Introvertiert

4. Oktober 2025

Guten Tag allerseits,

gehört Ihr auch zu den „Stillen im Lande“? Dann gehört Ihr nicht zu den Schlechtesten😉:

„Unsere Kultur ist voreingenommen gegenüber stillen und zurückhaltenden Menschen, aber Introvertierte sind für einige der größten Errungenschaften der Menschheit verantwortlich.“ [1]

Heute widmet sich mein Text den Introvertierten, den „Stillen im Lande“. Auf die Extrovertierten, die ebenfalls ein ehrenwerter und honoriger Menschentyp sind, kommen wir ein anderes Mal zu sprechen.

„Man muss nicht schreien, um gehört zu werden.“ (Astrid Lindgren)

Wenn jemand schüchtern oder scheu ist, heißt das nicht, dass er oder sie keine Courage hat. Wenn es darauf ankommt, trennt sich die Spreu vom Weizen: Es gibt jene, die sich zurückziehen – und andere, die mutig voranschreiten. Das hat wenig damit zu tun, ob jemand introvertiert oder extrovertiert ist.
 

Der fröhliche Drückeberger

Extrovertierte sind gesellige Naturen: in hundert Vereinen aktiv, auf jeder Hochzeit tanzend, scheinbar ohne jemals erschöpft zu sein.

[Kurze Anmerkung: Extrovertierten fällt es leicht, mit Menschen in Kontakt zu treten, doch entscheidend ist nicht die Anzahl der Beziehungen, sondern deren Qualität. Ein „Freund“ auf Facebook oder LinkedIn ist kein echter Freund.]

Für die Spezies der Introvertierten, zu der ich mich zähle, ist die Gesellschaft anderer oftmals nichts anderes als eine lästige Pflicht. Geselligkeit entzieht uns Energie. Stille und Rückzug in die eigene Höhle ist unsere bevorzugte Lebensform. „Ungesellig“ ist der passende Ausdruck für uns – wir sind ungesellig.

öä.SVG
Ist man ungesellig, kann man sich ein paar Gefallen tun:

Allein sein oder aber in Gesellschaft einiger weniger, ausgesuchter, handverlesener Menschen.

Ansammlungen meiden. Irgendwelche Feste oder Feierlichkeiten aller Art. Keine Betriebsfeiern, keine gemeinsamen Urlaube, keine Klassentreffen usw. Das macht unser Leben schön!

Sich ausklinken. Das erfordert manchmal eine gute Ausrede.

In unserem Bekanntenkreis funktionieren nur zwei Ausreden (einigermaßen): „Kurt ist krank“ oder „Kurt muss arbeiten.“ (Wahrscheinlich würde auch noch „Kurt ist tot“ durchgehen, aber man will ja den Teufel nicht an die Wand malen 😉)

Man freut sich diebisch über geschwänzte Klassentreffen, geplatzte Einladungen oder eine Sturmwarnung, die den Besuch bei Tante Gretchen verhindert … Alles Hauptgewinne!

Einmal habe ich bis spät in die Nacht im Labor gearbeitet und dabei nichts als Schaden angerichtet: Kaffee über die Unterlagen geschüttet, drei teure Bauteile zerschossen, mit dem Lötkolben ein Loch in die Hose und eines in den Daumen gebrannt … Auf dem Heimweg, gegen drei Uhr morgens, überkam mich plötzlich ein unglaubliches Gefühl tiefster Zufriedenheit. Zuerst dachte ich: „Das sind Endorphine oder irgendein ähnliches Zeug, kommt durch Überarbeitung, Vorsicht!“ Doch dann wurde mir klar: Der Nachteinsatz, vom Ergebnis her eine Katastrophe, hatte mir die Möglichkeit verschafft, mich mit Anstand vor einem „Podiumsgespräch“ zu drücken, welches an diesem Abend stattfand und zu dem ich eingeladen war.

Könnt Ihr diese Freude nachempfinden? Wenn nicht, seid Ihr vielleicht Extrovertierte. Auch recht, über Euch reden wir, wenn Ihr mögt, demnächst.

Herzliche Grüße
Kurt20



[1] Cain, Susan; Mone, Gregory; Moroz, Erica: Leise Kraft: Die geheimen Stärken von Introvertierten. München: Penguin, 2016.

 

Kommentare (10)

Songeur

So ganz kann ich mich deiner Deutung von introvertiert nicht anschliessen.

An Klassentreffen nicht teilzunehmen ist bei mir eine Selbstverständlichkeit, die Absage sorgt deshalb nicht für diebische Freude. Ich verschwende dann keine weiteren Gedanken und/oder Gefühle mehr zu diesem Fakt.

 

Kurt20

@Songeur  

15. Oktober 2025

Hallo Songeur,

danke für Deinen interessanten Kommentar.

"Diebische Freude" – (vielleicht ein etwas  misslungener Ausdruck, spiegelt aber meine diesbezügliche Gefühlslage wider, rein subjektiv!) – empfinde ich immer dann, wenn es mir gelingt, ein Stückchen meiner wertvollsten Ressource vor dem Zugriff anderer zu retten.

Diese wertvollste Ressource ist meine Lebenszeit, die ohnehin schon viel zu knapp bemessen ist (ein Skandal!😉).

Ich bin kein geiziger Typ, aber wenn es um meine Lebenszeit geht, bin ich ein Geizkragen.

Die anderen haben ihr eigenes Kontingent an Lebenszeit.

Meine gebe ich nur mit Bedacht aus, für Menschen und Momente, die es mir wert sind.

Ich wünsche Dir einen schönen Tag,

herzliche Grüße
Kurt

Songeur

@Kurt20  

D'accord mit der Lebenszeit, Kurt.

Die mit Personen zu verbringen, an deren Auswahl ich in keiner Weise beteiligt war fällt mir ja im Traum nicht ein. 

Ich wünsche Dir ebenfalls einen schönen Tag.

Hubert

 

Kurt20

@Songeur  

Hallo Hubert,

da sind wir auf gleicher Wellenlänge :-).

Herzlichst,
Kurt

Globetrotter

Hallo Kurt,
ich glaube ich bin hier anderer Meinung. Ich selbst schätze mich als extrovertiert ein, aber auch ich brauche meine Rückzugsmöglichkeit. 
Vielleicht hängt das aber auch von der jeweiligen Wohnsituation ab. Z.B. wohne ich, wenn ich Deutschland, in einem Dorf direkt am Wald. Da kann ich soviel Ruhe haben wie ich möchte und brauche. 
Ich brauche aber auch Menschen um mich herum. Gehe gerne auf Parties - wo ich mich notfalls schnell verdrücken kann, wenn es mir zuviel wird. Ich habe in meinem Leben an sehr vielen Empfängen und sit-down-dinner teilnehmen müssen, aber das ist zum Glück vorbei.
Ich gehe auch heute noch auf Klassentreffen, oder Parties. Auch wenn ich mal so gar keine Lust habe, einfach weil ich der organisierenden Person meinen Respekt zolle. Treffen sind immer mit Arbeit verbunden, und die wertschätze ich.
Schlimmer wäre es für mich, wenn mich niemand mehr einladen würde. Oder stelle dir vor, die von dir ausgesuchten, handverlesenen Menschen würden nach eine Ausrede suchen um sich nicht mehr mit dir treffen zu müssen, wie würdest du dich dann fühlen?

LG Gisela🙋‍♀️

Kurt20

@Globetrotter  

14. Oktober 2025

Liebe Gisela,

vielen Dank für Deinen Kommentar.

Das Abwägen, ob wir auf Partys, Empfänge oder Klassentreffen gehen, kann uns niemand abnehmen. Ich wollte nur erzählen, dass ich mich davor gern drücke – und mich freue wie ein Schneekönig, wenn mir das gelingt, ohne zu viel Porzellan zu zerschlagen. Ich betrachte das als eine Art Sport.

Allerdings widerspreche ich Dir in einem Punkt – freundlich, aber bestimmt. Du schreibst:

„Oder stelle dir vor, die von dir ausgesuchten, handverlesenen Menschen würden nach einer Ausrede suchen, um sich nicht mehr mit dir treffen zu müssen. Wie würdest du dich dann fühlen?“

Meine Antwort ist zweiteilig:

(1) Zunächst miserabel, und

(2) anschließend erleichtert – wegen des Erkenntnisgewinns.

Ich würde erkennen, dass solche Menschen nicht in meine Liste der Handverlesenen gehören, und sie daraus streichen. (Es gibt etwa acht Milliarden Menschen auf der Welt …)

Liebe Grüße
Kurt

Rosi65

Es lebe die originellste Ausrede!

Hallo Fred,

mitten im Trubel einer größeren Geburtstagsfete klingelte das Telefon. Die ruhige Heike, die bekanntlich keine großen Geselligkeiten mochte, rief an, um ganz schnell abzusagen.
Gerade hatte ihr Auto unterwegs nämlich einen „Plattfuß“ bekommen. Nun müsse sie auf den ADAC warten, der sie dann abschleppen wollte.😅

Noch nie habe ich solch eine lustige Ausrede gehört, schließlich hat man ja für solche Fälle einen Reservereifen im Auto. Im Notfall würde der ADAC dann sicher auch beim Reifentausch behilflich sein, aber das Auto sicher nicht abschleppen.
Die Gastgeberin hatte es wohl zum Glück geglaubt.

Rosi65

Rosi65

@Kurt 

Leider jetzt erst gesehen:
Entschuldige bitte, dass ich Deinen Namen falsch geschrieben habe.
😏

Rosi65

Kurt20

@Rosi65  

Macht nichts. Fred ist doch auch ganz schön😉.

LG Kurt

Kurt20

@Rosi65

14. Oktober 2025

Hallo Rosi,

eine gute Ausrede zu finden ist geistige Arbeit. Wenn man einfach sagt: „Nein, ich mag nicht“, kränkt man damit den Einladenden.

Ein Dilemma: man will einerseits nicht unhöflich sein, andererseits aber auch über seine eigene Zeit verfügen.

Jeder weiß, „dass dann eine Ausrede das beste Nein ist, »Oh, wie schade, aber da kann ich leider nicht, meine Oma wird hundert ...« Wer dazu nicht schlagfertig genug ist, erbittet sich besser Bedenkzeit und tut dann so, als hätte der Kalender zu Hause leider einen anderen Termin vorgesehen, sorry. Das heißt: Das Nein geht oft mit einer Lüge einher, zum Selbstschutz und zum Schutz des Fragenden, der nicht gekränkt werden soll“ schreibt Elke Heidenreich."

Womit wir wieder beim Thema Lügen wären. Ich bin in diesem Fall dafür, zu lügen. Zum Nutzen beider Parteien. Beide könne ihr Gesicht wahren und keiner wird beleidigt.

Die Lüge mit dem Autoreifen war, gelinde ausgedrückt, etwas schwach😉. Da muss die Heike noch üben.

Einen schönen Abend und herzliche Grüße
Kurt 

Anzeige