Urvertrauen

Autor: ehemaliges Mitglied

Urvertrauen

Vertrauen braucht wohl jeder Mensch, in sich selbst, aber auch in diverse andere Menschen. Am wichtigsten ist für alle Menschen das Urvertrauen eines Kindes in seine Eltern. Es muss darauf vertrauen können, dass sie für es da sind, ob das der behütete Schlaf, das Nähren, die Hilfe in vielen Lebenssituationen, die alle auf ein Neugeborenes einstürmen, oder ihm in seinem Aufwachsen, Erwachsenwerden begegnen, ihm einen Weg zeigen, wie dieses oder jenes zu bewältigen sei, um sich überhaupt gesund entwickeln zu können.

Erfährt ein junger Mensch diese Vertrauen als brüchig oder gar nicht, kann (wird?) das schlimme Folgen haben. Er vertraut sich oft genug nicht einmal mehr sich selbst. Es ist ihm unmöglich, ehrlich eine Partnerschaft einzugehen, egal ob noch im Kindergarten oder der Schule Freunde zu finden, oder als Erwachsener Freunde, Partner zu finden. Wenn das doch gelungen sein sollte, ist es immer noch schwer, seinen Kindern ein liebevoller Vater, eine liebevolle Mutter zu sein. Das Gefühl, ein geborener Pessimist zu sein, führt nur zu oft in eine lebenslange, oft versteckte Depression.

Nachdem ich vor sieben Jahren erfahren musste, wie es meiner Tochter als 23-Jähriger endlich  gelang, dieses schreckliche Erbe ihres Vaters abzuschütteln, den Verlust des Urvertrauens in ihren Vater zu erkennen, zu verarbeiten und endlich an ihrem eigenen Selbstvertrauen zu wachsen, konnte auch ich erst sehen, warum so einiges falsch gelaufen war. Erlebnisse mit ihrem Vater, die sie mir als kleines Mädchen nie erzählte, rutschten ihr nun versehentlich heraus.

Ihr Vater hatte in seiner Mutter nicht wirklich eine Vertrauensperson. Musste er doch schon als Kleinkind erfahren, wie sie den drei Jahre älteren Stiefsohn ablehnte, sehen konnte, wie ungerecht sie diesen Jungen schon im Alter von fünf, sechs Jahren behandelte. Der kleine Bruder machte das natürlich nach, war bis zur Geburt eines Schwesterchens Mamas heiß geliebtes Kind. Doch dann erfuhr auch er Ablehnung, weil das Schwesterchen schwer krank wurde, starb. Da lernte er auch noch Ablehnung seitens des Vaters, der sich so sehr eine Tochter gewünscht hatte, die schon mit acht Monaten verstarb, kennen. Auch die weiteren Geschwister erlitten dieses wenig Vertrauen aufbauende Leben.

Es ist fast müßig, die Geschichten der Familie des Partners kennenzulernen, wenn man irgendwann feststellt, dass er liebesunfähig zu sein scheint - oder ist. Wahrnehmen zu müssen, dass der eigene Sohn, vor allem die nachfolgende kleine Tochter erleben, dass ihnen der Vater so gut wie gar keine Vaterliebe zukommen lässt – da fragt man sich als Mutter, wie das sein kann, erfährt erst so nach und nach durch überraschend auftauchende Fotos vom Schicksal der anderen Familienmitglieder, die einem etwas die Augen öffnen.

Auch meine Tochter wäre für ihr Leben nicht ausreichend stark, auf sich vertrauend, aufgewachsen, wenn sie nicht zu der Vertrauensbasis zu mir auch noch ihre Behinderungen hätte hinnehmen müssen. Mir war es immer wichtig, meine Kinder mit viel Liebe in ihr Leben zu führen. Doch ich war zu unwissend, um zu erkennen, dass "nur Mutterliebe" nicht immer ausreicht. Ich war doch selbst ab meinem siebten Lebensjahr ohne Mutter aufgewachsen, nur im Vertrauen auf den Vater und eine Großmutter, die ihr Leben noch in der Kaiserzeit vor 1900 und später durch zwei schlimme Kriege selbst mit wenig Vertrauen aufbauen, führen musste.

Auch eines Vaters Liebe ist für die Kinder wichtig. Wenn er diese aber nicht einmal für sich selbst empfindet, sie nur über seine selbst gegründete Familie erlebt, aber nicht erwidern kann, gibt es diesbezüglich Schäden vor allem für seine Kinder.


Die Erkrankungen unserer Tochter waren für ihren Vater ein Grund, sie im Alter von 16 Jahren aus der Familie verdrängen, sie geradezu verkaufen zu wollen. Mein vehementer Protest hat das gerade noch verhindern können. Als Folge hatte sie sich aber dennoch entschlossen, nach ihrer Lehrzeit in einer anderen Stadt auf gar keinen Fall wieder zu ihren Eltern nach Hause zu ziehen. Besuchen „durfte“ ich sie später nur selten! Erst als seine Ablehnung mir gegenüber immer gemeiner wurde, konnte ich mich ganz von ihm abwenden.

Dass auch noch der erste Lebenspartner unserer Tochter überhaupt kein Verständnis für ihre gesundheitlichen Probleme zeigte, sich sogar erdreistete, sie dafür, dass sie diese nicht stets im Griff zu haben vermochte, sie auch noch strafen wollte, statt ihr zu helfen, führte zu Panikattacken. Ihr Vertrauen in ihren Vater, ihren ersten Partner war schwer erschüttert, das gab es nicht (mehr)!! Nach Hause flüchten – zu ihrem sie ablehnenden Vater? Lieber zog sie allein in eine eigene kleine Wohnung, wollte sich selbst wiederfinden, wollte entdecken, ob sie auch allein ihr Leben bewältigen könnte.

Erst die Aufarbeitung gab ihr das Vertrauen in sich selbst, in ihr von Behinderungen gezeichnetes Leben doch zu vertrauen, zurück. Sie wurde so stark, dass sie seit 15 Jahren erfolgreich selbstständig ist, 2003 einen sehr liebevollen Mann heiratete, sich noch im Alter von 40 Jahren zutraute, einem Kind das Leben zu schenken, obwohl ihr auch da viele Steine in den Weg gelegt wurden.

Und ich darf heute erleben, dass sie eine liebevolle starke Frau geworden ist, die auch ihren Mann dazu bewegen kann, seinem Sohn doch mehr Liebe zu schenken, als auch er selbst als Kind erfahren durfte. Ich wäre gern so aufgewachsen, wie Max es heute darf ...
 

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Kommentare (5)

ehemaliges Mitglied

Herzlichen Dank für die Herz, dass Ihr lesen mochtet, liebe Muscari, akelei51 und Federstrich. Ich habe mich sehr gefreut!

LG Uschi

werderanerin

Eigentlich ein trauriger Lebensweg, den du gegangen bist, liebe Uschi.
Es gibt leider Menschen, die wirklich keinerlei Gefühle in sich tragen aber auch hier muss man sagen, Derjenige, wie dein Mann , sind ja ebenso lieblos aufgewachsen, man könnte ihn sogar irgendwie "verstehen"..., denn er kannte es ja nicht anderes...und da kann man sich selbst noch so sehr zu zwingen..., es funktinoniert nicht. Das hat man in sich oder eben nicht !

Es ist sehr traurig, wenn man nicht in der Lage ist, Liebe zu geben.
Dennoch ist es gut, dass du zumindest deinen Teil dazu beigetragen hast, dass deine Tochter heute glücklich ist und du ebenfalls, denke ich.

Pass schön auf deinen Max auf, liebe Uschi !

Kristine

ehemaliges Mitglied

Ja, liebe Kristine, nach all den verschiedenen Gefühlen, die bei einer Trennung entstanden sind, die Verarbeitung erschweren, habe ich heute eher Mitleid, Bedauern für meinen verstorbenen Mann, dass es ihm nicht vergönnt war, ohne die wohl starken Selbstzweifel, die sein Leben vergifteten, noch eine friedliche Zeit zu erleben.

Doch, ein wenig hat er noch erlebt: nach vier Jahren der Ablehnung für seinen einzigen Enkel mochte er sich dazu von seinem jüngeren Bruder überreden lassen, Max noch kennenzulernen. Und es hat ihn so "erwischt", dieses Kerlchen Herz erleben zu dürfen. Beim Aufräumen seiner Wohnung gab es zig Fotos, Fotobücher, die er immer wieder ansah, herumzeigte ...

Mir drängt sich dennoch der Verdacht auf: was wäre gewesen, wir hätte eine Enkelin gehabt? Die weibliche Wesensart war ihm im Grunde immer ein Graus ... Doch wir haben keine Enkeltochter und vor einem Jahr ist es dem Opa, dem Vater unserer  Tochter doch noch gelungen, sich zumindest für Einiges, das er im Leben seiner Tochter nicht hatte anerkennen wollen, zu entschuldigen.

Auch das hätte er zuvor nie über seine Lippen bringen können ...

Danke, dass Du lesen und kommentieren mochtest.

Herzl. Gruß
Uschi

Syrdal

Es bewegt mich immer wieder, was man doch für Familiengeschichten hört, die mir nicht selten ziemlich unverständlich sind. Das aber sicher, weil ich selbst es ganz anders und ab dem ersten Lebenstag in stabiler Harmonie erleben durfte. Allerdings muss ein jeder auch das Seine dazu tun...
Wenigstens ist hier (in dieser Geschichte) letzlich doch noch Gutes erwachsen, was Hoffnung macht für alle, die noch „im Ringen um das Lebensglück“ sind.
 
Sonntagsgrüße von
Syrdal

 

ehemaliges Mitglied

Hallo Syrdal,

Das Glück, tatsächlich trotz schwerer Kriegs- oder Nachkriegszeiten in liebevoller Harmonie die Kindheit und Jugend verbringen zu dürfen, haben wohl ein paar Menschen mehr nicht, als man so üblicher Weise annimmt. Viele verschweigen eigenes Schicksal, um damit klar zu kommen. Ist ja wohl auch immer mit einer gehörigen Portion "Bekenntnis" verbunden.

Ich bin dankbar, dass ich trotz allem weder selbst noch meine Tochter hart oder verbittert geworden bin. Meinem Sohn ist es erst jetzt möglich, die "verdrehten" Lebenserkenntnisse seines Vaters, die der ihm bis zuletzt (sogar mit Streitereien) versuchte, als normal hinzustellen, zu verarbeiten, zu korrigieren. Und ich sehe es dankbar, dass das vor allem durch die neu entstandene Verbindung zwischen meinen Kindern geschieht ... Einem 52-Jährigen muss ich als Mutter nun nicht meine "Erkenntnisse" aufdrängen.

Danke, dass Du lesen und kommentieren mochtest.
Herzl. Gruß
Uschi


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