Nach dem 17. Juni 1953


Am 17. Juni 1953 streikten und demonstrierten die Arbeiter in der DDR. Allerdings waren Streik und Demonstration in diesem Teil Deutschlands verboten. Deshalb schritt die ruhmreiche Sowjetarmee ein, um ihr Bruderland zu unterstützen. Mit militärischen Mitteln wurde der Aufstand blutig beendet und die Russen, wie man sie damals vereinfachend nannte, besetzten alle strategisch wichtigen Punkte, so auch den Arminplatz in der Nähe von Heidtmanns Wohnung.
Abends herrschte Ausgangsverbot. Es war sogar verboten und mit dem Tode bedroht, sich am Fenster blicken zu lassen. Es wurde gemunkelt, dass tatsächlich schon Menschen erschossen worden seien, weil sie zu neugierig waren und die Russen unbedingt beim Patrouillieren beobachten wollten.
Für die Oma war es also klar, dass sie sich abends vom Fenster fernhalten würde. Dies galt aber nicht für Walters Mutter. Sie schien die Gefahr zu lieben und schlich sich auf den Balkon, um die Soldaten durch die Lücken zwischen den morschen Brettern der Balkonbrüstung hindurch zu beobachten. Die Großmutter, die sich im Hintergrund hielt, starb fast vor Angst, als Elvira auch noch den kleinen Walter dazu nötigte, auf den Balkon mitzukommen. Zwar war ihm auch nicht ganz wohl bei der Aktion, aber er war ein folgsames Kind und gehorchte seiner Mutter.

So sahen sie nach längerem Warten mehrere Soldaten, die mit schussbereiten Kalaschnikows durch ihre Straße patrouillierten und dabei stets die Häuser auf beiden Seiten der Straße von oben bis unten genau musterten. Als sie zu ihnen hochschauten, hätte sich Walter vor Angst fast in die Hosen gemacht, konnte sich aber gerade noch beherrschen. Er tröstete sich mit der Hoffnung, dass die Bretter der Balkonumrandung die eventuell auf sie abgegebe­nen Schüsse abhalten würden. Dass diese Bretter morsch waren und zwischen den Fingern zerbröselten, wenn man sie anfasste, bemerkte er erst einige Jahre später.
Als die Soldaten vorbei waren, fragte er sich, warum sie eigent­lich ihr Leben riskiert hatten, um ein paar Russen von oben zu se­hen.

Aus dem Buch "Onkel Bürgermeister" von Wilfried Hildebrandt

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Kommentare (1)

Heidi Grünwedl

@Wilfried  So oder ähnlich, könnte es in dem jetzigen Krieg von Russland und der Ukraine zugehen, oder? Wurden da echt Leute beim Spickeln erschossen? Schlimm ist das...!

Liebe Grüße von 

Heidi


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