Briefeschreiben
Guten Morgen allerseits,
 
Briefeschreiben ist eine altehrwürdige Gepflogenheit, früher fast die einzige Möglichkeit, miteinander in Kontakt zu bleiben. Anno dazumal galten strenge Maßstäbe. Ein Briefsteller von 1840 gibt folgende Ratschläge [1]:

„Indem man schreibt, muss man sich vorstellen, man spreche persönlich zu dem Leser des Briefes. [...] – Ein Brief voll Scherzes und munterer Laune gefällt nur dem unbefangenen, aufgeweckten Menschen. – An Personen, die mit Geschäften überhäuft sind, schreibe man kurz und bündig. – An Ernsthafte und Bejahrte mit Würde und ohne zu große Weitläufigkeit. [...] Höhere Bekannte behandle man mit Ehrerbietung, jedoch ohne sich selbst zu erniedrigen; auch überhäufe man den Brief nicht mit Complimenten. Deren Weglassung würde aber bei stolzen und eiteln Personen nicht gut seyn; denn an diese schreibe man lieber mit etwas übertriebenen Höflichkeitsbezeigungen. Sie sehen es gern, wenn man sie über Gebühr erhebt; sie lesen gern ihr Lob, zu welchem Ende man immer in sein Schreiben etwas Weihrauch einstreuen muss. – An diejenigen, welche nicht mehr von sich halten, als ihnen gebührt, muss man dagegen in dieser Beziehung sehr behutsam seyn, sie würden desjenigen als eines unverschämten Narren spotten, der durch Schmeicheleien zu erkennen giebt, dass er sie für Thoren halte.“

Was man sich damals noch für Mühe gegeben hat! Wenn man heute dagegen manche Mail liest, voller Fehler und oft lieblos hingeworfen, dann wird einem mal wieder klar: früher war nicht alles schlecht.

Herzliche Grüße und eine gute Woche,
Kurt 20
 
[1] Rammler, Otto Friedrich (1840): Universal-Briefsteller oder Musterbuch zur Abfassung aller im Geschäfts- und gemeinen Leben, sowie in freundschaftlichen Verhältnissen vorkommenden Aufsätze. 8., ganz umgearb. u. stark verm. Aufl. Leipzig: Verlag von Otto Wigand.

Kommentare (10)

Ulrike Nikolai

Hallo Kurt,

tolle Ratschläge!
Abgesehen davon, dass junge Menschen heute kaum noch Briefe schreiben, ich selbst auch nur noch selten, könnte ich mir vorstellen, dass manch einer diese Rathschläge nicht mehr vollumfänglich verstehen würde.
Die Thoren jedenfalls ... 😉

Ich habe aus dem Nachlass meiner Eltern vor fünf Jahren noch Unmengen an alten Briefen hervorgezaubert. Stundenlange spannende Lektüre!

Manch eine Kurzgeschichte entstand daraus. 

Ein Beispiel für Euch hier als Lesegeschenk:


Goldene Bekenntnisse
 

Er hatte sich eine Füllfeder gekauft. Kostbar war sie. Die Feder war aus vielversprechendem Gold – denn dieses Versprechen hatte er sich selbst gegeben: Mit dieser Füllfeder würde sich sein Schreiben verändern.

Gold – das war für ihn der Inbegriff des Beständigen, des Überdauernden, des Kostbaren.

Er wollte seine geliebte Marie mit seinen Worten verzaubern. Besonders jetzt. Im Krieg. Sie sollte seine Briefe immer wieder lesen wollen. Briefe, in die er goldene und noch nie von ihr gehörte Liebesbekenntnisse einbetten wollte.

Jeden Morgen, wenn er aufwachte, sah er neue Seelenschwüre wie eine Laufschrift vor seinem inneren Auge vorbeiziehen. Und jedes Mal schlief er wieder ein und verlor seinen kostbaren Schatz, der in seinem Herzen klopfte. Er wusste: Diese Füllfeder würde in jenen schläfrigen Momenten einen sanften Funken in ihm entfachen, der ihn aus der Umarmung des Schlafs reißen und an den Tisch führen würde, um seine Gedanken in Worte zu gießen. Es würden glühende Worte wie heiße Lava aus ihr fließen. Sie würden das feine Papier, auf dem er schrieb, mit liebestrunkenen Sätzen füllen. Er wollte nicht mehr im Sande versickern lassen, was ihm in der frühen Dämmerungsstunde geschenkt wurde.

Das Gold … ja das Gold seiner Herzenssprache sollte diese Feder von Lüttich nach Berlin geleiten. Seine müde Laufschrift sollte das Laufen lernen …

Und so schrieb er seinen ersten Brief:

Lüttich, den 20.8.1914

Marie!

Wie soll ich die Anrede anders wählen? Du kennst mich ja doch schon so gut, dass Du weißt, wie ich es meine. Unsere Freundschaft reut mich immer noch nicht. Helfe uns der liebe Gott.

Ich sage das Du schon immer in Gedanken. Wir haben uns doch nie geduzt, aber mir kommt das unwillkürlich so. Es wird nichts Verletzendes für Sie dabei sein, weil Sie wissen, dass es von Herzen kommt. Wenn Sie unsaubere Reden oder Taten an mir gefunden hätten, wäre das ja anders. Wie mir manchmal das Herz weh tut über liederliche und unsaubere Redensarten von Kameraden. Wie glücklich bin ich dann, dass ich an Sie denken darf. Ich habe immer noch kein Lebenszeichen von Ihnen, aber ich weiß, dass Sie an mich denken. Und glauben Sie, dass ich an Sie denke? Sicherlich! Wenn ich mich abends zur Ruhe lege, bin ich immer dankbar, mich Ihrer erinnern zu dürfen. Ich schlafe dann so ruhig, als ob mir niemand etwas tun könnte.

Liebe Marie, Du hast trotz unserer Aussprache damals im Grunewald doch den Gedanken an unsere Zusammengehörigkeit nicht aufgegeben, ein Zeichen, dass Du mich doch nicht lassen kannst. Das sehe ich ja aus dem letzten Teile Deines ersten Briefes. Wie hat mir das Herz freudig gebebt, wie ich das las, was Du mir nicht sagen konntest. Und dann: „Soll es nicht sein, so bedaure ich es nicht; dann hat es Gott nicht gewollt“ …

© Ulrike Nikolai 2025-05-02

Erläuterung: 
Bei dem Brieftext handelt es sich um Ausschnitte aus Originalbriefen von meinem Großvater an meine Großmutter, aus der Zeit, als sie beide Anfang 20 und noch unverheiratet waren. Mein Großvater war als Telegrafist und als Betreuer der zwei Pferde eines Berliner Majors im ersten Weltkrieg in Belgien (Lièges / Lüttich) im Einsatz. Seine für mich außerordentlich kostbaren Briefe entdeckte ich im Nachlass meiner Eltern. Meine Großmutter habe ich nie kennengelernt. Sie starb kurz vor meiner Geburt an Seelenkummer, denn der zweite Weltkrieg hatte ihr ihren blutjungen Sohn, meinen Onkel, genommen.


Undenkbar wohl, heute einen solch berührenden Liebesbrief zu erhalten. 

Herzliche Grüße,
Ulrike

Kurt20

@Ulrike Nikolai  

08. Oktober 2025

Hallo Ulrike,

hoch interessant und berührend, Deine Kurzgeschichte und ihr Hintergrund.

So wie Dein Großvater würden man heute nicht mehr schreiben. In den letzten 100 Jahren hat sich unsere Sprache in vielen Bereichen grundlegend verändert, nicht immer zum Besten (genderst Du? 😉)

Und Liebesbriefe schreibt man auch nicht mehr, soweit ich informiert bin.

Damals war der Liebesbrief ein wirkungsvolles Mittel in der „romantischen Annäherung“.

„Beweis“: Marie ist Deine Großmutter geworden und nicht irgendeine andere junge Dame aus den Jahrgängen um 1900😉.

Heute „findet man sich“ eher auf Dating Plattformen, mich gruselt.

Herzliche Grüße
Kurt

Winterbraut

Lieber Kurt,
danke für die Ratschläge...
...Leider schreibt man heute keine Briefe mehr.

Kürzlich erst habe ich mein Schatzkästchen aussortiert und einen Stapel Briefwechsel gelesen, der mich sehr erheitert hat. 
Auch alte Nachkriegs- Korrespondenz meines Vaters, die ich aufgehoben habe, waren dabei.

Ein früherer Verehrer hat mir unlängst auch einen Stoß alter Briefe (kopiert )gebracht, als wir uns nach ca. 60 Jahren wiedergesehen hatten. 

Deinen Beitrag habe ich schmunzelnd gelesen.

Liebe Grüße
Ingrid

Kurt20

@Winterbraut  

09. Oktober 2025

Liebe Ingrid,

ja, wirklich eine andere Ära. Private Läden verschwinden aus der Innenstadt, Gespräche werden durch das Starren auf Displays ersetzt und Briefe durch WhatsApps …

Was wäre, wenn das Internet verschwände? Wir wären hilflos – keiner kann das wünschen.

Aber würde dann die Kunst des Briefeschreibens wieder aufblühen? Oder neue Tante-Emma-Läden an den Straßenecken eröffnen?

Vieles erlebt derzeit eine Renaissance: der Italo-Schlager, die Musikkassette, alte Mopeds …

Nostalgie pur. Gefährlich für mich, weil ich zur Melancholie neige, die ich nur in geringen Dosen vertrage.

Deshalb würde ich auch alte Briefe, so ich welche fände, nur ganz vorsichtig wieder lesen (vielleicht jede Woche einen oder so).

Bei der Menge, die du zur Verfügung hast, könnte das Jahrzehnte dauern.

Vielleicht verständigen sich dann die Menschen über im Kopf eingepflanzte Chips und sehnen sich nach dem Zeitalter des Internets. Gut, dass wir nicht alles wissen.

Liebe Grüße
Kurt

Schmetterling04

@kurt20
ich brauche nicht in fremden Briefen stöbern, hab ich doch Meine aufgehoben. Die ich an meinen Schreibfreund aus Finnland, mit dem ich über 10 Jahre, geschrieben habe auf meinem speziellen grünen Briefpapier mit leicht hinterlegter Linienführung, dezent aber wirksam. 
Was habe ich mich bemüht abwechslungsreich unseren Alltag zu beschreiben. Interessante
Berichte mit mit Bildern zu untermauern kein leichtes Unterfangen. Da ich in Deutsch gute Noten vorzuweisen hatte und gerne Aufsätze schrieb, für mich ein Klacks.

Danach kam die Zeit meiner Luftpostbriefe, leider hab ich davon nur noch 2 Briefe gefunden, meine Cousine ist nach Amerika ausgewandert mit ihrem damaligen Boyfriend, hat ihn dort geheiratet. Sie hatte so Heimweh und meine Briefe waren für sie ein Teil Heimat. 

Heute habe ich noch Schreibpapier mit einem Regenbogen in der linken oberen Ecke, ob ich das jemals  noch brauchen werde???

Denkt dran einen Brief zu schreiben ist eine Auszeichnung für Jede/Jeden. 

Mein Papa hatte Briefmarken in Ordner und Alben gesammelt, Kistenweise, wehe ich hätte dort nur 1 Briefmarke entwendet ich hätte mich hinter den Zug schmeissen müssen. 

Habt Ihr noch „Schönschrift“ üben müssen, ich JA und habe es zelebriert für meine „Freunde“ war stolz wie „Oskar“ wenn ich es geschafft hatte, dafür habe ich sogar Stunden in der Nacht geopfert. Siehst Kurt das kommt raus wenn Du mich ermunterst Dir zu antworten, herzlichst die Schreibmaus „Moni“ der 🦋

Kurt20

@Schmetterling04  

Liebe Moni, 

ich war leider nie ein großer Briefschreiber, hat sich einfach nicht ergeben, vielleicht auch, weil ich etwas faul war als Kind und Jugendlicher.

Obwohl, das stimmt nicht ganz. Ich habe Radios gebastelt  und Segelflugzeuge, zum Beispiel.

War wohl introvertiert, keine ideale Voraussetzung für Briefeschreiber. Nach draußen bin ich ungern gegangen, habe meistens in meiner Bastelkammer gesessen. Meine Mutter hat mich oft als Stubenhocker bezeichnet.

Man kann nicht alles tun. Briefeschreiben vielleicht im nächsten Leben ;-).

Herzliche Grüße
Kurt

Schönschrift haben wir noch gelernt. Ich erinnere mich noch an den Begriff „rechts abgeschrägte Feder“

keyly

@Kurt20

Hallo Kurt!

In deinem nächsten Leben kannst du dich mit völlig anderen Dingen beschäftigen, denn Briefeschreiben hast du, wie hier zu lesen, bereits vorweg genommen.
Zwar funktioniert es irgendwie umgekehrt, weil auf diese Art zuerst das Thema und erst dadurch der Kontakt zu Menschen entsteht, aber dafür spricht man gleichzeitig viele Leser an, aus denen sich dann vielleicht interessante Brieffreunde ergeben.  

Handgeschriebene Briefe könnten höchstens durch einen sehr langen Stromausfall oder irgendeine Katastrophe größerer Art erneut in unser Leben gelangen. 
Ich liebe, schätze und hüte die wenigen, die ich noch besitze. Allerdings kann ich mich mit meinen eigenen in die Vergangenheit zurückversetzen, weil mein Mann diese nach der Trennung bei mir zurückgelassen hat. Sie sind fast 50 Jahre alt, berührend .....

Großartig finde ich deine Recherchen zu interessanten Themen. Deinen  heutigen Blog werde ich auf jeden Fall kopieren.
Ich besitze auch die Kopie eines kuriosen Amtsschreibens, das den Untergebenen mitteilt, wie diese den Stempel auf neu eingelangte Schriftstücke aufzusetzen haben. Dieses herrliche Stück ist vielleicht 40 Jahre alt; ich kannte sogar den Verfasser. 

Kurze Zeit habe ich wundersame Dichtungen gesammelt, die junge Leute im Zuge eines Vorstellungsgespräches aus ihrem eigenen Stenogramm herauslasen und zu Papier brachten. Ähnlichkeiten mit dem diktierten, ganz normalen Geschäftsbrief wirkten eher zufällig und "fast unpassend". 

Schnee von gestern... Ich gehe davon aus, dass junge Leute heute gar nicht mehr wissen, was Schönschreiben oder Stenografieren genau bedeutet.

Liebe Grüße   Lydia  
 

 


 

Kurt20

@keyly

Hallo Lydia,

ein kurzer Hinweis: Den erwähten Briefsteller kann man vollständig auf Google Books lesen. Köstliche Passagen!

Einfach in das Suchfeld eingeben: allintext:Rammler, Otto Friedrich Musterbuch.

Wenn Du Hilfe brauchen solltest, Du weißt ja wo ich wohne 😉.

Liebe Grüße und schönes Wochende,

Kurt

Globetrotter

guten Morgen Kurt (ich darf das, ich bin 6 Stunden in der Zeit zurück😊)

ich hatte früher viele Brieffreunde und einen regen Austausch, leider ist es jetzt schon schwierig auch nur schöne Briefmarken zu finden.
Die mail's oder What'sApp haben das Briefeschreiben abgelöst. Bei diesem Thema fällt mir Heinrich Heine ein, der einmal schrieb:
"Du willst mich nicht mehr lieben, aber dein Brief ist lang". 

LG Gisela🙋‍♀️

PS. apropos Fehler, schau mal in die Überschrift😂

Kurt20

@Globetrotter  

Danke Gisela,

meckern und selber Fehler machen – das haben wir gern Kurt! 😉.  –

Briefschreiben ist eine fast vergessene Kunst. Das bringt mich auf die Idee, mal wieder in alten Briefen zu stöbern, die Menschen früher geschrieben haben. Wenn ich dabei etwas ganz Besonderes finde, reiche ich es an Dich weiter.

Bis demnächst,

herzlichst
Kurt

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