Glosse zum 9. November (13.11.2009)


Die Badewannen-Glosse
vom 13. November 2009


Ein paar Gedanken zum 9. November 2009



Eine der neueren Publikationen (2009 erschienen)



Was ich mag:

Nun, eben Gedenktage ... die lenken so herrlich ab. Man kann die gegenwärtige Misere - sofern die Gegenwart als Misere empfunden und erlebt wird - vergessen und so herrlich über vergangene Zeiten, Ereignisse und Personen räsonieren ...

Meine Güte ... welche Gedenktage in diesen frühen Novembertagen!
Allein dieser 9. November; 1918, 1938 und dann – zeitlich uns am nähesten – 1989. Dann aber im Jahre 1923: Der Hitler-Ludendorff-Putsch.
Aber auch schlimme Dinge: Am 9. November 1967 entfalteten bei der Amtseinführung des neuen Rektors der Hamburger Universität (damals noch ein magnifizenter Mummenschanz in Talar etc.) Studenten das berühmte gewordene Transparent mit der reizenden Inschrift: „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ (die älteren Leser der FAZ und WELT haben diesen Schock bis heute nicht überwunden!).
Der Sänger Thomas Quasthoff wurde an diesem Tage 50 Jahre. Schiller, einen Tag später, 250 Jahre; d.h. seines 250. Geburtstages wurde in den großen Zeitungen gewürdigt. Last but least: Michail Timofejewitsch Kalaschnikow wurde an diesem Tage neunzig Jahre alt, wie z.B. der Bayerische Rundfunk und auch die FAZ vermeldeten. (Herr oder soll man eher sagen: Genosse Kalaschnikow erfand das berühmte AK-47; wer das nun nicht weiß, wollte mal eifrig googeln und/oder Wikipedia bemühen!).

Aber es geht ja um den 9. November 1989 bzw. um das Gedenken an diesen Tag. Zweifelsohne auch heute noch ein Freudentag für alle Berliner, für die Menschen in der DDR, vermutlich auch ein Freudentag für alle Menschen in der BRD. Interessant nur, wie dieser Tag in Deutschland begangen wird.

Als Vorspiel die diversen Gesprächsrunden im Fernsehen – von Frau Will bis zum Frank Plasberg – , über deren Relevanz man sicher geteilter Meinung sein kann, deren Wert aber wohl hauptsächlich in einer Quoten- und Unterhaltungsfunktion des jeweiligen Senders besteht.
Nachdem ich das zweifelhafte Vergnügen hatte, diese Sendungen nicht nur bei den Nachbarn anschauen zu können, sondern noch einmal via Internet „überprüfen“ zu können, hatte und habe ich den Eindruck, daß sich die Protagonisten, Moderatoren und Teilnehmer, inhaltlich kaum bzw. nur oberflächlich vorbereiten.

Ja, und dann die Feier(n) selbst, für deren mediale Verbreitung ja das Fernsehen das entsprechende Monopol in Anspruch nimmt und ja auch von der Menge der Bevölkerung konsumiert wird.
Nun weiß man nicht so recht, worum es bei allem Feiern und vor allem Gedenken ging. Mal abgesehen von der Erinnerung und Freude der unmittelbar Betroffenen und Beteiligten, was sich vor allem in der Wiederholung des Ausrufs „Wahnsinn“ ausdrückte.


Eines der erschienenen Sonderhefte; hier auf S. 94 f. kurz kommentierte Literaturliste.



Was ich weniger mag ... bzw. worüber ich rätsele ...

Abgesehen von den spontanen Erinnerungen – Bilder, Szenen, Worte vergegenwärtigen die Vergangenheit und lösen Gefühle aus – könnte man doch meinen, daß sich sowohl das allgemeine Publikum als auch die mediale Öffentlichkeit; einzelne Personen, hier natürlich vor allem die Betroffenen und Beteiligten, aber offizielle Personen sich reflexiv, d.h. nachdenkend, abwägend und durchaus auch kritisch mit der Vergangenheit auseinandersetzen.
Ist es jetzt ein falscher persönlicher Eindruck ... oder war es doch tatsächlich mehr eine große [Selbst]Inszenierung des Fernsehens, der Medien und der gesellschaftlichen und politischen Prominenz, wobei die damaligen Akteure, Betroffene und Beteiligte mehr die Rolle von Statisten in diesem nationalen-medialen Schauspiel hatten? Allein als Moderator diesen Herrn Gottschalck (Guido Knopp wäre allerdings auch nicht die bessere Alternative gewesen!) entlarvt doch das Ganze als Unterhaltungsklamauk oder nicht ...?
Was aber hätte man erwarten können ... Etwa Antworten auf folgende Fragen: Angesichts der Komplexität von Entwicklungen, Strukturen, Personen und Geschehnissen ... welche Entwicklungen und Ereignisse bereiteten den Zusammenbruch vor? Wie waren diese Entwicklungen, etwa in den verschiedenen osteuropäischen Ländern, miteinander verknüpft, bedingten einander? Die Interdependenz von Innen- und Außenpolitik, von wirtschaftlichen und sozialen Strukturen? Dies nicht nur in der damaligen DDR, sondern in den anderen Länder des ehemaligen Ostblocks, also auch in der Sowjetunion. Dann der Ablauf selbst – an sich nicht nur in der Dissertation und Publikation von Hans-Hermann Hertle umfassend dargestellt. Aber auch hier sind noch etliche Fragen offen; etwa der Zustand, die aktuelle (eben damalige) Situation und das Handeln der Volkspolizei, der NVA und der in der DDR stationierten Sowjetarmee? Dann Gorbatschow ... hier sind etliche Fragen und Widersprüche nicht geklärt. Inwiefern spielt die finanzielle Unterstützung Ungarns (Rödder, Andreas: Deutschland einig Verland. Die Geschichte der Wiedervereinigung. München 2009, S. 72 ff.) durch die BRD eine Rolle für das Verhalten Ungarns? Dann der Prozeß der Wiedervereinigung selbst, die ja staatsrechtlich eben keine „Wiedereinigung“ war, sondern nur der Anschluß der Länder der „neuen“ DDR an die BRD. Allein die Boden- und anderen Eigentumsfragen, die Tätigkeit der Treuhand etc. alles recht vage bzw. sehr unterschiedlich dargestellt und vor allem beurteilt. Bis jetzt fehlt auch eine detaillierte Darstellung der „Vereinigungskriminalität“ – aus meiner Sicht ein unbedingtes Desideratum.

(Bisher habe ich ein zusammenfassende und kommentierte Literaturliste noch nicht gefunden.)





Über mich ...

Aber das Bedürfnis der Menschen, sich mit dem damaligen Geschehen detailliert bzw. überhaupt auseinanderzusetzen, nimmt ja ab. Nach den eigentlichen Hauptakteuren z.B. vom Neuen Forum fragt man ohnehin niemand mehr. Der Politikwissenschaftler Klaus Schroeder (FU Berlin) spricht u.a. davon (Interview in der Frankfurter Rundschau vom 08.11.09), daß Reflexion und Wissen bezüglich des Geschehens und der Entwicklung abnehmen, hingegen die Verklärung des vergangenen Geschehens zunimmt. Das betrifft besonders die jüngere Generation, deren Bild von der Vergangenheit – wenn sie es überhaupt interessiert – „lediglich aus Erzählungen der Eltern, der Verwandten und aus Filmen wie "Good Bye, Lenin", "Sonnenallee" und "Das Leben der Anderen" resultiert“; „ohne konkretes Wissen wird sich irgendetwas zusammengereimt“, was auch, über Schroeder Aussage hinaus, auch für die älteren Generationen gelten wird. Einige vergangene Bilder, ein paar BILD-Schlagzeilen, die Flut der z.T. sinnlosen und sinnlos aneinander gereihten szenischen Bilder im Fernsehen ... alles zusammengekleistert: Das ergibt Geschichtsbilder.
Zwar wird etwa von der FAZ über Jahre immer wieder die Auseinandersetzung mit der DDR gefordert und die Vergeßlichkeit diesbezüglich beklagt, wobei man es allerdings offenbar vor allem um die Verurteilung der ehemaligen DDR als Unrechtsregime geht. Also „Geschichte als Waffe“ (so das Buch von Edgar Wolfrum), also um den „Wettstreit der Erinnerungen und den politischen Kampf um Geschichtsbilder“, denn „Geschichtsmythen [spielten schon immer] eine wichtige politische Rolle, schon um allein Kriege und Eroberungen zu legitimieren. Hier, bei dem Geschehen von 1989, geht es nicht wenigen Interpreten darum, vor allem (partei)politische Akzente zu setzen.

Für mich persönlich geht es darum, über die damalige Betroffenheit hinaus das Geschehen sukzessive in seiner Komplexität – gleichermaßen diachron und synchron – zu verstehen, zumal ich auch ein westliches „Kind des Kalten Krieges“ war und somit auch ideologisch zugekleistert wurde und somit anfällig für einseitige Interpretationen war. Dem war und ist etwas entgegenzusetzen.


Die Bertha
vom Niederrhein



Eine der im Internet verfügbaren Grafiken (von der www.zeit.de-Seite; dort finden sich weitere solche Grafiken)



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Kommentare (4)

pelagia Wir haben am 9.11. mit unserem Gast aus der Schweiz über diesen denkwürdigen Tag in der Deutschen Geschichte gesprochen. Einigkeit war in unserer Erinnerung (auch bei den Nachbarn in der Schweiz) über unsere Freude und unser Staunen, was sich ganz ohne Blutvergießen seinerzeit ereignet hat, was möglich geworden war, durch das konstante Engagement einer großen Bürgerbewegung. Einig war wir auch darüber, wie geschickt die Politmächtigen aller Couleur es heute noch immer verstehen, ihre Wahlpropaganda, ihr Gutmenschwesen, ihre Beteiligung am Erfolg, mit immer gleich klingenden Phrasen an uns heranzuschwätzen. Eine oftmals als sehr peinlich empfundene Inszenierung, aufbereitet für die Masse, die mit oberflächlichen Skizzen hauptsächlich unterhalten werden will.
Unsere Gespräche sind dann aber bei der Geschichte des 9. November 1938 stehen geblieben. Geschichte, die wir nie vergessen dürfen.
Danke, dass Du diese Themen aufgegriffen hast.
Medea ... und mit jedem folgenden 9ten November wird dieser Tag weiter
in den "Nebeln von Avalon" verschwinden - märchenhaftes wird
den Kindern und Kindeskindern berichtet werden in etwa so:
dein Großvater/Großmutter waren dabei gewesen, sie haben Kerzen
in den Händen getragen, das böse Regime wurde "weggeblasen"
und danach ist dann alles besser geworden und klar, sind auch einige
auf der Strecke geblieben, aber davon wollen wir mal lieber nicht
reden.

Mir dreht sich ja heute schon der Magen um bei dieser Inszinierung
der Politoberen ......
niederrhein Da schau her ... also nicht nur ich habe das Ganze als Spektakel, als Gaudi empfunden.
Und das erscheint mir sehr wsentlich: "[...] eine Selbstinszenierung, die von den wirklichen Problemen der Zeit ablenken soll. Alles wird emotional und schon war alles - Wahnsinn!"

In diesem emotionalen Brei für die Öffentlichkeit - keinem sollen seine persönlichen Erinnerungen und Gefühle genommen werden! - geht alles Reflexive, Kritische unter. Das Ganze ist so einfach nichtssagend und soll es wohl auch sein ... bzw. wird wahltaktisch, parteipolitisch und interessenmäßig instrumentalisiert.

B.
immergruen habe ich die Ideologie der Altherrenriege erlebt und irgendwann nicht mehr ertragen. und ich kann es nicht verstehen, dass man heute mit verklärtem Blick auf die Zeit zurückblickt. Aber die "Gute alte Zeit" war schon immer ein Thema im Bewußtsein der Menschen.
Auch ich habe die Feier zum 20. Jahrestag gesehen und die eigentlichen Akteure der Wende in diesem Spektakel vermisst. Natürlich ist es eine Selbstinszenierung, die von den wirklichen Problemen der Zeit ablenken soll. Alles wird emotional und schon war alles - Wahnsinn !
immergruen

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