Meine erste große Liebe
Ich wurde am kalten, frühen Morgen des 2. Januar 1947 gegen 02:00 Uhr, als zweiter von vier Söhnen unserer Familie, in einem wunderschönen Riesengebirgsort, in Bad Warmbrunn geboren. Mein Großelternhaus, mütterlicherseits, in dem wir wohnten, stand in Stonsdorf, bekannt durch den „Echt Stonsdorfer“-Kräuterlikör.
Exakt drei Tage später, am 05. Januar, wurde die Nachbarstochter Zofia B., als 10tes von 12 Kindern, einer polnischen Bauern-Familie, geboren.
Schon seit frühester Kindheit, verbrachten wir beide jede freie Minute gemeinsam – es war Liebe auf den ersten Blick! So gingen wir auch täglich, händchenhaltend weil wir uns so sehr mochten, alleine in den örtlichen Kindergarten. Allerdings hatten wir zu der Zeit noch „keinen Verkehr“ – hallo, ich meine auf der Straße – also Autos und ähnliches und so war es recht ungefährlich.
Zofia war schon damals ziemlich bestimmend und wusste genau was sie wollte. Im zarten Alter von ca. 6 Jahren hat sie mir das Versprechen abgerungen, dass wenn wir groß sind, ich sie heiraten werde. Da wir immer und alles gemeinsam unternommen haben, konnte ich mich schon mal langsam an sie gewöhnen.
Eines Tages, wenn ich mich so recht erinnere, wir waren wohl um die acht Jahre alt, hat sie mich aufgefordert, ihr in die Scheune zu folgen. In der Scheune wollte sie dann von mir, dass ich mich ausziehe, mit der Begründung sehen zu wollen, ob ich genauso aussehe wie ihre großen Brüder. Zofia war schon immer sehr neugierig. Als ich mich durch mein Schamgefühl zierte, ich war sehr schüchtern, hat sie dann selbst Hand angelegt und mir geholfen.
Ein bisschen war sie ja enttäuscht, von meinem kleinen Spätzchen. Nichts desto trotz fing sie an, daran zu fummeln, um alles genau betrachten zu können. Das hat mir dann wiederum sehr gut gefallen. Danach zog auch sie sich aus, um mir zu zeigen dass sie ganz anders war - und ich war ein wenig erschrocken. Sie meinte darauf, dass ist halt so bei Mädchen und ihre großen Schwestern würden genauso aussehen. Es würde wie bei einer Sparbüchse aussehen, wo man da dann was reinstecken kann. Na ja, den Sinn habe ich ja noch nicht so recht verstanden und erst viel später begriffen. Jedenfalls hatte dieses Spielchen uns beiden sehr viel Spaß gemacht, so dass wir das noch öfters wiederholten und ich mir auch genauestens anschauen konnte, wie Mädchen untenrum aussahen. Sie hatte mir auch das Versprechen dazu abgenommen, dass dies unser Geheimnis wäre und wir keinem davon erzählen wollten.
Am 04. Februar 1956, ist dann meine herzallerliebste Freundin Zofia ganz plötzlich und unerwartet, an einem Blinddarmdurchbruch verstorben. Mein Gott was habe ich um sie getrauert. Fast täglich habe ich ihr Grab besucht und oft weinend mit ihr gesprochen, wollte nicht begreifen, dass sie tot ist.
Ende Mai des gleichen Jahres haben unsere Eltern die Ausreise bewilligt bekommen und wir haben Heimat und polnische Freunde verlassen. Es war ein Drama für uns Kinder, da wir die Schwere der Entscheidung noch nicht so recht erfassen und verarbeiten konnten.
Noch lange wohnte in meinem Herzen meine erste große Liebe – meine Freundin Zofia!
@12.12.18, Ferdinand
Begreifende Erinnerung
Auf einem Stein am Wegesrand,
sitzt ein Bub, in Traurigkeit,
Kinderglück zerronnen.
Versprach der Freundin in die Hand,
spätere Glückseligkeit,
doch die wurde schon bald genommen.
Fröhliches Gemurmel vom Bächlein klar
und Vögleins Lobgesänge,
Herz hat´s nicht wahrgenommen.
Wollt es nicht glauben, doch es war wahr,
Krankheit von kurzer Länge,
hat sie hinweggenommen.
Flehend schaut er zum Himmel hin
im Glauben an seine Güte fragend,
warum hast Du sie mir genommen?
Gedanken ergaben keinen Sinn
und der Himmel schwieg vielsagend,
sein Herz aber war beklommen.
So fand ihn sein Vater, gerührt
setzt er sich an seine Seite,
rissige Hand ihm durchs Haar streichend.
Zärtlich´ Liebkosung er verspürt,
erkennend Endgültigkeit Weite,
Trauer durch Elternliebe weichend.
@ 31.07.2015, Ferdinand
Zum Gedenken an meine große Kinderliebe, meine kleine, polnische Freundin Zofia, die im Alter von 9 Jahren an Blindarmdurchbruch verstarb. Jede freie Minute gehörte damals uns beiden.
Kommentare (9)
Danke Manfred, für das hübsche Foto, dass uns verdeutlicht, wie unbefangen Kinder sein können!
Man spürt in jeder Zeile, dass du deine liebe Freundin nie vergessen konntest, zu sehr hat dich sicherlich der urplötzliche Tod getroffen.
Ich kann mir vorstellen, dass man als Kind soetwas nochmal ganz anders aufnimmt, weil man ja noch garnicht so richtig weiß, dass Menschen nunmal sterben müssen...das erinnert mich an mein Kindsein..., war sicherlich noch ganz lütt aber als ich dann irgendwie mitbekommen hatte, dass alle sterben müssen, habe ich nur Rotz und Wasser geheult.
Das wollte ich garnicht wahrhaben, konnte mir nicht vorstellen, dass meine Eltern mal nicht mehr da sein werden...
Schön, dass du deine Zofia immernoch so tief im Herzen trägst !
Kristine
Danke, liebe Kristina, für Dein Gespür meiner tiefen, ärmlichen aber auch glücklichen Kindheitserinnerungen!
Auch das kindliche erkennen des Sterbens, berührt besonders tief, wenn man durch Tod etwas ganz dolle Liebgewonnenes verliert. Es war damals selbstverständlich, dass die Polen ihre Toten in einem Zimmer des Hauses drei Tage aufgebahrt hatten und täglich im Kreise der Familie und der Nachbarn am offenen Sarg gebetet wurde, was sich in unserem kindlichen Gehirn auf ewig eingeprägt hat. Und so sehe ich auch heute noch diese Bilder ganz deutlich in meinen Erinnerungen.
Lieber Ferdinand,
das waren ja recht zeitige Erfahrungen, deren Erkenntnisgehalt aber dann doch lebenslang erhalten bleibt. Aber schließlich will der noch junge Mensch die Welt in all seinen Formungen sichtlich „begreifen“, bevor er sie sich in etwas späteren Jahren für sich „erobert“. Schön hast Du Deine erste Liebe beschrieben, traurig nur, dass sie dann so jäh enden musste. Das schmerzt, vor allem wenn man so verliebt ist und vertraut.
Danke für diese grundehrliche Erzählung. So manch eine(r) wird seine vielleicht ähnlichen Erlebnisse leider verschämt verschweigen... schade.
Mit frohem und freundschaftlichen Gruß
Syrdal
Danke lieber Freund, für Deine herzlichen Worte. Ich denke, es ist gar nicht so schwer, schöne, unbefangene, kindliche Erinnerungen zu Papier zu bringen, zumal wir in dem Alter noch keine Gedanken hatten, darüber verschämt zu sein.
Oft genug war es kindliche Neugierde und Wissensdrang, unsere kleine Welt zu erforschen.
Deine wunderschöne, winterliche Kindheitserzählung hat mich animiert, auch einige eigene Kindheitserlebnisse zu erzählen.
Vielleicht beflügelt es ja auch andere, uns an ihren schönsten Kindheitserinnerungen teilhaben zu lassen, wüsche ich uns
herzlich grüßend
Ferdinand
Diese rührende Geschichte von Eurer so jungen Freundschaft,
lieber Ferdinand,
hätte ein "happy end" verdient....
doch sie endete mit Schrecken und Traurigkeit.
Aber in Deinen Zeilen ist die "Verankerung" in Deinem Herzen ganz deutlich zu erkennen
und das ist eben die andere Art der Liebe, einer Liebe , die immer in einem bleibt.
Mit Dank und Gruß
lichst
Renate-ladybird
Meine liebe Freundin Renate!
Leider sind nicht immer wunderschöne seelische Spuren auch an ein "happy end" geknüpft. Jedoch alles zusammen ist die Würze gelebten Lebens, wobei es auch manchmal bitterlich schmeckt, weil sich das Schicksal keinen "Deut um uns juckt!"
Danke für Deine verständnisvollen Zeilen!
Herzliche Grüße
Ferdinand
Berührend und traurig deine erste große Liebe.
Ja, aber die vergisst man einfach nie.
Meine war nicht so romantisch und tiefgreifend, trotzdem denek ich noch sehr oft daran.
Behalte deine Erinnerung, aber das brauche ich dir gar nicht sagen, das tust du.
Es grüßt dich
Christel