Leseturm auf Aurora (Senoria)
Leseturm Buchempfehlung 1
Dieter Wellershoff: Der Himmel ist kein Ort.
Kiepenheuer & Witsch, Köln. 2009. 299 S. EUR.19,95
Audio CD. LübbeAudio, 2009. Sprecher: Matthias Koeberlin. EUR 19,99.
Dieter Wellershoff hörte ich auf der letzten Buchmesse. Bisher hatte ich noch nichts von ihm gelesen, hatte von seinem sehr gelobten Bestseller „Der Liebeswunsch“, erschienen 2000, gehört, von einem wie die Presse schreibt berührenden Erzählband „Das normale Leben“ und zuletzt von einer Essaysammlung „Der lange Weg zum Anfang“ 2007.
Er saß am Lesepult: frisch, aufmerksam, dass mir die Vorstellung schwer fiel, dort einen 83jährigen Mann vor mir zu haben.
Er las aus seinem neuen Roman und beantwortete danach sehr genau die gestellten Fragen.
Der Roman beginnt wie ein Krimi und entwickelt sich zu einem figurenreichen Gesellschaftsdrama. Hauptfigur ist der junge Landpfarrer, Henrichsen, der noch nicht heimisch in seiner großen Vorstadtgemeinde ist.
Zu groß die Fußstapfen des Vorgängers in die er tritt, zu wenig verbindlich ist seine grüblerisch-nachdenkliche Art. Im Rahmen eines Einsatzes bei der Notfallseelsorge muss Hinrichsen nachts bei einem schweren Unfall Beistand leisten. Der Realschullehrer Karbe hat sein Auto in einen Fluß gelenkt. Dabei kommt dessen Frau ums Leben und der gemeinsame Sohn fällt ins Koma. Der Unfall wirft viele Fragen auf und Hinrichsen sieht sich bald inmitten einer schwelenden Gerüchteküche. War es wirklich ein Unfall? Oder hat Karbe den Wagen bewusst in den Fluss gelenkt? Wie das Unglück geschehen konnte, ist unklar. Schon bald gibt der angebliche Unfall Anlass zu Spekulationen.
Die Gemeinde erwartet Antworten und eine eindeutige Positionierung ihres Pfarrers.
Doch der Pfarrer will nicht vorschnell ein Urteil fällen, hält trotzdem an der Unschuldsvermutung fest und bringt fast alle Gemeindemitglieder gegen sich auf. Das ist der Ausgangspunkt einer sich ausweitenden Sinnkrise.
Die Erfahrung einer abgründigen Vieldeutigkeit greift auf immer neue Lebensbereiche über. Sie erfasst die religiösen Glaubensvorstellungen und stellt diese infrage, ebenso wie die Freundschaftsverhältnisse und die sich über unerwartete suggestive Briefe anbahnende Beziehung zu einer Frau, die dem Pfarrer in diesen Tagen wachsender Bedürftigkeit Zuwendung signalisieren.
Dieter Wellershoff erzählt mit ausgeprägtem Gespür für Stimmungen und Gefühle, wie dieser Pfarrer, der in der Gewissheit einer sinnstiftenden Ordnung gelebt hat, an Grenzen gerät - seine eigenen und die der Institution Kirche, deren Anspruch es doch ist, Orientierung zu bieten und Halt zu gewähren.
Dieter Wellershoff hat mit dem jungen Pfarrer Henrichsen eine Figur geschaffen, die dem Leser Mühe macht. So sehr Hinrichsen sich quälen muss, so schwer hat es auch der Leser mit ihm. Da ist das mit großer Souveränität geschilderte Umfeld, die wenigen Freunde, die sich um den aus dem Gleichgewicht geratenen Hinrichsen kümmern, die Gemeinde, die mit ihren Erwartungen zusätzlichen Druck ausübt.
Längst schon predigt er "mit dem lahmenden Rhythmus der Halbherzigkeit", feiert den Gottesdienst ohne rechte Überzeugung. Seine Glaubwürdigkeit ist so vor sich selbst und vor der Gemeinde infrage gestellt.
Im Klappentext des Buches heißt es u.a.
Die szenische Spannung eines sich verselbständigenden Prozesses, die Stimmenvielfalt der darin verstrickten Figuren und die subtile Einfühlung in einen Menschen, der allmählich erkennen muss, dass er mehr und mehr den Boden unter den Füßen verliert und damit zurechtkommen muss, machen diesen Roman zu einem außergewöhnlichen Leseerlebnis.
Dieter Wellershoff, Kölner, Weggefährte der großen deutschen Nachkriegsautoren Heinrich Böll, Günter Grass und Siegfried Lenz, hat seinen Lesern neun Jahre nach seinem letzen Romanerfolg ein, wie ich finde, großartiges Buch geschenkt. Und es ist ihm ein sprachliches Meisterwerk gelungen.
Seine subtile Einfühlung in die Personen, seine eindringliche Infragestellung dessen was uns als üblich oder gewiss erscheint, haben mich sehr beeindruckt.
In einer Buchbesprechung las ich und empfand es ebenso:
"Der Himmel ist kein Ort" ist ein sprödes Buch.
Doch zugleich ein Buch voller wie "in Stein gemeißelter sprachlicher Kunstwerke".
Ein anderer Rezensent schrieb: Ein merk-würdiges Buch, im Sinne von es ist würdig, es zu bemerken- dieser Roman von Dieter Wellershoff. Im Alter von 83 Jahren hat der Altmeister sein wohl bedeutendstes Buch geschrieben.
„Der Himmel ist kein Ort“ entfaltet sich inmitten der sich steigernden Sinnkrise durch eine besondere Ausdrucksform in einem Rapp, dargeboten während einer Akademietagung, die auch keine Lösungen bereithält.
Am Ende bleibt die Gewissheit, dass wir mit unseren Überzeugungen auf sehr brüchigem Boden stehen. Vielleicht aber ist es die Literatur, die uns wach hält, immer wieder zum Reflektieren des Gewohnten auffordert - wenn sie uns so begegnet wie in diesem Roman von Dieter Wellershoff.
06.12.09/IBü
Dieter Wellershoff: Der Himmel ist kein Ort.
Kiepenheuer & Witsch, Köln. 2009. 299 S. EUR.19,95
Audio CD. LübbeAudio, 2009. Sprecher: Matthias Koeberlin. EUR 19,99.
Dieter Wellershoff hörte ich auf der letzten Buchmesse. Bisher hatte ich noch nichts von ihm gelesen, hatte von seinem sehr gelobten Bestseller „Der Liebeswunsch“, erschienen 2000, gehört, von einem wie die Presse schreibt berührenden Erzählband „Das normale Leben“ und zuletzt von einer Essaysammlung „Der lange Weg zum Anfang“ 2007.
Er saß am Lesepult: frisch, aufmerksam, dass mir die Vorstellung schwer fiel, dort einen 83jährigen Mann vor mir zu haben.
Er las aus seinem neuen Roman und beantwortete danach sehr genau die gestellten Fragen.
Der Roman beginnt wie ein Krimi und entwickelt sich zu einem figurenreichen Gesellschaftsdrama. Hauptfigur ist der junge Landpfarrer, Henrichsen, der noch nicht heimisch in seiner großen Vorstadtgemeinde ist.
Zu groß die Fußstapfen des Vorgängers in die er tritt, zu wenig verbindlich ist seine grüblerisch-nachdenkliche Art. Im Rahmen eines Einsatzes bei der Notfallseelsorge muss Hinrichsen nachts bei einem schweren Unfall Beistand leisten. Der Realschullehrer Karbe hat sein Auto in einen Fluß gelenkt. Dabei kommt dessen Frau ums Leben und der gemeinsame Sohn fällt ins Koma. Der Unfall wirft viele Fragen auf und Hinrichsen sieht sich bald inmitten einer schwelenden Gerüchteküche. War es wirklich ein Unfall? Oder hat Karbe den Wagen bewusst in den Fluss gelenkt? Wie das Unglück geschehen konnte, ist unklar. Schon bald gibt der angebliche Unfall Anlass zu Spekulationen.
Die Gemeinde erwartet Antworten und eine eindeutige Positionierung ihres Pfarrers.
Doch der Pfarrer will nicht vorschnell ein Urteil fällen, hält trotzdem an der Unschuldsvermutung fest und bringt fast alle Gemeindemitglieder gegen sich auf. Das ist der Ausgangspunkt einer sich ausweitenden Sinnkrise.
Die Erfahrung einer abgründigen Vieldeutigkeit greift auf immer neue Lebensbereiche über. Sie erfasst die religiösen Glaubensvorstellungen und stellt diese infrage, ebenso wie die Freundschaftsverhältnisse und die sich über unerwartete suggestive Briefe anbahnende Beziehung zu einer Frau, die dem Pfarrer in diesen Tagen wachsender Bedürftigkeit Zuwendung signalisieren.
Dieter Wellershoff erzählt mit ausgeprägtem Gespür für Stimmungen und Gefühle, wie dieser Pfarrer, der in der Gewissheit einer sinnstiftenden Ordnung gelebt hat, an Grenzen gerät - seine eigenen und die der Institution Kirche, deren Anspruch es doch ist, Orientierung zu bieten und Halt zu gewähren.
Dieter Wellershoff hat mit dem jungen Pfarrer Henrichsen eine Figur geschaffen, die dem Leser Mühe macht. So sehr Hinrichsen sich quälen muss, so schwer hat es auch der Leser mit ihm. Da ist das mit großer Souveränität geschilderte Umfeld, die wenigen Freunde, die sich um den aus dem Gleichgewicht geratenen Hinrichsen kümmern, die Gemeinde, die mit ihren Erwartungen zusätzlichen Druck ausübt.
Längst schon predigt er "mit dem lahmenden Rhythmus der Halbherzigkeit", feiert den Gottesdienst ohne rechte Überzeugung. Seine Glaubwürdigkeit ist so vor sich selbst und vor der Gemeinde infrage gestellt.
Im Klappentext des Buches heißt es u.a.
Die szenische Spannung eines sich verselbständigenden Prozesses, die Stimmenvielfalt der darin verstrickten Figuren und die subtile Einfühlung in einen Menschen, der allmählich erkennen muss, dass er mehr und mehr den Boden unter den Füßen verliert und damit zurechtkommen muss, machen diesen Roman zu einem außergewöhnlichen Leseerlebnis.
Dieter Wellershoff, Kölner, Weggefährte der großen deutschen Nachkriegsautoren Heinrich Böll, Günter Grass und Siegfried Lenz, hat seinen Lesern neun Jahre nach seinem letzen Romanerfolg ein, wie ich finde, großartiges Buch geschenkt. Und es ist ihm ein sprachliches Meisterwerk gelungen.
Seine subtile Einfühlung in die Personen, seine eindringliche Infragestellung dessen was uns als üblich oder gewiss erscheint, haben mich sehr beeindruckt.
In einer Buchbesprechung las ich und empfand es ebenso:
"Der Himmel ist kein Ort" ist ein sprödes Buch.
Doch zugleich ein Buch voller wie "in Stein gemeißelter sprachlicher Kunstwerke".
Ein anderer Rezensent schrieb: Ein merk-würdiges Buch, im Sinne von es ist würdig, es zu bemerken- dieser Roman von Dieter Wellershoff. Im Alter von 83 Jahren hat der Altmeister sein wohl bedeutendstes Buch geschrieben.
„Der Himmel ist kein Ort“ entfaltet sich inmitten der sich steigernden Sinnkrise durch eine besondere Ausdrucksform in einem Rapp, dargeboten während einer Akademietagung, die auch keine Lösungen bereithält.
Am Ende bleibt die Gewissheit, dass wir mit unseren Überzeugungen auf sehr brüchigem Boden stehen. Vielleicht aber ist es die Literatur, die uns wach hält, immer wieder zum Reflektieren des Gewohnten auffordert - wenn sie uns so begegnet wie in diesem Roman von Dieter Wellershoff.
06.12.09/IBü
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