Vorbemerkung: Hier berühren sich zwei Welten.
Für jemanden, der in Südamerika lebt, ist das nichts Ungewöhnliches.
Eine der Geschichten, die mir am Herzen liegen.


Leicht irritiert durch die Änderung des Geräuschpegels öffnete ich die Augen: Blau! Blau und Weiß! Von einem unwirklichen, alles überstrahlenden Blau dehnte sich der Himmel über den Illimani, einen mit glitzernden Schneeflächen abgedeckten Berg, der auf gleicher Höhe des Flugzeugfensters an meinen Augen vorbei glitt: Wir waren im Anflug auf La Paz.

Eigentlich begann alles mit dem Nachmittag in Rio de Janeiro, an dem ich mich vor dem Trubel des Cárnaval in den Club geflüchtet hatte. Ich ließ mich in einen Liegestuhl fallen und fühlte mit Befriedigung, wie sich mein Bewusstsein langsam über mir zusammenfaltete und mich in eine wohltuende Leere sinken ließ.
Stühlerücken und Kindergeschrei brachten mich unwillentlich wieder in den Tag zurück: neben mir Izabel – mit (!) Kind.
Ziemlich überflüssig die Frage, wie lange wir uns nicht gesehen hatten. Aber unser gemeinsames Problem stand mir schlagartig wieder vor Augen, ihr Kinderwunsch war offensichtlich in Erfüllung gegangen, während ich immer noch alle angeblich kompetenten Ärzte konsultierte. Eigentlich sprachen wir kaum über dieses Thema, aber meine Frage stand mir wohl zu offensichtlich ins Gesicht geschrieben. Schließlich – kurz bevor ich mich verabschieden musste – sagte sie:
„Wenn Du Dein Problem so lösen willst wie ich das meine, dann rufe mich an. Ich leite alles in die Wege. Allerdings musst Du dafür nach La Paz fliegen!“

Die Gelegenheit dazu ergab sich schneller als erwartet. Mein Mann hatte dienstlich in La Paz zu tun, für mich die Möglichkeit, ein paar Tage dort zu verbringen. Izabel hatte tatsächlich alles vorbereitet: Am Nachmittag, als mein Mann zu einer Besprechung in der Botschaft war, erschien Paco, ein großgewachsener Indio mit breitem vertrauenswürdigen Lächeln, in der Rezeption. In seinem überraschend gepflegten Taxi fuhr er mich durch immer enger werdende Gassen bergauf und hielt vor einem kleinen zweistöckigen Haus im Kolonialstil. Paco öffnete mir die Tür und ich stand in dem kaum möblierten halbdunklen Empfangsraum. Der Hausdiener schaute an mir vorbei –offenbar machte Paco ihm Zeichen – dann langte er nach hinten und seine Hand präsentierte mir einen Schlüssel: “Tres.“
Ich warf mich aufs Bett und starrte Fra Angelicos „Verkündigung“ an, eine verblasste Kopie mit einem Rotstich im modernen Aluminiumrahmen: ein Omen? Das Telefonläuten schreckte mich auf, ich nahm es als Signal und ging die Treppe hinunter.
Der Hausdiener brachte mich durch verwinkelte Gänge zur einem Tor, das sich zum Hausgarten hin öffnete. An der gegenüberliegenden Wand hockte, die vielen Röcke um sich ausgebreitet, das Gesicht vom üblichen Hut beschattet, eine India. Neben ihr ein verkleinertes, aber genaues Abbild: ihre Tochter. Die Stille der bewegungslos dasitzenden Gestalten war körperlich fühlbar, verstärkt noch von dem steten Sirren der Zikaden. Keine Handbewegung, kein Wort, kein Blick. Vor ihnen die Opfergaben für die Erdmutter Pachamama: Einige Schalen mit Essen, ein Teller mit Cocablättern und die übliche Flasche mit Zuckerrohrschnaps. Etwas unschlüssig hockte ich mich schließlich ihnen gegenüber auf den Boden. Die India wartete. Ruhe und Vertrauen breiteten sich in mir aus. Da ergriff sie die Flasche, goss nach mehreren Seiten etwas Alkohol auf die Erde:
„Ante todo: La Pachamama!“
Dann ausgedehntes beschwörendes Gemurmel in Quechua oder Aymara. Plötzlich fasste sie nach meinen Händen und drehte die geöffneten Handflächen nach oben. Einige Zeit verharrten wir bewegungslos und stumm in dieser Stellung. Dann langte sie neben sich und entnahm einem Bündel ein in ein besticktes Tuch eingeschlagenes Etwas. Intensiv schaute sie in meine Augen und fand darin wohl die Zeichen meines Vertrauens. Langsam legte sie es in meine ausgestreckten Arme und schlug vorsichtig das Tuch zurück:
Es starrte mich aus leeren Augenhöhlen an:
Ein leichtes lederartig ausgetrocknetes Wesen
in fötal gekrümmter Haltung!


Im Nachhinein, wenn ich das so überdenke, fühlte ich keinerlei Erschrecken oder Widerwillen, sondern eine Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit im Ablauf dieses Geschehens, ganz entgegen meiner sonstigen Verhaltensweise.
Ich erinnere mich noch, wie ich versuchte, ohne das es mir recht gelang, auf Spanisch zu formulieren: “Puedo …...? Puedo........“ („Kann ich es mitnehmen?“), da fühlte ich ihren Blick aus schwarzen unergründlichen Augen auf mir liegen und sie nickte langsam. Dann bedeutete sie mir, das Bündel unter meinem Rock auf dem Bauch zu tragen: „Esta noche!“
Ein Rascheln vieler Röcke und das Geräusch leichter Tritte ließen mich aus meiner Trance erwachen und zur Tür sehen: Die Tochter, an einer Hand von der Mutter gezogen, warf mir über die Schulter einen Blick von gleicher Dringlichkeit und rätselhafter Tiefe zu, deutete mit ihrem kleinen Zeigefinger auf den Fötus und mit überraschend tief und voll klingender Stimme sagte sie:
Guanaco.“

castellanos [/size]


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Kommentare (5)

castellanos Hallo Komet
Jetzt versteh ich Deinen Einwand.
Soll heißen La Paz, nicht Bogotà.
castellanos
castellanos Hallo Medea,
ich weiß schon, was Du wissen willst!
Wenn der Besuch in Bogotá nicht zu einem positiven Ergebnis geführt hätte, hätte ich die Geschichte auch nicht geschrieben.
Castellanos
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castellanos Hallo Komet,
ich habe sechs Jahre in Südamerika gelebt, kenne die Schauplätze und auch die Leute, von denen ich schreibe. Ist allerdings 40 Jahre her. Die Geschichte ist authentisch.
castellanos
[size=16][/size]
Komet stammt dieser Bericht aus Deinen Erlebnissen???
Bist Du männlich oder weiblich???
Man sollte es sich schon einmal genau durchlesen.
Ich habe Jahre in Südamerika gelebt und muß Dir sagen, dass ein Indio Dich nicht so schnell in ihre Geheimnmisse einweiht.
Da mußt Du schon über Jahre unter ihnen gelebt haben.
Aymara ist ein Dialekt von Quechua und wird im Altoplano
gesprochen - nicht in Bogota.
In einigen Indio Märkten werden die getrockneten Föten mit den Heilkräutern angeboten, aber sobald eine "Gringa" oder ein
"Gringo" in der Nähe ist, werden sie sofort abgedeckt.

Dein Bericht hört sich nach - abgeschrieben - an.


Komet
Medea Deine "Geschichte" kann ja so nicht enden,
sie verlangt geradezu nach einer Fortsetzung.
Du kennst sie, bitte bringe sie zu Ende.
Ich achte das uralte Wissen der südamerikanischen
Indio-Frau.

Medea.

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