Die Schränke von Oma


Sie sind allmählich in ein gutes Alter gekommen. Ein befreundeter Schreiner hatte sie meinen Großeltern zur Hochzeit geschenkt. Da waren sie „Gold wert“, denn man hatte nicht viel und freute sich über zwei solide Küchenschränke. 1927 war das.

Den Zweiten Weltkrieg standen sie eingelagert irgendwo, weil meine Oma nicht in Brühl war. Als sie zurück kam und ihr Haus in Schutt und Asche lag, waren die Oma-Schränke so ungefähr das einzige, was ihr geblieben war. Mit ihnen bezog sie – ohne den Großvater, der war umgekommen im Krieg – eine Notwohnung, die ihr zugewiesen worden war.

Später, als ihre Tochter heiratete, zog sie in die Einliegerwohnung im Haus von Tochter und Schwiegersohn. Die Oma-Schränke zogen mit und machten sich gut in der hübschen Wohnküche. Jeden Samstag wurden die Metallknöpfe der kleinen Schubladen und die Beschläge der Schlösser poliert.

Die Oma wurde alt und älter und regelte, was nach ihrem Tod geschehen sollte. Nicht ganz ernst zu nehmen waren die Diskussionen um die zu erbenden beiden Schränke. Dennoch: Es gab viele Bewerber für die Oma-Schränke. Ihr Bruder wollte sie gerne haben und würde sie in seine Werkstatt stellen. Optimal mit den 15 kleinen Schubladen, denn damals gab es noch nicht den schwedischen Möbelhersteller, der auch gute Sortiersysteme verkauft.
Der Schwiegersohn hatte ein ähnliches Ansinnen, wollte die Schränke im Keller sehen, wo auch er Unmengen an Schrauben, Nägeln und sonstigem Kleinkram unterzubringen hatte.

Die Enkelin, gerade 18 geworden, hatte ab einem bestimmten Alter im Haushalt mithelfen müssen. Dazu gehörte auch die allwöchentliche oben beschriebene Politur der Metallteile sowie das Staubwischen der „ollen Schränke“. Dennoch war auch sie es, die ihren Mund auftat, als es um die Vergabe der Oma-Schränke ging. Niemals, sagte sie, dürften diese wunderbaren Schränke in einem Keller oder einer Werkstatt verrotten. Sie hätte sie gerne als Ausstattung für ihre erste eigene Wohnung.

So geschah es dann auch. Bevor die Oma-Schränke in meine erste eigene Wohnung zogen, wurden sie von einem Restaurator fachmännisch und für gutes Geld bearbeitet. Die in damaligen Zeiten großzügig aufgetragene Lackschicht offenbarte nach ihrer Entfernung ein wunderbares Kirschholz mit einer schönen Maserung, die die Intarsienarbeiten am Unterteil der Buffetschränke erst richtig zur Geltung brachten.

Die Oma-Schränke mussten bislang sieben Umzüge mitmachen, aber trennen konnte ich mich nie von den robusten Teilen. Irgendwann hatte der Hund Bruno neben einem der Schränke sein Körbchen stehen. Die Langeweile muss ihn geplagt haben oder die Überzeugung, dass die Schränke jetzt doch alt genug zum Entsorgen seien: Eine Leiste am Seitenteil des Schrankes fiel seinen kleinen spitzen Zähnen zum Opfer. Es ragten nur noch spitze Zacken hervor, wo sonst angenehm glattes Holz war.

Frauchen hat geschimpft und gezetert. Das Körbchen wurde aus der Reichweite des Schrankes entfernt. Es war zum Heulen! Dennoch tauchte die Überlegung auf: Wäre es vielleicht wirklich mal Zeit für etwas Neues, Modernes? Diese alten Schränke einfach bei Ebay einstellen und schauen, was wird?

Heute ist die Entscheidung dagegen gefallen. Ein Schreiner hat Maß genommen für eine neue Leiste und mir mit vielen Worten klar gemacht: „Esu jet jodes wie esu ne Schrank, dat jiddet hück nit mih!“

Die Schränke sind inzwischen ein achtes Mal umgezogen. Der neue Hund mag keine Holzleisten.


 


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Kommentare (6)

Seija

Mein Sohn hat auch den Küchenschrank seiner Oma im Wohnzimmer stehen.
Aufgearbeiet hat er ihn selber. Er kann sich nicht von ihm trennen....
Die Oma - wenn sie es von "oben" mitbekommt - wird sich freuen.
Schöne Geschichte hat mir gefallen!
LG Seija
 

Tannenmuetterchen

@Seija  
Dankeschön, das freut mich.

Muscari

Liebes Tannenmütterchen.

Mit dieser netten Geschichte hast Du ein herrliches Loblied auf Omas Schrank gesungen - geschrieben. Es ist schon erstaunlich, welch lange und lebendige Geschichte dahinter verborgen liegt. Ich danke Dir.
Zu einem solchen Küchenschrank gibt es noch eine besondere Geschichte, an die Du mich erinnerst und die ich hier noch einmal einsetzen werde.
Auch in meinem Haushalt befinden sich noch ein paar kleine Möbelchen aus der alten Zeit.
Z.B. dieser Stuhl, der einst ein Polster hatte, das aber schon in alten Zeiten durch Holz ersetzt wurde. Vielleicht lasse ich ihn einmal neu aufpolstern.
Es grüßt Dich herzlich Andrea

IMG_1053x.jpg

Rosi65

Liebes Tannenmütterchen,

dieser Schrank ist ein echtes Liebhaberstück, und viel zu schade zum entsorgen.
Ich habe noch einen alten Wäscheschrank (von meiner Patentante) im Wohnzimmer stehen. Die beiden Glasscheiben in den Türen wurden ersetzt. Eine Tiffany-Künstlerin hat mir mal die neuen Scheiben mit violetten Blüten versehen und auch eingesetzt. Jetzt wird er als Bücherschrank genutzt.

Herzliche Grüße
   Rosi65

Tannenmuetterchen

@Rosi65  
Auf dem Foto ist der schönere Schrank zu sehen. Es gibt noch einen zweiten gleicher Art, auch in meinem Wohnzimmer. Ich habe sie nicht nebeneinander, sondern einzeln stehen. Jeder wirkt auf seine Art.
Und sie haben Platz, soviel Platz! Zu viel Platz ;-)
Danke für deinen netten Kommentar.
Stuhl aufpolstern.... das will gut überlegt sein.
So wie das Foto zeigt, hat er eine enorme Wirkung!

ehemaliges Mitglied

Liebes Tannenmütterchen,
wir haben auch ein paar "alte Schätze" in unserem Haus. Im letzten Jahr mußte aber ein altes Buffet weichen. Es passt einfach nicht mehr zum jetzigen Einrichtungsstil. Wir hatten es auch bei Ebay eingestellt und noch einen ganz passablen Betrag erhalten. Aber grundsätzlich bin ich auch dafür solche alten Möbel aufzubewahren. Und es ist richtig, diese Massivholzmöbel gibt es heute nicht mehr oft.
Einen schönen Nachmittag wünscht
Jutta


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