Weimar, meine Liebe
Als ich nach Weimar kam, stand der einzige Baum am Markt grau und nackt vor meinem Fenster. Ich konnte durch ihn hindurch und wirklich alle Leute über den Markt kommen und gehen sehen.
Nun umgibt ihn ein grüner Blätterwald, Vögel fliegen ein und aus. Ich nenne ihn meinen "Jahreszeitenbaum" und freue mich auf die herbstgoldene bunte Färbung.
Dann wird er alle Blätter verlieren und ich kann wieder den Marktplatz überblicken. Weihnachten werfen sie ihm ein Lichternetz über, dann leuchtet er in seiner Pracht.
Als ich nach Weimar kam, ahnte ich nicht, dass Weimar nicht schläft, jedenfalls nicht hier mitten in der Altstadt.
Dem Markttreiben jeden Tag ist gut zuzusehen, die Touristen ziehen vorbei, einzeln oder in Gruppen. Schulklassen sieht man noch nicht, da hört man sie schon. Die asiatischen Reisegruppen schweben lautlos vorbei.
An vielen Tagen sind die Stadtmusiker unterwegs. Den Jungen mit dem Akkordeon, dessen schnell gespielte Endlosschleife russischer Folkloremusik ähnelt und mich schon manchmal bewegen kann, das Fenster zu schließen, ihn kenne ich nun schon. Er hat ein Schild vor sich stehen und bittet um Geld für ein neues Akkordeon.
Der Drehorgelmann, der nicht nur die Orgel dreht, sondern auch noch mit Händen und Füßen dazu klopft und tritt, kommt seltener vorbei, aber ihn mag ich am liebsten.
Jeden Tag höre ich irgendwo ein Saxophon, das von einer elektronischen Musik unterstützt wird.
Manchmal spielen kleine Mädchen auf ihren Flöten im Duett oder ein anderes spielt Violine für ein Taschengeld.
Dann wieder kommen Studenten zusammen und bieten eine Auswahl ihrer Lieblingsmusiken, mal irisch, mal russisch, mal mexikanisch.
Auf dem Theaterplatz sitzt immer ein farbiger Trommler. Seine dumpfen Schläge hört man weit.
Ein älterer Herr spielt Balalaika. Er sieht aus wie ein Gelehrter, ein gut situierter Herr, meine ich, er hat schon bessere Zeiten gesehen.
Auch an den unterschiedlichsten Chorgesängen kann man sich erfreuen. Immer sind es spontane, kurze Einlagen, die meist Reisegruppen aus Frankreich oder östlichen Ländern geben. Sie singen in ihrer Landessprache.
Dazu setzen wir uns auf eine Bank, erleben das besondere Flair der Universitäts- und Goethestadt und naschen ein Eis dazu. Es gibt viele Bänke in Weimar, viele Eis-Cafes und urgemütliche Biergärten.
Weimars Gassen sind romantisch, manche erinnern mich an Italien mit ihrer Blumenpracht in Kübeln und an Fassaden kletternd. Vor jedem Geschäftchen ein paar Stühle zum Verweilen, ein südlicher Lebensstil, jedenfalls jetzt im Sommer hier im schönen Weimar.
Als ich nach Weimar kam wusste ich: Weimar ist eine Stadt mit viel Kultur, hat den Ilmpark, die Bauhaus-Uni, die Musikhochschule und die deutschen Klassiker. Sie ist etwas Besonderes.
Als ich nach Weimar kam wusste ich nicht, dass es meine Erwartungen weit übertrifft. Aber dazu später. - 29. Juli 2012 -
KarinIlona
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