Im Advent ein literarisches Beispiel: Erwin Strittmatters Sprachkunst


Ein vorweihnachtliches Beispiel für Erwin Strittmatters Sprachkunst ...


... am Beispiel der Szene "Der Napfkuchen" aus Strittmatters Roman "Der Laden"



Für Lesefreuden:
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Erwin Strittmatters Sprachkunst – auch ein Beitrag zur Vorweihnachtszeit und zu besonderen Neuworten bei E. St.:

Neben der dörflichen und/oder familiären Umgangssprache und neben dem Lausitzer Dialekt verstand es Strittmatter auch, neue Wörter einzuflechten, wenn er besondere Nuancen herausarbeietn wollte in seiner Sprachkunst.


Hier ein Beispiel mit der Weihnachtsgeschichte „Der Napfkuchen“:


[i]Vorbemerkungen:


Das Verb „beunflaten“ gibt es in der normalen oder Schriftsprache nicht. Hier drückt es eine gezielt, sanfte Ironie des männlichen, eifersüchtigen Vorgangs aus, Frauen zu beschimpfen:

Der Ortsname „Bossdom“ ist für den Roman erfunden; gemeint ist der originale Lausitzer Ort Bohsdorf.

Das wundersame Wort „Fußmehl“ - als Bäckerei-Selbstverständlichkeit - wird im Text erklärt.


Der Text stammt aus: „Der Laden“, einer Romantrilogie von Erwin Strittmatter, die zwischen 1983 und 1992 erschien und als größtes Romanwerk zur anspruchsvollen Unterhaltung in der und über die DDR gilt. - Strittmatter schildert das Dorfleben in der Lausitz. - Die Trilogie trägt neben den fiktiven auch autobiographisch-familiäre und dörflich-gemeindliche Züge und reicht von der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis zur frühen DDR. Held des Romans ist Esau Matt und dessen Familie, die eine Bäckerei und Kolonialwarenladen in Bossdom (eigentlich Bohsdorf) besitzt


Vgl. zum Dichter:

http://de.wikipedia.org/wiki/Erwin_Strittmatter


Erwin Strittmatter
Der Napfkuchen


Einige Tage vor Weihnachten (ist es nötig zu sagen, wie viele Tage? Ist die Zeit etwas Wirkliches? Messen wir sie nicht nur an unseren Runzeln?) bringen mir die Tinkos (Schwägerin Elivira mit Mann] auf Abend zwei Napfkuchen zum Abbacken durch die Dezemberfinsternis geschleppt. Ihr kennt solche Kuchen vielleicht als Topfkuchen oder gar als Gugelhupf, aber damit könnt ihr keinem Bossdomer kommen. Es sind abgeriebene Napfkuchen.

Der Backofen hat aufgehört, heiß und giftig zu sein, er ist im rechten Zustand, Elviras Napfkuchen abzuschmoren, ebenso wie Plätzchen aus Mürbteig, wenn es die gäbe. Die Tinkos bleiben feierlich stehn, bis ich ihre Napfkuchen in den Ofen geschoben habe. Das ärgert mich. Ist hier ein Krematorium?

Ich fege die Backstube, knie nieder, weil mein Kreuz sich nicht mehr so krümmen will, wie es soll. Ich fege den Mehlstaub unter den Beuten hervor, das Fußmehl. Selbst wenn man in fünf Zentimeter Höhe schwebend, wie einer von der niederen Engelsorte, in der Backstube arbeiten würde, es ließe sich nicht vermeiden, daß Fußmehl entsteht. Es wird gesammelt und von Zeit zu Zeit zu Hühner- oder Schweinebrot verbacken. Alsdann richte ich mir auf dem Tisch unter dem Fenster meine Schreiber-Werkstatt ein. Oh, hätte ichs an diesem Tage nicht getan! Ich schließe eine imaginäre Tür hinter mir und steige in mein Aufschreiber-Leben. Nach zwei Stunden wird mir die Erkenntnis, daß Napfkuchen auch in einem halb ausgekühlten Backofen zu Kohle werden können. Eigentlich muß ich entsetzt sein, aber ich bin es nur halb.

Während die Napfkuchen verbrannten, gelang mir beim Schreiben eine Passage, und die Tatsache steckt nun als ein Glücksgefühl in mir, das sich durch zwei verbrannte Kuchen nicht zersetzen läßt. Ich bespreche die Angelegenheit mit der Mutter, beschimpfe meine Vergeßlichkeit und höre die Mutter sagen: Da wem wa vom Deibel seine Frau geschrubbt wem. Ich kann feststellen«, daß noch Mutterliebe für mich übriggeblieben ist. Die Mutter wächst über sich hinaus, sie empfiehlt mir, nach einer kurzen Kalkulation, einen neuen Teig für Napfkuchen einzurühren. Die Zutaten liefert sie, das heißt, sie besiegt ihre Kuchengier und verzichtet auf eine von ihren Weihnachtsstollen.
Aber da ist Elvira schon ran. Sie verstrahlt Liebenswürdigkeit wie die englische Königin, wenn sie unters Volk geht. Es ist ihr daheim soeben gelungen, ein halbes Stück echter Kernseife, das sie bei ihrer Geschäftsreise erntete, gegen eine Flasche Bergmannsschnaps einzutauschen. Habe ich schon erzählt, daß die Mode aufgekommen war, die Bergleute mit; Schnapsdeputaten anzufeuern, wild auf die Kohle loszugehen, wahrscheinlich unter der stillen Voraussetzung, daß Schnaps die Mannskräfte vervielfältigt. Aus dieser Bergmanns-Schnaps-Mode, von den russischen Besatzer-Freunden eingeführt, wurde, sofern man den Schnaps nicht vertrank, eine der Währungen, von denen ich erzählte.
Elvira zeigt ihre ausgezeichneten Zähne, läßt ihre Augen kullern, erzeugt Wellen, die Sympathie in mir erzeugen sollen, und sagt so einladend sie kann, ich möge mir in den Weihnachtsfeiertagen das Nest besehen kommen, das sie und Tinko sich eingerichtet haben, eine Tasse echten Bohnenkaffee bei ihnen trinken und ein Stück Napfkuchen dazu essen.
Ich versuche mit einer Liebenswürdigkeit, die mit der von Elvira auf gleicher Höhe liegt, den verkohlten Kuchen anzufahren und mich schuldig zu bekennen. Eine dicke dunkelblaue Gewitterwolke zerbricht, es fängt an zu hageln. Für Elvira werde ich so schwarz wie die verbrannten Napfkuchen. Das haste extra gemacht, du Hundehund! In Elviras Stimme gehen Wellen des Zorns um: Das haste nich umsonst gemacht! Meine Mutter versucht mich zu verteidigen. Mein Gott, sagt sie;, der Mensch is nich immer so beisammen, wie e:r sein soll; een jedes kann moal was vergessen.
Aber keene Kuchen im Ofen. Elvira klappert mit den Zähnen wie eine wütende Ratte. Der Bock denkt an nischt wie an seine Weiber! Vom Hiunde-hund, der ich war, bin ich zum Bock geworden, und ich werde zum Bullen und zum Hengst, zum Wüstling und zum Vielweiberer. Erstaunlich, welche Worte Elvira zur Verfügung stehen, um meine Potenz zu kennzeichnen. Freilich verfügen auch eifersüchtige Männer über die Fähigkeit, Frauen zu beunflaten. Ich sage das, um nicht für einen Emanzipationsgegner gehalten zu werden, für einen Macho, modern gesagt. Trotzdem bin ich erstaunt, daß ich der Mann bin, der durch sein bedächtiges Dasein eine solche Eifersucht bei Elvira erzeugen kann.
Meine Mutter versucht noch einmal, die rasende Schwägerin zu besänftigen. Sie bietet ihr die Zutaten für Ersatznapfkuchen; sie bietet ihr, unselbstsüchtig, sogar überdies Rosinen an. Ersatz, Ersatz, höhnt Elvira. Was weeßt du, was in meine Abgeriebenen alles drinne woar. Meine Mutter wird abgeschmetttert. Elvira stürzt sich wieder auf mich, und jetzt bin ich für sie ein Hurer, und sie wirft mir einen der verbrannten Napfkuchen vor die Füße. Die Napfkuchenform zerklirrt.

Aus: E. St. S. 101-105

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