Freunde im Kleiderschrank
(Inspiriert von dem Manfreds36 Gedicht unter dem Titel "Ich habe nur einen wahren Feind auf Erden - und das bin ich selbst", und von den Kommentaren dazu).
Nicht nur sehr unglückliche, oder sehr glückliche Personen nehmen sich Mal als einen eigenen Feind, und Mal als einen eigenen Freund wahr. Besonders deutlich ist es bei jungen Personen sichtbar, die reif genug sind, um daran zu denken, nicht immer aber reif genug, um das Problem ratsam zu lösen.
Die Kinder suchen meistens Freunde um sich herum. Von den Feinden möchten sie nicht viel wissen, und auf die Idee, sich selber ein Feind zu sein, würden sie wahrscheinlich nicht kommen. In vielen, vor allem in den alten, Kinderbüchern, und auch in Büchern aus dem Bereich der Psychologie kann man darüber lesen, dass sich viele Kinder - aus irgendeinem Grund, auch nicht immer nur die unglücklichen - einen nicht realen Freund aussuchen. Einen virtuellen; die Kleinen haben es erdacht lange bevor es das Internet gegeben hat. :)
Meistens ist ein solches Phantom auch ein Kind. Bei mir waren das zwei erwachsene Personen. Ich brauchte kein Kind als einen solchen besonderen Freund, denn mir mangelte am Sicherheitsgefühl, und so etwas kann man ja von einem anderen Kind nicht bekommen. Es waren zwei konkrete Menschen, die ich aber persönlich nicht kannte: Zwei Brüder, die als Leader einer Musikgruppe gerade sehr populär hier wurden, als ich etwa 10 Jahre alt war.
Und als ich mal wieder traurig oder erschrocken war, kam ich in einen Kleiderschrank rein. An der Hinterwand da gab es vier Metallknöpfe, die den Schrank einfach zusammenhielten. Obwohl kein ganz kleines Kind schon gewesen, glaubte ich stark daran, dass ich nur diese Knöpfe in einer richtigen Reihenfolge zu drücken brauche, damit sich da eine Tür öffnet, und ich würde in eine andere (eine "parallele" würde ich es damals noch nicht nennen können) Welt kommen können.
Und die zwei jungen Leute würden sich freuen, dass ich gekommen bin. Sie würden immer Zeit für mich haben. Sie würden nie mit einer gehobenen Stimme sprechen, mich nie auslachen. Sie wären aufmerksam, fürsorglich, freundlich...
Die Tür im Schrank ging nie auf; meine Gespräche mit diesen zwei Brüdern aber, die ich in meinen Gedanken mit ihnen oft führte, haben wohl dazu beigetragen, dass mein innerer Feind, der in der Adoleszenz bei mir einfach erscheinen musste, mir nichts Böses antun konnte. Ich "hatte" sie, meine Freunde aus dem Kleiderschrank, bedingungslos und zuverlässig.
Kommentare (6)
Liebe Kristine,
Deine Worte habe ich soeben verwendet: es hatte einen Sinn.
Und bestätigen möchte ich auch weitere Worte von Dir: Gut, dass es das gibt. :)
Mit vielen Grüßen
Christine
Liebe Christine, das ist eine berührende Erinnerung an Deine Kindheit und Jugend.
Du hast einen kreativen Ausweg gefunden, darauf kannst Du stolz sein. Du wußtest Dir zu helfen.
Als ich Kind war, hatte ich ähnliche Gedankenspiele. Ich stellte mir abends, wenn ich im Bett lag, oft vor, ich wäre adoptiert worden und meine richtigen Eltern, vor allem mein richtiger Vater, würden kommen und mich holen und mich beschützen wollen.
Ach, es ist doch gut, dass wir solche Träume hatten, das hat uns geholfen, zu überleben und auch andere Menschen zu verstehen und so konnten wir später etwas sehr Wertvolles weitergeben, nämlich ein großes Verständnis und Einfühlungsvermögen in die Nöte anderer.
Sei lieb gegrüßt
Elbstromerin
Ja, liebe Elbstromerin,
was für uns damals womöglich schwierig und traurig war, lässt uns jetzt eben vieles besser verstehen. Man kann schon sagen, unsere Probleme hatten doch einen Sinn - sie haben uns verständnisvoll gemacht. :)
Ich grüße Dich auch lieb
Christine
Ganz so wie deine waren meine Fantasie-Erlebnisse im Alter von 10 Jahren nicht. Aber an die Wand, hinter der ich ein Paradies erträumte, kann ich mich noch gut erinnern. Ich war als Kind schon mit der weiteren Unterkellerung des uralten Hauses beauftragt, d.h. Freimachen von Schutt, wo schon einmal etwas gewesen war, und tatsächlich ein wunderschöner Gewölbekeller. Hinter dessen Rückwand erträumte ich mir eine andere, helle Welt. Da ging ich mit der Petroleumlampe oft hin. Später schuf ich mir meinen Avatar, nichts zum Anfassen, aber ein Etwas, das mir zuhörte, riet und mich tröstete. So etwas Ähnliches trage ich heute noch immer mit mir herum.
b.G.
Manfred
Ich auch. Wie schön, dass man sich so einen freundlichen Schutzengel erschaffen kann. :)
Mit besten Grüßen
Christine
Ja, liebe Christine, so manch Kinderträume oder Vorstellungen kommen beim Lesen deiner Geschichte auch bei mir wieder hoch...., mit Abstand denke ich heute, das hatte alles seinen tieferen Sinn..., als Kind kann man sich oft garnicht anders helfen, als in eine Analogwelt zu flüchten..., um Schutzwalle aufzubauen, sich abzulenken, es keine anderen Möglichkeiten gab/gibt !
Oftmals fühlt man sich als Kind genau in dieser, träumerischen Welt wohl..., weil die "Andere da draußen" nicht schön ist...
Gut, dass es das gibt !
Kristine