Jetzt schlägt's 30
Jetzt schlägt's 30 von Wilfried Hildebrandt
Hallo, darf ich mal um euer Silizium bitten? Danke.
Liebe Familienmitglieder und -mitgliederinnen,
danke mehrmals, dass ihr alle heute von weit und fern angereist seid.
Kommen wir nun zu unser heutiges Themata, der 100. Geburtstag von Onkel Willi, der jetzt leider schon 20 Jahren lang gestorben ist.
Den Jüngeren, die ihn nicht mehr kennenlernen durften, kann ich den Onkel so beschreiben:
Lange schlanke Haare und langer Bart. Kurz gesagte, wie Jesus kurz vor der Kreuzung.
Seit damals hat sich in der Welt nichts geändert – im Gegenteil. Ich bin sicher, der Onkel würde sich im Grabe umdrehen, wenn er noch leben würde. Mindestens jedoch würde er beide Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Hat er sich auch damals auch immer als das vierte Rad am Wagen gefühlt, so können wir heute sagen, dass das Leben mit ihm besser war, als wie mit ohne ihn. Für uns Kinder war es gleichsam als wie wenn er unser Vater war.
Gegen die Anfeindungen seiner Nachbarn war er sehr im Nu, vor allem, wenn sie behaupteten, er verletze ihr öffentliches Ärgernis. Das war eine Rückenmarkslosigkeit Sondershausen und schlug wirklich dem Fass die Krone ins Gesicht. Ich höre ihn noch schimpfen: „Na jetzt schlägt's aber 30!“ Oft rief er über den Zaun: „Pass mal acht, Freundchen, das Fass ist voll! Ich bin ja wirklich nicht tolerant, aber das geht zu weit!“ Hin und wieder hat er ein Exzenter stationiert und seinen Nachbarn die Leviten erzählt. Aber meist dauerte es nicht lange, dann war wieder Schwamm über die Sache gewachsen. Mit Anwälten und Gerichten stand er im Kriegsfuß.
Eigentlich war er sehr freundlich zu anderen Menschen. Immer, wenn er einen Nachbarn traf, fragte er: „Na, geht's danke? Was macht die gnädige Frau Gemahlsgattin?“ Damit wollte er ihnen gleich das Öl aus den Segeln nehmen, um bloß keinen Streit zu vermeiden. Aber es war immer nur ein Tropfen auf den heißen Brei.
Wenn ihm eine Maus über die Leber gelaufen war, konnte er die ganze Angelegenheit schnell hochsterilisieren und aus einer Mücke einen Floh machen. Dabei hasste er alle Extremitäten. Oft hörte ich ihn sagen: „Das Kind fällt so lange in den Brunnen, bis es bricht.“
Sein Wahlspruch war „Eine Hand gibt die andere“, aber seine Meinung war nicht in Stein und Bein, geschlagen, sondern er war einfach nur sehr arrangiert, getreu dem Motto „Wo ein Willi ist, ist auch was weg“. Jedenfalls hat er nie den Sand in den Kopf gesteckt. Aufgeben kam bei ihm nicht aufs Toupet, denn damals war er auch noch auf der Höhe seines Zenits. Auf ihn passte genau der Spruch „Raue Schale – weicher Keks“.
Wir sollten heute aber ruhig einen Hehl daraus machen, dass Onkel Willis Leben auch schön war. Sein ganzer Stolz war sein Strebergarten, in dem er Obst erntete, wie gemahlen, sage ich euch. Immer wieder versuchte er, Köpfe mit Nägeln zu machen, was ihm auch meistens gelang, außer bei seinen Kartoffeln nicht. Auch seine Kaninchen machten ihm viel Freude, vor allem, wenn sie Junge schmissen, obwohl er ein eingefleischter Vegetarier war. Aber da biss sich die Henne selbst ins Ei.
Nicht unvergessen ist auch, dass er ein begnadeter Maler war, dessen Bilder immer wieder aus dem Rahmen fielen. Er malte seine Zukunftsversionen in Essig und Öl. Seitdem er einmal das Übergewicht verloren hatte und vom Balkon gefallen war, hatte er das siebte Gesicht, wie er es nannte.
Wer aber denkt, dass der Onkel ein Egoist war, dem kann ich das Gegenteil widerlegen. Hustekuchen! Ich sehe ihn noch für karikative Zweckes sammeln. Aber er achtete immer sehr streng darauf, dass die Spenden nur für sanitäre Zwecke verwendet wurden. Wie anteilnehmend er war, sieht man an seiner Maximale, die da lautete „Geteiltes Leid ist doppelte Freud“. Bei ihm konnte man wirklich sagen: „Raue Schale, weicher Keks.“
Jetzt danke ich für die Aufmerksamkeit und wünsche guten Appetit und den Jüngsten rufe ich zu:
„Isst Kinder isst, damit ihr groß wird und wächst!“
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