wie ein Geschenk sein. Ich denke da an einen Spruch Montaignes „Jetzt, da ich gewahr werde, dass meine Lebenszeit immer mehr abnimmt, will ich diese an Gewicht ausdehnen.“
Lilac
Lilac
Mitglied

Re: "Denk nicht an den Tod..."
geschrieben von Lilac
als Antwort auf mane vom 20.09.2015, 21:44:38
Angst?
Das ist kein Wort, was das Gefühl beschreiben kann, mane.
Ich bin einmal bei einer OP zu früh aufgewacht. Also im Kopf klar, sonst platt wie eine Flunder. Da ich eine kranke Lunge habe und die Ärzte meinen Sauerstoffbedarf nicht korrekt bemessen haben, bekam ich immer einen Atemzug - dann war eine zu lange Pause. Ich konnte mich ja nicht bemerkbar machen. Selbst als der Arzt mein Augenlid anhob, fiel es einfach schlaff wieder runter.
Bis ich endlich den nächsten Atemzug zugeteilt bekam, bin ich innerlich (seelisch) erstickt. Das ist der Tod, den mein Bruder erlitten hat.
Merkwürdig war nur, wie rasch man (zumindest ich) aufgibt. Als die Luft nicht kam und die Panik den Explosionspunkt erreicht hatte, gab irgend etwas in mir nach und ich wurde ganz friedlich mit dem Gedanken: "Dann sterbe ich eben!"

Wie man sieht, bin ich nicht gestorben. Der Tubus wurde entnommen und ich griff als erstes zur Sauerstoffmaske. Reden konnte ich kaum, da mein Hals kaputt war vom Tubus.
Der spanische Arzt meinte dann nur abfällig zu seinem Kollegen: "Fumadora!"
Ich hätte ihn sonst wo hin treten können.
In Deutschland gibt es nach so einer Erfahrung psychologische Hilfe, in Spanien höchstens eine beleidigende Äußerung.

Von den unzähligen Panikattacken will ich gar nicht erst anfangen.

Vielleicht macht diese kurze Erklärung meine Reaktion auf das Tüdelü von Witta nachvollziehbarer.

Lilac
Re: "Denk nicht an den Tod..."
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Lilac vom 20.09.2015, 22:35:34
WOW ... eine Gänsehaut nach der anderen. Wieviele Menschen doch schon Nahtod-Erfahrungen hatten. Ich bin sonst kein Schreiber hier im Forum, aber das Thema hat mich gefangen und ich fing an zu lesen und konnte nicht mehr aufhören.
Meine ersten Erfahrungen mit dem Tod machte ich in 2006 - ich war dabei, als mein Vater verstarb, den ich vorher drei Jahre lang, gemeinsam mit meiner Mutter, gepflegt habe. Ich musste zusehen, wie aus einem "Fels in der Brandung" ein zu wickelndes Kleinkind wurde. Und doch hat mir diese Zeit viel gegeben, ich möchte sie nicht missen. Es gab schreckliche Momente, in denen ich ihn nicht erkannte, als er Worte in den Mund nahm, von denen ich nicht mal wusste, dass er sie kannte. ABER .. es gab auch viele, sehr schöne, NAHE Momente, die mich mit vielem ausgesöhnt haben. Die Aufgabe, seine Grabrede zu schreiben und zu halten fiel auch mir zu, mir, der Jüngsten von seinen vier Kindern. Es war alles sehr still und - ja - schön. Wir konnten ihn in Frieden gehen lassen und das Gefühl ist auch für denjenigen, der da bleiben muss, ein beruhigendes. Zwei Jahre später erkrankte meine Mutter, sie kam im Juli ins Krankenhaus und nicht wieder nach Hause. Wir mussten zusehen, wie sie immer weniger wurde, der Krebs frass sie auf. Wie oft bin ich ins Krankenhaus gehetzt, um ihr etwas frisch Gekochtes zu bringen, weil sie so Appetit drauf hatte, auch wenn ich wusste, dass sie es eine halbe Stunde später wieder erbricht. Aber dieses Glücksgefühl und Strahlen in ihrem Gesicht zu sehen, wenn sie die ersten Bissen ass ... das war unbeschreiblich. Innerhalb von zwei Jahren habe ich die wichtigsten Menschen in meinem Leben gehen lassen müssen und hab das Sterben hautnah miterlebt. War jedesmal dabei, wenn es zu Ende ging und habe die Hände gehalten, gestreichelt, liebkost, die schwersten Worte gesprochen, die ich je sprechen musste "Du darfst in Frieden gehen, lass los". Es hat mir meine Angst vor dem Tod nicht genommen, denn ich weiß nicht, was mich erwartet, aber es hat mir zumindest gezeigt, dass am Ende Frieden ist, wie schwer und wie lang der Weg bis dahin auch ist. Angst macht mir, dass ich alleine sein werde, dass da niemand sein wird, der mir die Hand hält.

Anzeige

Re: "Denk nicht an den Tod..."
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.

Rainer Maria Rilke


Deshalb: denkt ruhig daran und redet darüber.

Clematis
Lilac
Lilac
Mitglied

Re: "Denk nicht an den Tod..."
geschrieben von Lilac
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 21.09.2015, 09:16:48
Ich schätze Herrn Rilke, aber den Spruch habe ich nicht verstanden.
Geht das nur mir so?
Re: "Denk nicht an den Tod..."
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Lilac vom 21.09.2015, 09:46:23
Ich schätze Herrn Rilke, aber den Spruch habe ich nicht verstanden.
Geht das nur mir so?


Dann hast Du diese Situation noch nicht erlebt.
Freu Dich drüber und - lass ihn einfach stehen.

Grüssle
Clematis

Anzeige

schorsch
schorsch
Mitglied

Re: "Denk nicht an den Tod..."
geschrieben von schorsch
Es ist ein Kommen und ein Gehen; es ist ein Geborenwerden und ein Sterben; und aus dem Sterben wird wieder Neues geboren. Fürchtet euch nicht um den Tod, denn er ist auch immer der Anfang von neuem Leben. (Georg von Signau)
schorsch
schorsch
Mitglied

Re: "Denk nicht an den Tod..."
geschrieben von schorsch
als Antwort auf schorsch vom 21.09.2015, 10:00:19
Zufall: Gerade eben kam meine Frau mit unserer Patientenverfügung zu mir um mir einen Passus daraus vorzulesen, der ihr nicht ganz klar war.

Es ist wahrscheinlich schon so, dass die beginnende Herbstzeit mit ihren Nebeln und dem fehlenden Sonnenlicht Todesstimmung weckt.....
Re: "Denk nicht an den Tod..."
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf schorsch vom 21.09.2015, 10:08:31
Erst einmal, Mane, herzlichen Dank für diesen interessanten Thread.
Es ist schön, zu lesen, wie offen hier viele Foristen von ihren Erfahrungen schreiben. Davon kann man nur profitieren.

Gerade gestern durch den Tatort und auch durch Eure Schilderungen fiel es mir wieder ein, wie ich in den siebziger Jahren auf dem Oktoberfest in München mir meine Hand an einem kaputten Bierkrug aufschnitt, so daß mein Blut nur so auf den langen Holztisch im Bierzelt lief und der Sanitäter feststellte, daß Sehnen und Nerven an meinem rechten Daumen duchschnitten waren.
Es folgte eine lange Operation, während dieser Zeit bin ich aufgewacht, völlig bewegungsunfähig, hörte die beiden Chirurgen Witze machen und über das Wochenende reden, das ging eine lange Zeit so, es war entsetzlich, bis einer der beiden Ärzte ganz lässig sagte, sie ist wach, es muß noch nachgespritzt werden. So müssen sich Wachkomapatienten fühlen, denke ich. Als ich endgültig aufwachte, war ich in einem großen Zimmer, andere Patienten lagen in normalen Betten, ich hatte rechts und links ein hohes Gitter. Als der Arzt kam und ich ihn nach dem Grund fragte, sagte er so leicht ironisch, mit Katzen wissen wir schon umzugehen.
Ein schreckliches Erlebnis für mich, ich habe vor jeder weiteren Narkose Angst.
Und hoffe, daß das Sterben friedlicher abläuft.
Grüße an Euch
Elbstromerin
Medea
Medea
Mitglied

Re: "Denk nicht an den Tod..."
geschrieben von Medea
als Antwort auf Lilac vom 21.09.2015, 09:46:23
Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.

Rainer Maria Rilke

Für mich sehr aufwühlende Zeilen. Wo wir uns mitten
in unserem Leben auch befinden mögen, ob auf Festen
oder anderswo, er ist unsichtbar dabei und holt
sich, gerade dann wenn völlig unerwartet, seine Opfer.
Er weint um die Menschen, die so wenig auf ihn vorbereitet
sind, ihn verleugnen und ihm dennoch nicht entkommen.

M.

NB Menschen haben zu allen Zeiten versucht, den
Gevatter Tod zu überlisten - mir fällt da gerade die
Geschichte "Der Tod im Apfelbaum" ein.

Anzeige