Fahrrad-Karriere

Autor: ehemaliges Mitglied

Fahrrad-Karriere

Ich habe eine lange Fahrradfahr-“Karriere“ hinter mir. Ich habe es geliebt und trauere dem Verlust heute nach, es nicht mehr zu wagen. Gern wäre ich auch noch im hohen Alter mit meinem Rad herumgesaust! Doch das Schicksal wollte es anders.

Mein Fahrrädchen, das ich als Neunjährige bekam, weil ich dem Kleinkinderrad entwachsen war, half mir, (verbotenerweise) meine Heimatstadt und die Umgebung Münsters zu erkunden. Meine mütterliche Verwandtschaft wohnte weit verstreut in der Stadt, der heimatliche Restbauernhof meiner väterlichen Oma lag nahe dem Dortmund-Ems-Kanal in der Pfarrei St. Mauritz. Überall dort hinzuradeln war mir zwar verboten, aber Klein-Uschi fragte nicht so viel danach.

Die Verwandten freuten sich, wenn ich mal zur Tür rein schaute … Telefon oder gar Handys zum Petzen bei meinem Papa gab es in den 1950er Jahren nur wenige oder gar nicht und telefonieren war noch teuer. Überall hinzufinden machte mich ein wenig stolz und immer nur in der die Innenstadt Münsters einschließenden Promenade herumzufahren, fand ich langweilig.

Die zu dieser Zeit entstandenen Verbindungen zur Familie meines Patenonkels, der in Kinderhaus wohnte, half mir Jahre später, meinen fünfjährigen Sohn über den Zeitraum der Geburt seiner Schwester wohlbehütet aber auch mit meinen Cousins, die bis auf den Jüngsten der Familie etwas älter waren als er, mich, seine Mama, nicht zu sehr zu vermissen. Er lernte dort Fahrrad fahren, immer um die Wette mit dem gleichaltrigen Klaus ...

Mit meiner Heirat stellte ich das Fahrradfahren für eine lange Zeit ein. Mein Mann fuhr lieber mit dem Pkw, die Ziele – seine Verwandtschaft lebte am Rande des Ruhrgebietes – waren zu weit entfernt, als dass wir sie innerhalb eines Tages mit dem Rad hin und zurück hätten schaffen können. Dann kamen die Kinder, mit ihnen im Alter nach der „Kinderwagenzeit“ Fahrrad zu fahren, unter Berücksichtigung der hügeligen Umgebung im Teutoburger Wald, fiel vor allem mir recht schwer.

Ich war im Alter von 12 Jahren beim Sportfest ohnmächtig auf die Aschenbahn gefallen und der Arzt war der Meinung, ich dürfe mich nie mehr körperlich anstrengen, mein kleiner „Motor“ verkrafte das nicht. Ich wurde im Sportverein abgemeldet und bekam eine Dauer-Entschuldigung für den schulischen Sportunterricht. Aber ich machte stets einfach mit, weil ich es zu langweilig fand, vom Rand der Turnhalle zuzuschauen. Mein Herzchen meldete sich zu dieser Zeit nie wieder. Heute weiß ich, dass mehrere Stress-Situationen in jenem Jahr zu der Ohnmacht geführt hatten, genauso führte Stress im Winter 2017/2018 zu heftigen, fast tagelangen Tachykardien. Mein Vater wunderte sich nie darüber, dass sich im Sport dennoch auf meinem Zeugnis eine Zensur fand … Und ich musste ja mit dem Fahrrad zur Schule fahren. Und eine flachere Strecke wie in und um Münster findet man kaum.

Meine Kinder lernten durchaus in der leicht bergigen Gegend des Teutos Fahrrad fahren, nur Touren machten wir als Familie nicht.

Ich war wieder berufstätig geworden, arbeitete in einer Rehaklinik als Sekretärin und hatte viele Kollegen/Innen. Einmal jährlich gab es einen Betriebsausflug. In 1996 war die Parole, mit dem Fahrrad zur Bifurkation bei Melle zu fahren. Oha, fast 30 Jahre war ich nicht mehr Fahrrad gefahren, hatte gar kein eigenes mehr. Mein Sohn hatte es zu einem Herrenrad für den Opa, der zu uns gezogen war, umgebaut. Und ich wollte mich nicht blamieren!!

Ich begann, abends mit dem Fahrrad meiner „Möchte-gern-Schwiegertochter“ zu trainieren! So eine ebene Umgebung wie einst in Münster hatte ich zuhause nicht. Mit „Butter in den Knien“ kam ich nach dem ersten Training wieder nach Hause, sackte beim Absteigen fast in den Boden! Doch nach vier Wochen war ich wieder fit, konnte – wie ich beim Betriebsausflug feststellen durfte – auch die Steigungen so nehmen wie die KollegInnen.

In der Trainingszeit zuvor war mein Göttergatte eifersüchtig geworden. „Jeden Abend fährt die mit dem Fahrrad weg und kommt erst nach einer guten Stunde wieder – steckt ein anderer Mann dahinter???“ Dieser Gedanke ließ ihn wohl nicht los. Er verfolgte mich heimlich mit dem Moped seines Vaters, konnte aber Niemanden entdecken. Statt mich mal anzusprechen, gab es weiter Verfolgungsfahrten. Als ich ihn dann endlich einmal aufklären konnte, fand er Fahrradfahren doof. Schließlich war er von Kindheit an ein Sportmuffel.

Aber ich hörte nach dem Betriebsausflug nicht mit den abendlichen Fahrradtouren auf. Es gefiel mir als sportliche Betätigung. Ich konnte ihm klar machen, dass der Körper in etwa 20 Minuten an der frischen Luft „strampeln“ ein Glücksgefühl durch die stärkere Sauerstoffaufnahme entwickelt und das wollte ich nicht mehr vermissen. Er kaufte sich ein Fahrrad und von nun an begleitete er mich. Zum Geburtstag bekam auch ich ein neues Fahrrad und wir begannen, erst im heimischen Umland herauszufinden, wo es relativ wenige Steigungen zu bewältigen gab. Dann gab es bald einen Fahrradträger, mit dem wir unsere Räder ins Münsterland – einmal über den Dörenberg – transportierten und dort verschiedene Wege von Füchtorf nach Warendorf erkundeten.

Wir haben einige Jahre diese Münsterland-Touren gemacht. Gelegentlich wurden es bis zu 60 km an einem Nachmittag! Irgendwann hab ich sogar für die Mitglieder unseres Schiffsmodellklubs mehrere Fahrradtouren organisiert.

Gleichzeitig, vielleicht auch schon vorher, begann allerdings meine Wirbelsäule heftig zu schrumpfen. Man merkt es selber gar nicht, aber so gelegentlich gelang es mir irgendwann nicht mehr, beim Absteigen stehen zu bleiben, d.h., auf einem Fuß stehend das andere Bein durch die Gabel meines Damenrades zur anderen Seite zu stellen. Ich rutschte das eine oder andere Mal auf den Boden. Verstehen konnte mein Mann das nicht (ich auch nicht!), schimpfte mich sogar dafür aus, dass ich nun auf dem Boden lag. Mir aufstehen zu helfen, kam ihm nicht in den Sinn, lieber floh er mit seinem Rad von der peinlichen Situation weg. Einmal hielt sogar ein Pkw an, der Mann stieg aus und half mir wieder auf die Beine. Ich hatte stehen bleiben und warten müssen, um die Straße wegen Autoverkehrs queren zu können. Aber einem meiner Beine gefiel das nicht. Mein Mann war da schon um zwei Straßenbiegungen weiter, so dass man ihn nicht mehr mit mir in Verbindung bringen konnte.

Es folgten nur noch wenige gemeinsame Radtouren, dann war es auch ihm nicht mehr möglich, auf dem Sattel zu sitzen. Ein heftiger aber völlig überflüssiger Streit Monate später ließ in mir den Wunsch nach Trennung wachsen. Er wollte Scheidung. 2011 floh ich aus dieser unguten Situation zu unserer Tochter, wo ich heute noch lebe.

Auch hier habe ich erst die Stadt und dann die Umgebung mit meinem Fahrrad erkundet, bevor ich mir auch hier einen kleinen Pkw zulegte. Auf dem Land sind halt die Entfernungen damit dann doch einfacher zu bewältigen. Aber regelmäßig machte ich noch kleine Fahrradtouren an der Aller oder der Weser, bis ich an einem herrlichen Frühlingstag Ende April 2017 vom heftig böigen Wind geschlaucht absteigen wollte. Und wieder gelang mir das Herüberziehen eines Fußes nicht – ich rutschte in meine Fahrradgabel und mit dem Rad ganz peu á peu in den zum Glück trockenen Graben! Es musste erst eine Autofahrerin meinen Kopf über dem Grabenrand entdecken, die dann anhielt und mir half, mich von meinem Rad zu befreien und den Graben zu verlassen.

Es war meine letzte Fahrradtour! Ich hatte mich weder verletzt, noch blaue Flecken bekommen. Aber diese „Rutschtour“ in den Graben war Anlass, mich einem Orthopäden vorzustellen. Ergebnis: Wirbelgleiten, Bandscheibenvorfall plus Wirbelkanalstenose an ein und der selben Stelle! Gleich drei Diagnosen, sofort zu operieren. Doch erst hatte ich noch die üblichen Therapien zu absolvieren – bis es mir nur noch möglich war, allenfalls 30 Meter zu laufen. Da hatte auch der Orthopäde ein Einsehen und schickte mich zum Neurochirurgen, der mich gleich zweimal in 2019 operieren musste. Auch der unterste Wirbel – S1 – war mit der Belastung der Versteifung der Lendenwirbel 2 – 5 nicht einverstanden. Es wurde auch noch eine Anomalität festgestellt: die Ischiasnerven hätten zwei Austrittslöcher aus der Wirbelsäule haben müssen, hatten aber nur eines. Der Chirurg musste also die Nerven trennen, um die Versteifung einschließlich S1 durchzuführen. Das nahmen die Nerven übel! Seither laufe ich gefühlt auf tauben Stelzen herum ...

Die Rückenschmerzen, die mich am Laufen hinderten, waren keineswegs Arthrose-bedingt - vielleicht ein wenig. Aber da halfen keine Hausmittelchen mehr, denn die Arthrose, die da mitspielte, ergab sich vermutlich erst, als die Bandscheibe bereits vorgefallen war und die Wirbel aufeinandertráfen ...

Und dann kam Corona – Reha-Maßnahmen erst einmal unmöglich. Meinem Körper vertraue ich nicht mehr so wirklich, als dass ich mich wieder auf mein Zweirad setzen möchte. Vielleicht wäre ein Erwachsenen-Dreirad sinnvoll?? Nun bin ich gespannt, ob die Onkologische Rehaklinik auch orthopädische Belange berücksichtigt?!
 

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