Das Leben ist ein unergründliches Kaleidoskop


Das Leben ist ein unergründliches Kaleidoskop
 
Wenn ich so manchmal die Fragmente meines Lebens reflektiere, werden einige Erinnerungen wach, die niemanden interessieren als nur mich allein. Die meisten meiner Altersgenossen haben sich schon ins Jenseits verabschiedet. Es ist wirklich so: Je älter man wird, desto begrenzter wird der Kreis derjenigen, die meine Erfahrungen teilen können!
        Ich überlege. Mein Leben: Ein erfülltes Leben? Oder ein umsonst gelebtes Leben? Meine Sicht kann ja nur relativ sein. Niemand kann sich selbst bewerten, niemand sein eigenes Leben zur Abstimmung stellen, weil alle Unwägbarkeiten nicht zur Sprache kommen können.
        Ich gehöre zu der Generation von Kindern, die herausgerissen wurden aus einer behüteten Kindheit in die Wirren der letzten Kriegstage, die eine Flucht aus den damaligen deutschen Ostgebieten mit all den grausamen und schrecklichen Erlebnissen über sich ergehen lassen mussten. Im Hinterkopf stets den Gedanken an die damalige Sieger-Mentalität der Roten Armee - und ihrer Nachfolger.
        Bedenke ich dann die Ankunft im Westen des »Deutschen Reiches«, kann ich nur noch den Kopf schütteln. All die Erlebnisse aus dem Jahre 1945 trugen nicht unbedingt dazu bei, dass man sich beschützt fühlen konnte, dass man sich nun aufgehoben wusste bei den eigenen Landsleuten. Im Gegenteil!
        Wir waren unerwünscht, wir Menschen aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien. Wir hatten die ganze Gräuel des Krieges erlebt; uns hätte man bei Kriegsende am liebsten zum Teufel gewünscht!
        Schuldlos schuldig gewordene Kinder, die selbst noch nicht wussten, worum es eigentlich ging, die jedoch plötzlich feststellen mussten, dass alles, was sie bisher gelernt hatten, womit sie indoktriniert waren, grundsätzlich falsch war. Kinder, die ihren Vater, ihre Mutter im blühendsten Alter dann verloren, als sie sie dringend nötig hatten.
        Entwurzelt aus dem heimatlichen Boden, weggeworfen als Unkraut auf den Komposthaufen der Geschichte zusammen mit Millionen Anderen, die auch ihre Jugend, ihre Kindheit dabei verloren und den Zusammenhalt einer Familie niemals kennenlernten.
        Diese Entwurzelung hat mich persönlich mein ganzes Leben begleitet, hat mich stets voller Unrast durch die Welt ziehen lassen, immer auf der Suche nach einem Halt, nach Liebe und Vertrauen, nach einem Boden, in dem ein Wachsen möglich sein könnte.
        Mein Leben habe ich ausgefüllt mit Erfolgen und ebenso mit schlechten Ergebnissen. Deshalb kenne ich das Auf und Ab des Lebens zur Genüge. Meine eigenen Kinder sind erwachsen und sehen ihren Vater sicher ganz anders als der Vater selbst. Ist auch ihr gutes Recht. Und manch negatives Verhalten war sicher auch in der eigenen Kindheit begründet!
  Dennoch - trotz allem war ich immer für meine Kinder da, als sie mich brauchten und darauf bin ich auch stolz.
        Bin ich heute, nach 88 Jahren, ein anderer Mensch als seinerzeit bei Kriegsende 1945? Mit Sicherheit. Alles ist veränderbar, die Low’s und High’s im Ablauf meiner Zeit haben mich geprägt. Ich denke anders, ich fühle anders, ich empfinde anders. Viel intensiver, einprägsamer. Ich habe festgestellt, dass ich mich mit viel mehr Einfühlsamkeit in den anderen Menschen hineinversetzen kann.
     Ich kann mitfühlen, mitleiden, habe Verständnis für jede Art von Problemen, die Menschen mit sich herumschleppen!
Habe  ich das als junger Mensch auch schon gekonnt? Ich weiss es nicht. Die Zeit war eine andere. Ob sie besser war, wird die Geschichte zu beurteilen haben. Für uns Menschen war es stets früher besser. Seltsam. Ich habe alles mitgenommen, was ich bekommen konnte. Es war sicher nicht allzu viel, das lag auch daran, dass mir die Rücksichtslosigkeit fehlte, die Erfolgsmenschen produziert! Aber ich habe auch immer die Hand zum Schenken und Teilen ausgestreckt.
        Oft voller Vorurteile und Ressentiments, musste ich später dann feststellen, dass diese Vorverurteilungen stets irgendwann auf mich selbst zurückfielen. Heute bin ich sehr viel toleranter, und doch ist mein Abscheu gegen Ungerechtigkeit immer noch der gleiche wie vor einem halben Jahrhundert.
        Ich habe immer wieder Fehler gemacht, immer und immer wieder. Bis heute auch noch. Aber niemals die gleichen Fehler ein zweites Mal!

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.
-- Aristoteles, (384-322 v.Chr.) --
©by H.C.G.Lux

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Kommentare (5)

johanna

Fehler macht man immer wieder - als Kriegskind kenne ich das Suchen - nach Vertrauen, Liebe einem Halt und auch diese Unrast die einen das Leben lang begleitet. Immer wieder.
Wie gerne wäre ich auch in jungen Jahren von DE in die Welt hinausgezogen aber damals als Mädchen? Undenkbar, zumal man zur Rücksichtnahme gegen das "schwere Los der Mutter" erzogen wurde.
Mein Leben sehe ich als erfüllt an - Auf und ab war immer da. Freude und Leid - gute und schlechte Zeiten.
Meinen Kindern versuchte ich immer eine Freundin zu sein ohne sie einzuengen - ihnen aber Grenzen aufzuzeigen, die das Miteinander leben besser/leichter machen.

JuergenS

Interessante Parallelen, Fehler hab ich aber sogar auch wiederholt, weil ichs nicht glauben konnte, dass es manchmal einen Art Standard gibt.
die linke Backe tat dann erneut weh, aber auch ich war manchmal stur, des Reflexverhalten hat die  "Gegenseite" irritiert.

Servus, halt dich gut.

ehemaliges Mitglied

Ich wurde als ältestes/erstes Vertriebenen-Kind meiner Familie wieder in Deutschland geboren und merkte von sehr jung auf, dass wir irgendwie anders sein mussten (vom Verhalten der Leute) und kann hier gut nachfühlen. Vielleicht war dies mit der Grund, dass ich mit 18 zum erstenmal mich auf den Weg in die Welt machte und DE den Rücken kehrte.

Roxanna

Es bewegt mich, lieber Horst, was du hier aufgeschrieben hast. Kenne ich das doch aus meiner Familie auch, dieses aus der Heimat vertrieben und entwurzelt worden zu sein. Vertreibung aus Oberschlesien, ankommen im Westen, im Fall meiner Familie nach vielen Wegen in einem Dorf auf der Schwäbischen Alb, einquartiert in einem Bauernhof, den Dialekt nicht verstanden, in notdürftig hergerichten Kammern untem Dach, wo auch Mäuse und Ratten schon mal durchhuschten und von der Bäuerin beschimpft als "Hure-Flüchtlingspack" oder Polacken. Dieser Zustand dauerte 10 Jahre. Ich bin dort hineingeboren worden als Nachzüglerkind. Diese Ereignisse haben Menschen so geprägt, das wird man nicht wirklich wieder los.

Ich glaube nicht, Horst, dass man als junger Mensch so ein Einfühlungsvermögen haben kann wie später mit vielen Lebenserfahrungen, mit all dem, was man erlebt und gesehen hat. Weiter denke ich aber auch, dass man immer zu jedem Zeitpunkt so gehandelt hat, wie es einem möglich war. Dabei hat man sicher auch Fehler gemacht, aber ohne diese Fehler wäre man möglicherweise nicht dieser Mensch geworden, der man nun ist. Vielleicht würde man heute manches anders machen, aber zum damaligen Zeitpunkt hatte man nicht das Wissen, das man jetzt hat. Und nicht immer kann man den Einfluß auf seinen Lebensweg nehmen, wie man es sich wünschen würde. Es gehört viel Tapferkeit dazu, auch das anzunehmen.

Herzlichen Gruß
Brigitte


 

ehemaliges Mitglied

Die Beurteilung des eigenen Lebens kann nicht gut selbst gelingen, denn man wird es immer wieder aus gleicher Sicht beurteilen - jedenfals fast aus gleicher Sicht, lieber Horst!

Es gehören ein paar geistige Hopser dazu, denn zu manchem Geschehen erfuhr man irgendwann in den vielen Jahrzehnten eine Wende. Was in den Nachkriegsjahren richtig zu sein schien, war es Jahre später eben nicht mehr. Und heute ist wieder vieles noch anders.

Gerade heute gab es das Gespräch zwischen meiner Tochter (50) und mir, dass man als Mutter stets versucht, alles für seine Kinder gut und richtig zu machen. Es gibt - im Nachhinein betrachtet - vieles, was man einmal für richtig hielt. Doch später stellte sich heraus, ein anderer Weg wäre doch vielleicht der bessere gewesen.

Und es macht glücklich, wenn man feststellen darf, dass der eine oder andere Weg doch richtig gewählt wurde ... denkt

Uschi


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